Wohnen ist ein menschliches Grundbedürfnis: Eine Wohnung bietet Sicherheit und Schutz und sie ist eine wichtige Voraussetzung für die Teilhabe an der Gesellschaft. Zudem brauchen wir eine Meldeadresse für den Arbeitsplatz, die Eröffnung eines Kontos und bei rechtlichen Fragen. Aus all diesen Gründen gehört die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichend leistbarem Wohnraum zu den wichtigsten wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Herausforderungen, stellt die Armutskonferenz, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster fest.
Mit der Finanzkrise 2008 begann die Suche von Investor_innen und einfachen Anleger_innen nach wertbeständigen Anlageformen: Ein Effekt davon war ein Run auf Immobilien, deren Wert seitdem kontinuierlich und dramatisch stieg und auch die Mietpreise betrifft. Studierende, Allein- oder Getrennterziehende, oder Einkommensschwache haben zunehmend Probleme, leistbaren Wohnraum zu finden. Wir haben mit TUW-Professorin Anita Aigner zum Thema gesprochen. Sie befasst sich seit vielen Jahren mit Wohnbaupolitik und der Finanzialisierung des Wohnungsmarkts.
Anita Aigner im Interview:
Was ist für Sie die ideale Wohnform und leben Sie so, wie sie möchten?
Anita Aigner: Ich möchte Ihre Frage nach der „idealen Wohnform“ lieber allgemein behandeln, denn mit dem Begriff Wohnform kann Verschiedenes gemeint sein, wie z.B. die bauliche Beschaffenheit einer Wohneinheit: Wohnt man in einem Einfamilienhaus, in einer Etagenwohnung oder gar in einem Hausboot? Auch die Art des Zusammenwohnens kann gemeint sein: Wohnt man in einer WG, allein, in betreutem Wohnen oder in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt, wie es jetzt gerade in Wien einen Boom erlebt? Auch das Rechtsverhältnis spielt eine Rolle: Wohnt man lieber zur Miete oder im Eigentum?
Was für wen ideal ist, wo die Präferenzen für eine bestimmte Wohnform liegen, hat meines Erachtens sehr viel mit kulturellen Prägungen zu tun, also mit der Sozialisation und den vorangehenden Wohnerfahrungen im jeweiligen Lebensverlauf und natürlich auch mit der Lebensphase, in der man sich befindet: Als Studierende_r hat lebt man vielleicht gern in einer WG, mit Familie oder im Alter hat man aber ganz andere Bedürfnisse. Natürlich spielen immer die verfügbaren finanziellen Ressourcen eine zentrale Rolle. Interessant ist aber, dass wir oft das erstrebenswert finden, was wir bereits kennen, was in unserem sozialen Umfeld als normal und wünschenswert gilt. Also jemand, der in einem Gemeindebau wohnt und keine anderen Wohnerfahrungen hat, ist mit seiner bzw. ihrer Wohnsituation eher zufrieden als jemand, der oder die in einem Einfamilienhaus aufgewachsen ist.
Schließlich möchte ich die Frage auf eine gesellschaftliche Ebene heben. Was ist eine gesellschaftlich ideale Wohnform? Was ist nicht nur für mich, sondern langfristig für uns alle erstrebenswert? Stichwort Klimaschutz und Bodenverbrauch. Was für Wohnformen sind heute noch tragbar für uns? Das gesellschaftlich dominante Wohnideal vom Leben im Einfamilienhaus ist es eigentlich nicht mehr. Ressourcenschonender ist zweifellos das Wohnen im verdichteten Wohnbau.
Das Gesicht der Stadt Wien hat sich in den letzten 10, 20 Jahren stark verändert, weil alte Häuser mit wenigen Wohneinheiten und Mietpreisdeckel aufgekauft und geschliffen werden. Stattdessen bauen Investoren neue Gebäude mit maximaler Ausnutzung der Bauhöhe. Wie wird Wien im Jahr 2050 aussehen?
Anita Aigner: Wir befinden uns heute tatsächlich in einer Art zweiten Gründerzeit. Wenn wir durch die Stadt gehen, ist das für uns alle wahrnehmbar: Überall stehen Kräne und es wird auf Teufel komm raus aufgestockt und neu gebaut. Man sieht und spürt förmlich, wie die nach Anlage suchenden Geldströme die Stadt überformen und wie sich das in der Stadt manifestiert und greifbar wird.
Was die Form betrifft, also die morphologische Entwicklung der Stadt, hat das für mich zwei Seiten: Wir erleben zum einen eine Verdichtung bestehender Strukturen, selbst Höfe in ohnehin schon sehr dicht bebauten historischen Baublockstrukturen werden mit Neubauten aufgefüllt, oben werden Dachböden ausgebaut und oft luxuriös in die Höhe aufgestockt, und zum anderen – für Wien ist das immer noch relativ neu – lässt sich ein Trend zu Wohnhochhäusern beobachten.
Die Silhouette der Stadt wird sich meines Erachtens in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiter in die Vertikale entwickeln (abgesehen davon, dass auch immer mehr Umland umgewidmet wird und die Stadt auch in der Horizontalen wächst). Mir ist wichtig zu betonen, dass diese vertikale Entwicklung – Luxusdachausbauten wie Wohntürme – ein sichtbares Zeichen der steigenden sozialen Ungleichheit sind und mit sozialer Segregation einhergehen. Räumliche Segregation, die Tendenz zur räumlichen Trennung von Arm und Reich wird in der Forschung meist in der Horizontalen, über Stadtareale gedacht. Doch gegenwärtig formieren sich Gruppen auch vertikal. Die Wohlhabenden konzentrieren sich heute oben, die Besitzlosen unten. Das zeigt sich sehr markant auch bei Wohnhochhausprojekten von gemeinnützigen Bauträgern, etwa im 3. Bezirk von „The Marks“: Die teuren Kaufwohnungen sind oben und die relativ leistbaren Mietwohnungen befinden sich in den unteren Etagen. Die Reichen blicken, auch ganz real, auf die Armen hinunter. Das ist neu und ein Unterschied zu früher. In der Gründerzeit im 19. Jahrhundert hat die besitzende Klasse unten im ersten Stock, in der sogenannten Beletage, gewohnt. Die Dienstboten haben – vielleicht weniger in Wien, aber in Paris – unter dem Dach gewohnt. Das soziale Oben-Sein hat heute auch eine materiell-räumliche Entsprechung.
„Vorhang auf – die Inszenierung des Wohnraums"
Generell gilt, dass sich das „Gesicht der Stadt“ deshalb so stark überformt, weil Wohnraum zu einem Anlageprodukt geworden ist. Ein beträchtlicher Teil der Neubauten wird für Anleger_innen und nicht für Eigennutzer_innen errichtet. Diese investmentgetriebene Wohnungsproduktion ist auch an neue Praktiken der Vermittlung und ästhetischen Inszenierung von Wohnraum geknüpft. In meiner Forschung habe ich mich aus kultursoziologischer Perspektive mit der sozialen Konstruktion und werblichen Darstellung von sogenannten Vorsorgewohnungen beschäftigt – auch weil es mir ein Anliegen ist, angehende Architekt_innen im Unterricht zur Reflexion der eigenen Praxis und Bildproduktion anzuregen. Mir ist es wichtig, dass Studierende verstehen, dass wir in einer Variante von Kapitalismus leben, wo Wohnraum immer mehr als zinstragendes Warenkapital gesehen wird und immer weniger als soziales Gut, also der Tauschwert den Gebrauchswert dominiert – das ist im Kern mit „Finanzialisierung“ gemeint. Finanzialisierung geht aber auch mit Ästhetisierung und Digitalisierung Hand in Hand. Es wird immer mehr Geld in das Immobilienmarketing, die ästhetische Inszenierung der „Ware Wohnraum“ gesteckt. Die Qualität vieler Renderings ist atemberaubend, man kann gar nicht mehr unterscheiden, ob das Objekt bereits gebaut ist oder sich noch in Planung befindet. Diese Form der ästhetischen Arbeit ist jedoch nicht unschuldig oder neutral, sondern dient der Beschleunigung des Kapitalumschlags. Sie ist Teil der gegenwärtigen politischen Ökonomie des Wohnens: Je früher Bilder von Neubauprojekten in Umlauf gebracht werden, umso früher können Wohnungen oder ganze Projekte verkauft werden. Ich würde nicht sagen, dass neue digitale Technologien – ob sie nun mit Renderings, Animationen und virtuellen Rundgängen die werbliche Inszenierung oder mit Suchplattformen und Projektwebsites die Vermittlung betreffen – unmittelbar die Finanzialisierung von Wohnraum herbeiführen, aber sie machen sie mit möglich. Sie erleichtern es, dass wir zu Investor_innen werden.
Beschreiben Sie uns bitte den „Investor“. Seit wann gibt es ihn am Wohnungsmarkt und was hat er heute für ein Gesicht?
Anita Aigner: „Den“ Investor gibt es überhaupt nicht. Was es gibt, das ist das kulturelle Phänomen des Immobilieninvestments oder des kapitalgetriebenen Umgangs mit Boden und Wohnraum, das von verschiedenen Akteur_innen betrieben wird: Das sind einerseits die gewerblichen Bauunternehmer, Developer, aber auch Kleinanleger_innen und genauso institutionelle Investoren, also etwa Fonds, Versicherungen und Pensionskassen, die direkt in Wohnraum investieren. Andererseits gibt es Anleger_innen, die indirekt in Wohnraum investieren: Etwa über Immobilienfonds oder Crowdinvestmentplattformen. Letzteres setzt die vorher beschriebene technologische Entwicklung voraus. Es ist einfach wahnsinnig bequem geworden, ein Investment zu tätigen: Man sitzt zu Hause am Computer oder am Smartphone und kann am Abend quasi nebenbei – egal, ob man in München, Berlin, Wien oder sonst wo sitzt – überschüssiges Geld mit ein paar Klicks veranlagen. Dabei gewährt man einem Developer ein Nachrangdarlehen – eine relativ riskante Form der Veranlagung, zumal das Geld leicht futsch ist, wenn das Projekt schief geht.
Immobiliencrowdfunding ist aber nicht per se eine schlechte Sache: Man kann damit auch nicht-profitorientierte Gemeinschaftsprojekte unterstützen, wo Wohnraum dem Markt auf Dauer entzogen wird. Doch in der Regel werden auf Crowdinvestmentplattformen klassische Developer-Projekte finanziert, wo es darum geht mit Wohnraum schnelles Geld zu machen. In beiden Fällen dient das Geld von der „Crowd“ der Erhöhung der Eigenkapitalquote, um bei der Bank einen Kredit für Kauf, Um- und Ausbau oder die Neuerrichtung eines Wohngebäudes zu bekommen. Während es sich jedoch im einen Fall um einen solidarischen Akt und einen Beitrag zur Dekommodifizierung von Wohnraum handelt, ist man im anderen Fall ein Rädchen in der auf maximalen Profit orientierten Wohnungswirtschaft, die das Wohnen in unserer Stadt immer teurer macht.
Stimmt es, dass Investor_innen meist gar nicht daran interessiert sind Wohnraum zu vermieten, sondern dass es nur mehr um die Wertsteigerung der Immobilie bei einem Wiederverkauf geht? Der Wohnraum wäre damit reines Anlageobjekt, würde seinen Status als Wohnraum verlieren und mehr, zu „Betongold“ werden.
Anita Aigner: Die Annahme, dass Anleger_innen meist kein Interesse an einer Vermietung haben, würde ich so nicht stehen lassen. Das muss man sich nämlich einmal leisten können. Sicher gibt es solche Anleger_innen, die beim Kauf einer Wohnung nur auf Wertsteigerung spekulieren und vielleicht nur einmal im Jahr da sind. Für diese Zielgruppe gab es vor einiger Zeit im 1. Bezirk ein sprechendes Plakat, auf dem stand: „You don’t have to live in these apartments, owning them will do.“ Im Großen und Ganzen geht es aber Investor_innen um eine stabile Rendite. Nehmen wir eine Pensionskasse oder Kleinanleger_innen. Hier ist langfristig Sicherheit, eine beständig tröpfelnde Mietrendite gesucht und Mieteinnahmen werden gebraucht, um die auf Pump gekaufte Vorsorgewohnung auch abzubezahlen. Ich schätze, dass die Mehrheit der Privatanleger_innen sowohl ein Interesse an der Rendite als auch an der Wertsteigerung hat – also beides eine Rolle spielt.
Aber was den Status von Wohnraum als „Betongold“ betrifft: Wir haben es hier tatsächlich mit einer veritablen Verwandlung zu tun – die sich allerdings maßgeblich in unserem Kopf abspielt, also die Einstellung zu Wohnraum betrifft. Das ist mir sehr wichtig: Nicht die Objekte selbst, sondern die Haltung zu Wohnraum hat sich geändert – eine profitorientierte Einstellung zu Wohnraum hat sich gesellschaftlich durchgesetzt, „normalisiert“, wenn man so will. Wohnraum wurde zwar immer schon als zinstragendes Warenkapital gesehen. Gerade auch in Wien, wo mit dem Durchstarten des Kapitalismus im 19. Jahrhundert ja große Teile der Stadt als „Zins“-häuser errichtet wurden. Aber heute ist neu, dass es auf einer ganz breiten Basis – also in der Mittelschicht – normal geworden ist, Wohnraum nicht zum eigenen Bedarf anzuschaffen, sondern zum Zweck der Akkumulation und Geldvermehrung. Ich tendiere jedoch dazu, nicht die Kleinvermieter für ihre Investitionspraxis zu verurteilen, sondern plädiere für einen verstehend-aufklärerischen Zugang. Der berechnende Geist der Profitmaximierung ist nichts Natürliches, das im „Wesen“ des Menschen steckt, sondern eine erworbene Disposition. Es sind die gesellschaftlichen Verhältnisse, die uns ein bestimmtes ökonomisches Verhalten nahelegen. Das spielt sich alles im Alltag, im Kleinen ab. Wir lesen etwa in Tageszeitungen oder hören im Radio und TV über die neuesten Strategien und Tipps zum Geldanlegen. Berichte vom ständigen Steigen der Immobilienpreise tun ihr Übriges. Über vielerlei Kanäle wird das Investieren in „Betongold“ schmackhaft gemacht. Dabei kommen vorrangig jene zu Wort, die ein Interesse an den bestehenden Verhältnissen haben. Nicht jene, die erklären, was durch die Finanzialisierung von Wohnraum für ein gesellschaftlicher Schaden entsteht.
Die Stadt Wien setzt aufs Bauen von Wohnungen, um die Immobilienpreise niedrig zu halten. Tatsächlich werden nur mehr ein Drittel der neu gebauten Wohnungen für gemeinnützige Zwecke gebaut, die restlichen zwei Drittel sind frei finanziert und von Investor_innen beauftragt.
Anita Aigner: Die profitorientierte Einstellung steht eigentlich zum Widerspruch zur langjährigen Wiener Tradition, in der Wohnraum als soziales Gut gesehen wird, das allen zusteht. Die Wiener Wohnungspolitik tut vieles und hat auch gute Instrumente geschaffen. Der Social Housing-Sektor ist nach wie vor ein guter Dämpfer, um die Mietpreise nicht völlig abheben zu lassen, aber das ist nicht alles: 2018 wurde die neue Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster geschaffen, die besagt, dass zwei Drittel der Fläche für geförderten Wohnbau vorgesehen sind. Überdies betreibt der Wohnfonds Wien eine kluge Bodenbevorratung, um leistbaren Wohnraum zu schaffen.
Aber einschränkend ist hinzuzufügen, dass der geförderte Wohnbau für eine immer größer werdende Gruppe von Geringverdiener_innen nicht mehr wirklich „leistbar“ ist. Bei vielen Vorzeigeprojekten, auf die die Stadt Wien auch zurecht stolz ist, müssen die Mieter_innen mit Quadratmeterpreisen von etwa 12 Euro rechnen, Eigenmittel von etwa 500 Euro/m2, aber auch Genossenschafts- und Vereinsbeiträge, Beiträge zur Ausstattung von Gemeinschaftsflächen etc. kommen bisweilen dazu. Da ist man bei den immer kleiner werdenden Wohnungen schnell einmal bei 50.000 Euro – d.h. viele Menschen sind ausgeschlossen von diesem Segment. Auch wenn als Reaktion das Instrument der „Superförderung“, letztlich ein zurückzuzahlender Kredit, geschaffen worden ist, kann nicht verleugnet werden, dass die „soziale“ Wohnungsproduktion heute auf die Mittelschicht konzentriert ist. Fazit: Die Stadt Wien tut vieles, aber sie tut zu wenig für untere Einkommensschichten und tut zu wenig, um der investmentgetriebenen Wohnungsproduktion entgegenzutreten.
Denken Sie, dass ein Vorgehen gegen den Leerstand die angespannte Situation für den Wohnungsmarkt entspannen würde, aber auch die fortschreitende Bodenversiegelung durch Neubau verhindern könnte?
Anita Aigner: Leerstand ist dann ein Problem, wenn er in großem Umfang im investmentgetriebenen Neubau auftritt. ) Unlängst war im Guardian, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster zu lesen, dass in China 65 Millionen Anlagewohnungen leer stehen, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster, also ein Fünftel des chinesischen Wohnungsbestandes. Das ist eine strukturelle Fehlentwicklung, ökologisch und sozial, von der wir (noch) weit entfernt sind, aber Ansätze in diese Richtung zeigen sich auch bei uns. Da müsste von der Politik gezielt entgegensteuert und überlegt werden, welche Instrumente auf gesetzlicher Ebene geschaffen werden können, um die Investition in Anlageimmobilien unattraktiv zu machen – etwa die Einführung von Vermögenssteuern, wie das in der Zwischenkriegszeit der Fall war.
Ich würde den Leerstand nicht als einziges Problem sehen und in den Vordergrund stellen, es ist auch schwer feststellbar, wieviel da – jedenfalls im privaten Sektor – wirklich freisteht. Ich denke, es gäbe neben einer Leerstandsabgabe noch eine Reihe anderer Maßnahmen. Eine Grundfrage ist etwa, ob Grundstücke, Kasernen, Schulen oder andere ungenutzte Gebäude in Bundesbesitz an profitorientierte Developer verscheppert werden dürfen. Meiner Meinung nach ist es nicht im öffentlichen Interesse, ein Grundstück, das uns allen gehört – wie etwa jenes, auf dem die Wohntürme von Triiiple, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster stehen – investmentgetrieben zu verwerten, ebenso wenig aus einer Kaserne Anlegerwohnungen zu machen. Da müsste es strengere Vorgaben geben, um Flächen im Kollektiveigentum verpflichtend gemeinwohl-orientiert zu bewirtschaften. Viele Baugruppen, die eine Dekommodifizierung gewährleisten würden, wären über Bestandsobjekte erfreut und wären da eine bessere Lösung. Das ist aber in der öffentlichen Diskussion (noch) kein Thema.
Überhaupt wäre die Losung der Zeit, so wenig wie möglich neu zu bauen. Bereits Ende März wurde in Österreich so viel Fläche verbaut, wie für das gesamte Jahr angepeilt. Jeder Neubau ist künftig – und das ist, um die Klimaziele zu erreichen, die größte Herausforderung – viel entschlossener vor einem ökologischen Hintergrund abzuwägen. Wir können es uns gar nicht leisten so weiterzumachen wie bisher, an den Rändern der Stadt weiterhin unnachhaltige Gewerbeparks errichten, eingeschoßig und davor mit riesigen Parkflächen, oder auch Einfamilienhausteppiche zwischen Dörfern wachsen zu lassen. Das ist unverantwortlicher Umgang mit der nicht vermehrbaren Ressource Boden.
Wie ist ihre Zukunftsvision für den Wohnungsmarkt?
Anita Aigner: Hm, ich lese nicht gerne im Kaffeesud, aber ich befürchte, dass die Investmentschiene weiterlaufen wird. Günstig wäre, wenn mehr Druck gemacht würde vonseiten der Bevölkerung. Aber wir haben inzwischen ja diese ambivalente Situation, dass immer mehr Leute selbst Kleinanleger_innen sind und ein persönliches Profitinteresse mit Wohnraum verbinden. Die Preisentwicklung wird ja von vielen mit großer Freude betrachtet, weil sie individuell von Vorteil ist. Das Problem ist, dass zu wenige Menschen das auf einer gesellschaftlichen Ebene sehen können, dass die individuelle, kulturelle Praxis des Investierens in Wohnimmobilien auf einer gesellschaftlichen, kollektiven Ebene nachteilig ist – genauso wie beim Kauf großer Autos, beim Fliegen oder beim Bauen von Einfamilienhäusern. In meiner Vision von einer sozial und ökologisch nachhaltigen Entwicklung spielen Architekt_innen eine neue Rolle. Das geht weit über ökologische Bauplanung hinaus. Sie werden künftig auch Spezialist_innen des Nicht- und Rückbauens sein. Asphalt wegmachen, Nachverdichten, Renaturieren, Häuser energetisch autark machen, Ressourcen sparen – das wird in Zukunft eine unverzichtbare planerische Kompetenz sein. Da sind auch wir als Ausbildungsinstitution gefragt, die Leitbilder von Planer_innen zu adaptieren und überholte Wertorientierungen nachzujustieren.
Danke für das Interview!
Anita Aigner ist Assistenzprofessorin der Fakultät für Architektur und Raumplanung TU Wien, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster, wo sie mit Schwerpunkt Architektursoziologie am Institut für Kunst und Gestaltung, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster lehrt und forscht. Sie promovierte 1998 mit einer bauhistorischen Arbeit zum kommunalen Wiener Wohnbau der Zwischenkriegszeit und publiziert seitdem u.a. zu Themen des Wohnens – etwa zum Wohnungszugang von Geflüchteten, zur werblichen Darstellung und Finanzialisierung von Wohnraum. Zuletzt gab sie 2021 den Band „Hier kommt der Investor ..., öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster“ heraus. Wer sich für Wohnraum als Investment interessiert, kann sich auf ResearchGate in ihrer kritischen Forschung vertiefen https://www.researchgate.net/profile/Anita-Aigner/research, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster.
Interview: Edith Wildmann
#staytuned: Mit Anita Aigner über das Wohnen diskutieren: am 29. April von 10-12 Uhr live auf den TUW-Social Media-Kanälen Facebook, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster und Instagram, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster.
Tipp: Am 27.04. hält Anita Aigner einen öffentlichen Vortrag an der künstlerischen VHS "Betongold und Immobilienspekulation. Kritische Kommentare aus der Kunst, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster".
Die Reihe „Forum Zukunft“
In der Interviewreihe "Forum Zukunft" der TU Wien kommen zu zentralen Zukunftsthemen Expert_innen zu Wort. Bereits erschienen:
- Verkehrsplanerin BARBARA LAA im Interview über ihre Vision vom Verkehr des Jahres 2040,
- Bautechnikerin AZRA KORJENIC zu zukunftsfähigem und ökologischem Bauen,
- Energieexperte REINHARD HAAS zu alternativen Energiequellen und Ressourcen,
- Experte für Abfallwirtschaft und Ressourcenmanagement HELMUT RECHBERGER zu einem verantwortungsvollen und zukunftsfähigen Umgang mit Abfall
- Leiter des Forschungsbereichs „Databases and Artificial Intelligence“ STEFAN WOLTRAN über die Zukunft der KI
- Expert_innen des Forschungsbereichs Wasserwirtschaft über unseren Umgang mit der wertvollen Ressource Wasser.