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Zwischen Rohdaten und Intuition

Dr. Katharina Ehrmann über Datenpraktiken in der Materialchemie und warum es Standards und Erfahrung braucht.

Das Bild zeigt eine Frau im Laborkittel. Daneben ist ein Graph, im Hintergrund eine Laborbank zu sehen.

© TU Wien / Livia Beck

Katharina Ehrmann zwischen Laborgeräten und Datenvisualisierung

Vorbei an unzähligen Laboren mit wechselnden Warnhinweisen treffen wir Dr. Katharina Ehrmann am Institut für Angewandte Synthesechemie im Getreidemarkt-Gebäude der TU Wien. Sie ist Teil der Forschungsgruppe Polymerchemie und Technologie und führt uns in die Welt der Materialchemie ein. Wir sprechen über Druckverfahren, Metadatenstandards und die Anwendung von KI und chemischer Intuition. Dr. Ehrmann forscht im Rahmen des Elise-Richter-Fellowships an einer neuen Synthesemethode für sogenannte Multimaterialien im 3D-Druck. Lange Zeit konnten Objekte aus 3D-Druckern nur aus einem einzigen durchgängigen Material hergestellt werden. Ihre Arbeitsgruppe nutzt nun verschiedene Lichtfarben, um chemische Reaktionen und Materialeigenschaften gezielt zu steuern und so den gleichzeitigen Druck mit mehreren Materialien zu ermöglichen.

Vom digitalen Objekt zum Druck 

„Bei uns fängt alles digital an, mit dreidimensionalen Objekten, die man im Computer designt und diese Files werden dann an den 3D-Drucker gefüttert. Und als Materialchemikerin ist es für mich natürlich sehr spannend, dafür neue Materialien einzuführen und zu charakterisieren.“

Der Forschungsprozess beginnt digital mit sogenannten CAD-Designs und STL-Files für den 3D-Drucker, wobei der Input vordefiniert, was der Drucker Schicht für Schicht aufbauen soll. Für den Multimaterialdruck besteht die zusätzliche Herausforderung, dass exakt kodiert werden muss, welches Material wann und wo gedruckt werden soll. Besonders spannend für Dr. Ehrmann ist, wie und ob diese Multimaterial-Synthese gelingt: Dazu werden Materialcharakterisierungen durch z. B. Biege- und Schlagzähigkeitstests sowie Analysen des Temperaturverhaltens, der Schmelzpunkte und der Kristallinität durchgeführt. Diese Daten werden heute weitgehend automatisiert von Messgeräten erfasst und anschließend mit Programmen wie Excel oder Origin ausgewertet oder zunächst in fachspezifischer Software aufbereitet. Jedes Experiment wird in einem sogenannten ELN (Electronic Laboratory Notebook) angelegt, um das Inventar sowie die Arbeitssicherheit im Labor sicherzustellen; jedoch fehlt noch eine einheitliche Regelung dafür, wann analog oder digital dokumentiert wird, da sich die Arbeitsabläufe je nach Test unterscheiden.

Rohdaten für bessere Reproduzierbarkeit

„Wir verwenden auch eine Analysemethode, die heißt NMR Magnetic Resonanzspektroskopie. Da schauen wir uns kleinste Moleküle an und bekommen spezielle Spektren raus und diese Daten werden vom Gerät quasi ausgespuckt und müssen dann eben noch transformiert werden, bevor wir sie interpretieren können. - Und da zum Beispiel macht es absolut Sinn, die Rohdaten zu speichern.“

Dr. Ehrmann erklärt, dass verarbeitete Spektren zwar schön mit XY-Plots in Excel abgespeichert werden können, bevorzugt wird aber das Sichern der Rohdaten in fachspezifischen Softwarelösungen mit allen Zusatzinformationen und Geräteangaben. Denn die Auflösung der Resonanzspektren hängt von der Magnetfeldstärke ab, die verwendet wird, und all diese Metadaten sollten mitgespeichert werden, um die Reproduzierbarkeit des Experiments zu gewährleisten.

Generell ist die Open-Science-Kultur in ihrem Feld gemischt: Manche Forschende publizieren routinemäßig Rohdaten, andere nur auf Nachfrage oder je nach Journalvorgabe. So sind beispielsweise Kristallstrukturdaten in der Röntgenkristallographie sehr stark standardisiert und Metadaten sind verpflichtend zu publizieren. Dr. Ehrmann ist dabei, in ihrer Arbeitsgruppe einen hohen Standard für das Datenmanagement anhand der FAIR-Prinzipien zu etablieren, denn die Wiederverwendbarkeit von Daten ist ihr ein zentrales Anliegen, insbesondere für Transparenz und Glaubwürdigkeit in der Community.

Metareviews mit und ohne KI-Unterstützung 

„Oft hätte ich Interpretation und Kontext noch viel größer gefasst, aber das würde natürlich jeden Metadatensatz sprengen und gerade bei uns in der Materialchemie gibt es viel Trial-and-Error. Es ist eine experimentelle Wissenschaft und da ist dann schon irgendwann die Frage: Wann ist der Zeitpunkt aufzuhören? Was sind noch sinnvolle Rohdaten, die des Speichers würdig sind und was nicht mehr?“

Die gezielte Auswahl und Aufbereitung von Rohdaten entlang der Forschungsfrage und deren Umsetzung in Visualisierungen ist bei Metaanalysen besonders wichtig, um Trends schneller zu erkennen und doppelte Arbeiten zu vermeiden. So hat Dr. Ehrmanns Forschungsgruppe eine umfangreiche Review  zu flüssigkristallinen Monomeren und deren Schmelzpunkten erstellt, um Struktur-Eigenschafts-Korrelationen für Multimaterial-3D-Druck zu ermöglichen. Flüssigkristalline Monomere sind elementar für die Entwicklung von LCD-Displays und dementsprechend riesig ist die bereits bestehende Datenlage in dem Feld. Hier betont sie, wie aufwändig diese Literaturrecherche ist und dass sie bisher nicht von einer KI ersetzt werden kann, die derzeit nur auf unzureichend aufbereitete Daten zurückgreifen kann, Paper gegebenenfalls nur zusammenfasst und Graphiken und Diagramme nicht sinnvoll interpretiert.

Chemische Intuition als Tool der Zukunft

„Aber das bloße Zusammenfassen ist auch eigentlich nie wirklich der Sinn von Reviews gewesen. Es sollte immer eine Metaebene in einer guten Review vorhanden sein. Ich denke, diese Metaebene und bleibt schon noch sehr lange uns vorbehalten – es braucht chemische Intuition, wo Textbook Knowledge mit Erfahrung zusammenkommt, denn die Public Domain ist oft ein Fass ohne Boden.“

Dr. Ehrmann sieht großes Potenzial in zentralisierten und standardisierten Datenmanagementsystemen, damit Wissen, umfangreiche Metadaten und auch unerwartete Nebenreaktionen für nachfolgende Forschende erhalten bleiben. Ihre Forschung soll langfristig in konkrete Anwendungen einfließen und Materialien des Alltags verbessern. Abschließend unterstreicht sie, wie wichtig ein experimenteller Zugang für ihre Forschung ist: Zu verstehen, welche Parameter relevant sind und was man optimieren will, kombiniert mit guter Literaturrecherche. Chemische Intuition heißt für Katharina, aus dem Gelesenen neue, unerwartete chemische Ideen abzuleiten und dank eigener Erfahrung besser einschätzen zu können, welche Synthese in der Praxis mit sehr spezifischen Einschränkungen funktionieren kann.

Kontakt

Dr. Katharina Ehrmann
Institut für Angewandte Synthesechemie
TU Wien
katharina.ehrmann@tuwien.ac.at

Zentrum für Forschungsdatenmanagement
TU Wien
research.data@tuwien.ac.at