Kunstwerke sind weit mehr als bloße Objekte. Sie sind Zeugnisse menschlicher Kultur und Kreativität und sollen auf der ganzen Welt von Menschen gesehen werden. Der Transport zwischen Museen und Ausstellungen birgt jedoch große Risiken, denn selbst kleinste Erschütterungen können empfindliche Schäden verursachen. Ein Team bestehend aus Professor Stefan Jakubek, Christoph Markler und Markus Fallmann am Institut für Mechanik und Mechatronik der TU Wien hat nun einen Weg gefunden, wie sich schädliche Vibrationen und Stöße künftig vermeiden lassen.
Raumfahrt statt Schaumstoff
Für den Transport von Kunstwerken kommen derzeit Schaumstoffkonstruktionen zum Einsatz. Sie bringen jedoch eine Reihe von Nachteilen mit sich: Sie sind kosten- und materialintensiv und führen zu Tonnen an Abfall. Zudem bieten sie in der Praxis oft eine geringere Schwingungsdämpfung als erwartet. Hier trat die Forschergruppe um Stefan Jakubek auf den Plan und suchte nach einer Lösung, mit der Kunstwerke nahezu schwebend transportiert werden können, damit sich Unebenheiten des Fahrbahnuntergrundes oder kritische Belastungen nicht auf das empfindliche Objekt übertragen.
Fündig wurde die Gruppe bei sogenannten „Wire Rope Isolators“, die aufgrund ihrer hervorragenden dämpfenden Eigenschaften bereits in der Weltraumtechnik oder bei der Erdbebensicherung eingesetzt werden. Im Sinne einer optimierten Transportlogistik wurde das Verhalten der eingesetzten Drahtseilisolatoren unter realen Bedingungen systematisch untersucht. Dabei kamen Methoden aus der Schwingungstechnik und Strukturdynamik zum Einsatz. Besonderes Augenmerk richteten die Forscher auf die nichtlinearen Eigenschaften der Isolatoren, das dynamische Systemverhalten sowie die schädigenden Effekte zyklischer Belastungen bei längeren Transportstrecken.
Prof. Jakubek fasst die wissenschaftliche Fragestellung so zusammen:
„Zwei wissenschaftliche Kernfragen standen im Mittelpunkt: Wie lässt sich die Unebenheit der Fahrbahn entlang der Transportstrecke mathematisch vorhersagen? Und wie kann das nichtlineare Übertragungsverhalten von Fahrbahn über Reifen, Radaufhängung, Fahrzeug und Wire Rope Isolators beschrieben und parametriert werden? Erst das Zusammenspiel dieser Faktoren führt zu möglichen Schäden an den Kunstwerken.“
Zur Validierung dienten dem Team gezielte Tests auf einer realitätsnahen Transportroute, wofür geometrisch definierte Dummys mit hochauflösenden Beschleunigungssensoren ausgestattet wurden, um die Belastungen in alle drei Raumrichtungen präzise erfassen und anschließend analysieren zu können.
40 % weniger Belastung
Im Vergleich zu herkömmlichen Transportsystemen bietet die neu entwickelte Konfiguration eine spürbare Verbesserung, die insbesondere bei großformatigen oder besonders empfindlichen Kunstwerken zum Tragen kommt: In kritischen Frequenzbereichen konnte die mechanische Belastung – ganz ohne zusätzliche Dämpfungselemente – sogar um bis zu 40 % reduziert werden. Weitere Optimierungspotenziale zeigten sich durch gezielte Anpassungen, etwa bei der Anordnung der Isolatoren, der Massenverteilung oder der Auswahl spezifischer Federn mit angepassten mechanischen Eigenschaften.
Basierend auf diesen Erkenntnissen entwickelte das Forschungsteam ein Softwaretool, das Museen und Transportunternehmen dabei hilft, eine maßgeschneiderte Lösung für den sicheren Kunsttransport zu finden. Die Anwendung berücksichtigt individuelle Parameter wie Objektgewicht, Transportweg und Materialempfindlichkeit und schlägt daraufhin eine optimal abgestimmte Systemkonfiguration vor.
Für den Transport von Kunstwerken bedeuten diese Ergebnisse eine echte Neuerung: Statt auf teure Einzellösungen oder aufwendige Tests angewiesen zu sein, steht nun ein praxisnahes, wiederverwendbares, ressourcenschonendes und smartes Werkzeug zur Verfügung, das sich flexibel an wechselnde Objekte und Anforderungen anpassen lässt.
Nachhaltig und praktisch
Neben dem Schutz der Kunstwerke stand auch die Nachhaltigkeit im Fokus der Entwicklung. Die verwendeten Drahtseilfedern und modularen Holzrahmen sind auf Langlebigkeit und Wiederverwendbarkeit ausgelegt und zeigen trotz häufigem Einsatz keine nennenswerte Materialermüdung. Die Vorteile liegen klar auf der Hand: Der Verzicht auf Einwegverpackungen und kurzlebige Dämpfungselemente reduziert nicht nur Abfall, sondern senkt auch die laufenden Kosten im musealen Transportbetrieb spürbar.
Die modulare Bauweise ermöglicht eine flexible Anpassung an unterschiedliche Objektgrößen, Routen und Anforderungen und ist daher ideal für wechselnde Ausstellungen, internationale Leihgaben oder Sammlungsumzüge. Auch in der Logistik überzeugt das System der Forschergruppe: Die Kisten lassen sich einfach zerlegen, platzsparend lagern und bei Bedarf neu konfigurieren.
Dank der Entwicklungen an der TU Wien kann Kunst nun mit nur einer Innovation auf vielerlei Weise besser bewegt werden: sicherer, nachhaltiger, intelligenter und elegant schwebend.
Übrigens: Die Beschäftigung mit Wissenschaft und Kunst wird über die Entwicklung neuer Transporttechniken für Kunst in Forschung, Lehre und interdisziplinären Projekten an der TU Wien immer wieder neu gedacht (siehe SCIENCE goes ART).
Rückfragehinweis:
Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Stefan Jakubek
Institut für Mechanik und Mechatronik
Technische Universität Wien
+43 1 58801 325510
stefan.jakubek@tuwien.ac.at