Vision des Wasserbau und der Umwelthydraulik

In der Vergangenheit befasste sich der Wasserbau hauptsächlich mit dem fließenden Wasser und der (weitgehend) empirischen Planung sowie dem Bau von Bauwerken zu dessen Steuerung. Wechselwirkungen mit dem Sedimenttransport und  mit ökologischen Prozessen wurden weitgehend außer Acht gelassen. Flüsse wurden ausgebaut, um die Schifffahrt zu verbessern, um fruchtbares Land im Überschwemmungsgebiet zurückzugewinnen oder um Hochwassergefahren zu mindern. Dämme und Stauseen wurden gebaut, um Wasserkraft zu erzeugen, um das Hochwasserrisiko zu verringern oder um die Trinkwasser- und Bewässerungsinfrastruktur zu verbessern. Wasserbauprojekte störten oft das langfristige morphodynamische Gleichgewicht, was zu Erosion oder Verlandung führte, mit wiederum potenziell verheerenden Auswirkungen auf die Hochwassergefahr oder die Schifffahrt. Darüber hinaus führten Wasserbauprojekte meist zu einer Homogenisierung von Abfluss, Fließgeschwindigkeiten, Substrat und Morphologie, was sich negativ auf das Ökosystem auswirkte.

"Wasserbau und Umwelthydraulik" haben sich zu wissenschaftlich fundierten interdisziplinären Gebieten an der Schnittstelle von Bauwesen, Hydraulik, Strömungsmechanik, Sedimenttransport, Geomorphologie, Biologie und Chemie entwickelt (Abb. 1). Heutzutage geht es in diesen Feldern darum, mehrere Ziele miteinander in Einklang zu bringen: Gefahrenminimierung (Überschwemmungen, Trockenheit, Verschmutzung), Entwicklung sozioökonomischer Funktionen (Stromerzeugung aus Wasserkraft, Schifffahrt, Bewässerung) und Erhaltung bzw. Wiederherstellung der (ursprünglichen) ökologischen Funktionen. Vereinfacht könnte man sagen, dass sich der Wasserbau vom Bau von Wasserbauwerken zur Kontrolle des Wassers  durch subtile Beeinflussung der Prozesse entwickelt hat, bei denen fließendes Wasser, Sediment und Biota aufeinandertreffen (Abb. 1). In den Industrieländern hat sich der Schwerpunkt von der Planung und dem Bau neuer Bauwerke auf die Optimierung der Planung, des Betriebs und der Instandhaltung bestehender Bauwerke sowie auf die Abschwächung nachteiliger Auswirkungen bestehender Bauwerke verlagert.

Eine Interdisziplinäre Betrachtung der Bereiche Sedimenttransport, Gewässermorphologie, Wasserbau sowie Wasserqualität bzw. Gewässerökologie beeinflusst unmittelbar die Auswahl der wissenschaftlichen Herangehensweise bzw. die möglichen Lösungsansätze einer ingenieurtechnischen Problemstellung. Dadurch bestimmt sich welche Methoden, wie beispielsweise Laboruntersuchungen, Feldmessungen, numerische oder theoretische Modellierungen etc. zu einer ingenieurtechnisch umsetzbaren Lösung von Nöten sind um langfristig sinnvolle und zukunftsorientierte Lösungen bieten zu können. Projektkollaborationen sowie die Untergliederung in mehrere Teildisziplinen sowie –projekte führen in einem Zeithorizont von rund 10 Jahren einer solchen langfristigen und ingenieurtechnisch umsetzbaren Lösung.

Abb.1 Schematische Darstellung der Vision des Wasserbaus und der Umwelthydraulik und ihrer Hauptpfeiler

Die gesellschaftliche Relevanz dieses interdisziplinären und multizentrischen Ansatzes im Wasserbau wird in aktuellen politischen Rahmenwerken wie der EU-Wasserrahmenrichtlinie und den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung hervorgehoben. In diesen politischen Rahmenwerken wird insbesondere die Bedeutung der Erhaltung oder Wiederherstellung der ökologischen Funktionen behandelt. Dieser interdisziplinäre und multizentrische Ansatz im Wasserbau und in der ökologischen Hydromechanik ist auch wissenschaftlich relevant. Ingenieurtechnische Instrumente sind oft durch unangenehm hohe Unsicherheiten gekennzeichnet, die größtenteils auf ein mangelndes Verständnis der Prozesse an der Schnittstelle zwischen den verschiedenen Disziplinen zurückzuführen sind.

Diese Vision des Wasserbaus und der Umwelthydraulik ist die Grundlage unserer Forschungs- und Lehrtätigkeit.