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Neue Materialien: Vom Computer direkt zur Anwendung

Neue Anwendungen erfordern häufig neue Materialien. Nicht selten werden Materialien benötigt, die so nicht in der Natur vorkommen beziehungsweise ganz spezielle Eigenschaften aufweisen.

Zwei Männer stehen rechts und links neben einem großen Glaszylinder.

© TU Wien

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Andrej Pustogow (links) und Fabian Garmroudi (rechts) neben einem Ausstellungsstück eines Quantencomputers beim APS Global Physics Summit in Anaheim, Kalifornien, USA. Während beide an neuen Quanten-Materialien forschen, die darin eingesetzt werden könnten, wären Berechnungen mit Quantencomputern auch äußerst hilfreich für Materialwissenschaften.

Eine durchsichtige Röhre, darin zwei messingfarbene Probenstückchen

© Fabian Garmroudi

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Probe versiegelt in einer Quarzröhre

Um passende Materialien für zukunftsweisende Technologien zu finden, reicht es häufig nicht aus, nach dem Try-and-Error-Prinzip vorzugehen und sich durch das Periodensystem durchzuarbeiten. Dies gilt auch für die Suche nach passenden thermoelektrischen Materialien, die Wärme in Strom umwandeln, und somit für eine Vielzahl von Anwendungen interessant sind. 

Einem internationalen Forschungsteam um Andrej Pustogow vom Forschungsbereich Functional and Magnetic Materials der TU Wien ist es nun gelungen, mit einem automatisierten Computerprotokoll neue Materialien für die Erzeugung „grüner Energie“ vorherzusagen. In einem weiteren Schritt hat das Team die Materialien im Labor hergestellt und für die Anwendung getestet. Seine Ergebnisse publizierte das Forschungsteam kürzlich in der Fachzeitschrift Science Advances

Wissen ist limitiert – Rechenleistung auch 

Angefangen von der Schule bis hin zum (natur- oder technikwissenschaftlichen) Studium wird vieles zum Stand der Technik gelehrt. Dennoch ist dieses Wissen begrenzt, und Lehrbücher bilden nur den Wissensstand zum Zeitpunkt Veröffentlichung ab. Dies kann dazu führen, dass lange Zeit an der falschen Stelle nach Materialien mit bestimmten Eigenschaften gesucht wird. „Im Feld der Thermoelektrizität etwa schlug Abram Ioffe in den 1930ern vor, halbleitende Materialien für diese Anwendung zu erforschen, da Metalle nicht dafür geeignet wären,“ erklärt Fabian Garmroudi, Erstautor der Studie. Andrei Pustogow ergänzt: „Nachdem fast 100 Jahre intensiver Forschung an Halbleitern noch immer keine Alltagsanwendungen hervorgebracht haben, brauchte es eine neue Idee, die über das Lehrbuchwissen hinaus geht.“ 

Bereits in den vergangenen Jahren (Nickel-Gold Legierungen, Elektronenstau) konnte das Team zeigen, dass bestimmte Metalle eine vielversprechende Alternative für thermoelektrische Anwendungen sein können. Auch wenn die neu entdeckten Materialien keine Glückstreffer waren, starteten die Forschenden nun eine großangelegte Suche durchs Periodensystem, um eine größere Anzahl an Kandidaten für großflächige Anwendungen zu identifizieren.

Trotz unvorstellbarer Rechenleistung von Supercomputern wie dem Austrian Scientific Cluster (ASC) sind die über 100 Elemente zu viel für eine blinde Suche durchs Periodensystem, da die Rechenzeit bereits bei Kombinationen aus wenigen Dutzend Atomsorten das Alter des Universums übersteigen würden. „Unser Kochrezept hier war also“, so Andrej Pustogow, „mit automatisierten Berechnungen in einem wohldefinierten Bereich des Periodensystems die relevanten Materialeigenschaften zu bestimmen“. 

Startpunkt für Suche nach neuen Materialien festgelegt  

Als Startpunkt wählten die Forschenden die Übergangsmetalle Eisen, Kobalt und Nickel. Per Supercomputer wurden deren Verbindungen mit jeweils allen anderen Elementen berechnet. „Alleine für das Element Nickel sind das Verbindungen wie Nickel-Lithium (Ni-Li), Nickel-Beryllium (Ni-Be), Nickel-Bor (Ni-B), Nickel-Kohlenstoff (Ni-C) und so weiter – bis hin zu Nickel-Lanthan (Ni-La), was uns schließlich zu den besonders vielversprechenden intermetallischen Verbindungen Nickel-Zinn (Ni₃Sn) und Nickel-Germanium (Ni₃Ge) geführt hat“, erklärt Andrej Pustogow. Das Material mit den besten vorgesagten Eigenschaften war die Verbindung aus Nickel und Zinn. „Dieses kommt auch als natürliches Mineral, Nisnit, in der Erdkruste vor und entsteht unter hohem Druck und hohen Temperaturen. Im Labor ist das Material aber unter normalen Bedingungen schwierig herzustellen, weshalb wir uns experimentell auf Ni3Ge fokussiert haben“, ergänzt Fabian Garmroudi. Proben aus Nickel und Germanium zeigten schließlich, wie bereits vom Computerprotokoll vorhergesagt, auch im Labor exzellente thermoelektrische Eigenschaften.  

Materialien gezielt designen

In den Materialwissenschaften wird oft wie folgt vorgegangen: Verschiedene Elemente werden im Labor zusammengeschmolzen und Proben hergestellt, deren Qualität beurteilt wird, bevor schließlich Messungen an dem Material vorgenommen werden. Dank Computersimulation konnte das Team nun mit minimalem Material- und Zeitaufwand dasselbe Resultat erzielen. „Dass wir in einem einfachen Material aus zwei Atomsorten technologisch relevante Eigenschaften gefunden haben, ist sehr vielversprechend. Das gibt uns Hoffnung, dass unsere Methode – ausgeweitet auf komplexere Systeme aus beispielsweise drei Atomsorten – noch viele weitere interessante Materialien identifizieren wird“, so Fabian Garmroudi. 

Neue Materialien werden nicht nur von Universitäts-Forschenden am Computer designt, auch Tech-Unternehmen wie Google und Microsoft verfolgen diesen Ansatz. Dabei macht man sich die Unmengen an theoretischen, aber auch experimentellen Daten zunutze, welche in den letzten Jahren gesammelt und in Form von Datenbanken zusammengetragen wurden. Künstliche Intelligenz kann schließlich eingesetzt werden, um Zusammenhänge zu erkennen, die für das menschliche Auge nicht ersichtlich sind. So gelingt es, neue Materialien mit gewünschten Eigenschaften vorherzusagen. Die besten Resultate erzielt man aber auch heutzutage noch mit menschlicher Intuition und Kreativität – unterstützt durch die Rechenleistung von Computern.

Originalpublikation

Garmroudi, F., Di Cataldo, S., Parzer, M., Coulter, J., Iwasaki, Y., Grasser, M., Stockinger, S., Pázmán, S., Witzmann, S., Riss, A., Michor, H., Podloucky, R., Khmelevskyi, S., Georges, A., Held, K., Mori, T., Bauer, E., & Pustogow, A. (2025). Energy filtering-induced ultrahigh thermoelectric power factors in Ni₃GeScience Advances, 11(31), eadv7113. https://doi.org/10.1126/sciadv.adv7113, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Rückfragehinweis

Prof. Andrej Pustogow
Technische Universität Wien
Institut für Festkörperphysik 
+43 1 58801 13128
pustogow@ifp.tuwien.ac.at 

Dr. Fabian Garmroudi
Materials Physics Applications – Quantum
Los Alamos National Laboratory, USA
+1 505 623 7506
fgarmroudi@lanl.gov 

Text: Sarah Link