News

TUW Forum Zukunft: FLIEGEN. MARTIN BERENS im Interview

Im Interview spricht Martin Berens über die Anstrengungen der Flugzeugindustrie in Richtung Klimaneutralität. Er ist Professor für Luftfahrzeugsysteme an der TU Wien und kennt die neuesten Entwicklungen.

Martin Berens vor dem Haupteingang der TU Wien. Er hält einen kleinen Globus in der Hand.

© TUW

Prof. Martin Berens

Die Luftfahrtindustrie steht angesichts der Klimakrise vor enormen Herausforderungen. Die Frage, ob und wie der Flugverkehr Klimaneutralität erreichen kann, diskutiert Sarah Link mit dem Luftfahrtexperten Martin Berens, der sich mit seiner Arbeit für einen Umbruch in der Luftfahrtbranche in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaneutralität einsetzt.

Prof. Martin Berens im Interview

Herr Berens, wenn wir von alternativen Antriebssysteme sprechen, was genau ist denn das Problem mit den herkömmlichen Antriebssystemen und wie können alternative Systeme dieses lösen?

Martin Berens: Im Rahmen der Klimadebatte steht natürlich die Luftfahrt als Nutzerin fossiler Energien stark im Fokus. Das Fliegen ist relativ energieintensiv und der Einsatz von fossilen Kraftstoffen ist problematisch. Nicht nur wegen der CO2-Emissionen, denn es gibt noch weitere Emissionen in der Luftfahrt die eine Rolle spielen, z. B. der Wasserdampf. Das ist aber eine sehr spezielle Thematik, auf die ich gesondert eingehen müsste. Bei den alternativen Antrieben geht es darum, zu defossilisieren. Das ist einer der Hauptaspekte – genauso wie bei anderen Verkehrsträgern auch.

Ist es ihrer Meinung nach überhaupt möglich, dass die Branche klimaneutral wird?

MB: Ich bin der Überzeugung, dass das im Prinzip möglich ist. Wenn man es sich bei Lichte und realistisch betrachtet, stellt es eine Riesenherausforderung für uns dar, weil es doch sehr viel und sehr großer Anstrengungen bedarf, das zu realisieren. Aber es gibt Agenden, die bis spätestens 2050 vorsehen, dass der Flugverkehr weitgehend auf nicht-fossilen Kraftstoffen basiert.

Jetzt haben Sie bereits ein Jahr genannt. Was muss denn bis zu diesem Zeitpunkt – also in nicht ganz 30 Jahre – alles passieren, damit die Flugbranche tatsächlich klimaneutral ist?

MB: Zunächst möchte auf das Naheliegende eingehen: Den fossilen Kraftstoff Kerosin, der für die Verkehrsluftfahrt verwendet wird, durch Sustainable Aviation Fuel zu ersetzen. Und zwar in der Drop-in-Variante, also in flüssiger Form. Man spricht auch von SynFuels oder, wenn regenerativ erzeugte elektrische Energie beim Synthese-Prozess zum Einsatz kommt, von E-Fuels. Das ist auf jeden Fall ein Weg, der beschritten wird und der für die Langstreckenfliegerei auch in Zukunft erhalten bleibt. Nachteilig sind die Anzahl verlustbehafteter Prozessschritte bei der Synthese des Kraftstoffs. Es gibt weiterhin Ansätze für alternative elektrische Antriebskonzepte, wobei die Speicherung der Energie in Batterien oder in Form von flüssigem Wasserstoff und die Wandlung in elektrische Energie mit Brennstoffzellen in Frage kommen. Die Verluste sind hierbei im Vergleich zu SynFuels geringer. Auch auf den anderen Feldern des Flugzeugbaus wie dem Leichtbau und des Luftverkehrssystems müssen verbleibende Potentiale genutzt werden. Um das Ziel eines klimaneutralen Luftverkehrs zu erreichen zeichnet es sich ab, dass wir in 30 Jahren eine größere Vielfalt an Flugzeugkonfigurationen haben werden.

Jetzt sind Sie vorhin bereits darauf eingegangen, dass auch Wasser selbst und die damit verbundene Wolkenbildung ein Problem für unser Klima und demnach die Luftfahrtbranche darstellen. Meine Recherchen haben ergeben, dass Kondensstreifen tatsächlich genauso zur Klimaerwärmung beitragen können wie das CO2 selbst, das ausgestoßen wird. Wie wäre das denn, wenn man alternative Antriebssysteme hätte?

MB: Das ist ein komplexes Feld. Ich versuche das an einem Beispiel zu beantworten, und zwar auch wieder mit den herkömmlichen Antrieben. Warum ist die der Wasserdampf ein Problem? Die Wolkenbildung führt im Mittel zu einer Erwärmung der Atmosphäre. Und diese Klimawirkung hat, das ist so die mittlere Erwartungshaltung von Expert_innen, eine vergleichbare Wirkung wie das CO2. Das betrifft die Fliegerei mit großen Turbofan-getriebenen Flugzeugen wie der Boeing 737 oder dem Airbus A320 in etwa elf Kilometern Höhe. Zur Erklärung: Es gab im Jahr 2016 Flugversuche des deutschen DLR, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster und der NASA, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster, wobei sowohl mit herkömmlichem Kerosin als auch mit Sustainable Aviation Fuel geflogen wurde. Dabei konnte man messen, dass die Wolkenbildung beim Einsatz von Sustainable Aviation Fuel deutlich reduziert war. Die Zusammensetzung des Kraftstoffes ist zwar im Wesentlichen gleich; die Sustainable Aviation Fuels enthalten jedoch weniger Aromate. Das führt dann zu geringeren Rußemissionen und damit zu weniger Kondensationskeimen. Die Folge: Die Wolken werden nicht mehr so dicht.

Eine andere Möglichkeit: Wenn man elektrifiziert, dann entstehen zumindest bei der batterieelektrischen Variante keine Wasseremissionen und auch keine Kondensstreifen. Aber das wird nur für sehr kurze Strecken erwogen. Und weil ich das Thema Wasserstoff genannt habe: Auch das läuft dann in einer Spielart auf elektrische Flugzeugantriebe hinaus. Hier entsteht Wasser als Prozessprodukt. Untersuchungen haben schon vor 20 Jahren ergeben, dass die Art der Tropfenbildung jedoch wegen der fehlenden Kondensationskeime eine andere ist und die Wolken eine andere Qualität haben. Aber da muss noch mal ganz genau hingeschaut werden, wie sich das im praktischen Betrieb tatsächlich darstellt.

CO2 Emissionen hängen ja auch immer von der Geschwindigkeit ab. Auf den Autobahnen in Österreich haben wir ein Tempolimit. In Deutschland wird das immer wieder diskutiert. Wäre es denn denkbar, dass man auch für Flugzeuge ein Tempolimit einführt, um CO2 zu sparen?

MB: Das ist eine interessante Frage. Diesen Vorschlag habe ich noch nie gehört. Ich bin nicht davon überzeugt, dass das etwas bringt. Flugzeuge fliegen an einem Betriebspunkt – man kann zwar etwas schneller oder etwas langsamer fliegen – aber letztendlich sind die Flugzeuge auf eine Geschwindigkeit optimiert. Bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung müsste man die Flugzeuge vom Design her an die Limits anpassen. Anders als beim Auto oder der Eisenbahn hat die Luftfahrt noch den Freiheitsgrad der Flughöhe. Dadurch fallen die Energieeinsparungen durch eine Geschwindigkeitsreduktion geringer aus als beim bodengebundenen Verkehr. Also Tempolimit: nein.

Das bringt mich aber trotzdem zu einer Frage, die auch wieder in Richtung Mobilität auf der Erde geht und alternative Antriebssysteme betrifft, wie Batterie, elektrische Antriebe etc. Forschen sie im Grunde genommen an denselben Problemen? Lassen sich also Fragen von Antriebssystemen wie für PKW auf Flugzeuge übertragen oder muss man einen anderen Ansatz verfolgen als für die Automobilindustrie?

MB: Ein ganz klares „jein“. Die Luftfahrt ist als Branche zwar prominent, kann jedoch die Transformation nicht allein aus eigener Kraft bewältigen. Das heißt, wenn wir mit Konzepten alternativer Antriebe erfolgreich sein wollen, dann müssen wir den Schulterschluss mit anderen Sektoren suchen. Das gilt für den Energiebereich, aber auch besonders für den Automotive-Bereich, denn hier sind Synergien und auch eine höhere Entwicklungsdynamik zu erwarten. Die Luftfahrt kann nicht alle Systeme eigenständig und unabhängig entwickeln. Das wäre jetzt das „ja“. Und jetzt kommt die „Nein“-Komponente: Im Automotive-Bereich wird z. B. für Nutzfahrzeuge ein Brennstoffzellensystem optimiert, das für die Luftfahrt angepasst werden soll. Hier befürchten manche, dass man die Anpassung zwar bewerkstelligt, das Optimum für die Luftfahrtanwendung jedoch verfehlt. Die Risiken der sektorübergreifenden Ansätze sind gerade stark in der Diskussion. Dennoch: Ohne eine sektorübergreifende Zusammenarbeit wird es nicht gehen.

Viele Berufsfelder verändern sich, gerade auch in puncto Nachhaltigkeit. Was ist denn das Wichtigste, was angehende Luftfahrttechniker_innen heutzutage lernen müssen, lernen sollen, damit sie sich am Markt etablieren können – gerade auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit?

MB: Die Physik ändert sich durch nachhaltige Antriebe nicht grundsätzlich; die Grundlagen der Fliegerei bleiben die gleichen. Wir arbeiten sehr anwendungsorientiert und das bedeutet auch, dass wir auf die Besonderheiten achtgeben müssen: Alternative Antriebe, die Integration dieser Antriebe und die zukünftigen Energiesysteme. Da gehört es dann auch zum Beruf, nach links und rechts zu gucken. Die Luftfahrt isoliert zu betrachten, würde zu kurz greifen.

Laut Statista, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster haben knapp 1/4 der unter 24-Jährigen bereits Flugscham erlebt. Das heißt, wir wollen eigentlich weniger fliegen, wir können aber nicht so richtig darauf verzichten. Woran liegt das denn? Warum brauchen wir den Flugverkehr trotzdem und daher eben auch wirklich die alternativen Systeme, an denen Sie forschen?

MB: Der Luftverkehr ist einzigartig,insofern als dass er eine sehr schnelle und sichere Form des Transports und des Reisens ermöglicht. Besonders wenn man an das Fliegen über die Ozeane oder auf Inseln denkt, ist es auch die energetisch günstigste Transportart – wenn man den in anderer Hinsicht komplexen Transport mit Segelschiffen einmal ausblendet. Das Image der Luftfahrt ist angeschlagen und da muss sich die Luftfahrtindustrie, das gilt für die Airlines ebenso wie für die Flugzeughersteller, an die eigene Nase fassen. Aber ich denke die Message, dass sich jetzt substanziell etwas ändern muss, ist bei den Stakeholdern angekommen. Das wird auch massiv von der EU und den Staaten unterstützt. Und das ist auch absolut notwendig, wenn man die Klimakrise bewältigen will.

 

Martin Berens ist seit Mai 2021 Professor für Luft- und Raumfahrttechnik an der TU Wien. Seine Professur wurde aufgrund des Bedarfs nach mehr Absolvent_innen aus dem Bereich der Luft- und Raumfahrttechnik geschaffen. Die Firmen, die diesen Bedarf erkannt haben, finanzieren nun gemeinsam mit dem Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster (BMK) Berens Stiftungsprofessur. Angesiedelt ist seine Professur am Institut für Konstruktionswissenschaften und Produktentwicklung der Fakultät für Maschinenwesen und Betriebswissenschaften. Ziel seiner Arbeit ist es, Flugzeuge und deren Antriebssystemen nachhaltiger zu gestalten.

Interview: Sarah Link

#staytuned: Mit Martin Berens über das Thema "Fliegen" diskutieren: Q/A am18.08.2022 von 15.00–17.00 Uhr auf unseren Social Media-Kanälen Instagram, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster und Facebook, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster.

Porträt Martin Berens, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

In der Interviewreihe "Forum Zukunft" der TU Wien kommen Expert_innen zu zentralen Zukunftsthemen zu Wort. Bereits erschienen: