Zum Auftakt der Workshopwoche diskutierte Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster, Staatsminister a.D., von der Ludwig-Maximilians-Universität München mit uns über die Zukunft der Universitäten.

Julian Nida-Rümelin gehört neben Jürgen Habermas und Peter Sloterdijk zu den renommiertesten Philosophen in Deutschland. Er lehrt Philosophie und politische Theorie an der Universität München. 

 

Wann? Montag, 02.03.2015 um 18:00 Uhr
Wo? Kuppelsaal, Karlsplatz 13, 4. Stock, 1040 Wien

 

Standard, öffnet eine externe URL in einem neuen FensterPresse , öffnet eine externe URL in einem neuen Fensterund Wirtschaftsblatt , öffnet eine externe URL in einem neuen Fensterberichteten.

 

Abtract:

"Zur conditio humana gehört seit Menschengedenken das Bestreben, auf die natürliche Umwelt einzuwirken, aus ungeformter Natur nützliche Gegenstände zu schaffen.

Handwerk und Technik sind eben keine Erfindungen der Moderne, sondern begleiten die menschliche Existenz seit ihren Ursprüngen. Eine vom Haptischen, vom Handwerklich-technischen dissoziierte Bildungselite verliert daher den Zugang zu einem zentralen Element menschlicher Lebensform.

Wenn sich diese Tendenz verallgemeinert und immer größere Teile der Bevölkerung umfasst, verwandelt sich dieser Verlust von einem individuellen zu einem kulturellen, gesamtgesellschaftlichen Defizit. Gerade aber in Deutschland ist das verarbeitende Gewerbe weit stärker vertreten als in den meisten anderen westlichen Industrieländern und auf die Produktion hochwertiger Qualitätsprodukte spezialisiert.

Der Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften bleibt in Deutschland ungebremst, wenn auch in den vergangenen Jahren die berufliche Bildung aufgrund des grassierenden Akademisierungswahns vernachlässigt wurde. Ein Bildungssystem muss sich an der Vielfalt von Begabungen, Interessen, Berufs- und Lebenswegen und an den Bedingungen der Lebenswelt orientieren: Kulturelle Traditionen, ökonomische Bedingungen, biographische Muster, die Verteilung der Verantwortung auf unterschiedliche Bildungsträger differieren weltweit erheblich, der aufgebaute Homogenisierungsdruck droht diese Form der Diversität zu beschädigen und damit kulturelle Identitäten, aber auch ökonomische Erfolgsfaktoren in den einzelnen Ländern in Mitleidenschaft zu ziehen.

Ich empfehle nicht nur Deutschland, sondern auch anderen Ländern mehr Bildungsstolz, mehr Selbstgewissheit, mehr Zukunftsvertrauen. Nur wer zutiefst verunsichert ist, sucht in der Anpassung sein Heil."

 

Kurzbiografie:

Julian Nida-Rümelin studierte Philosophie, Physik, Mathematik und Politikwissenschaft, wurde in Philosophie bei Wolfgang Stegmüller promoviert, war dann wissenschaftlicher Assistent in München und habilitierte sich dort 1989. Nach einer Gastprofessur in den USA übernahm er erst einen Lehrstuhl für Ethik in den Bio-Wissenschaften an der Universität Tübingen, dann für Philosophie an der Universität Göttingen.

Anschließend folgte er einem Ruf an das Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München, dessen Direktor er von 2004 bis 2007 war. 2009 wechselte er in die philosophische Fakultät auf einen Lehrstuhl für Philosophie. 2011 veranstaltete er als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie den Kongress „Welt der Gründe“ mit 400 Vorträgen und 2700 Teilnehmern in München. Von 2004 bis 2012 wirkte er als Kuratoriumsvorsitzender des Deutschen Studienpreises. Er ist Mitinitiator und Sprecher des berufsbegleitenden Masterstudiengangs Philosophie, Wirtschaft, Politik an der Universität München. Seit 2011 leitet JNR das interdisziplinäre Münchner Kompetenzzentrum für Ethik. 2014 verlieh ihm die Universität Triest die Ehrendoktorwürde. Seit 2014 ist er im Beratungsausschusses des Instituts für Recht, Politik und Entwicklung (Instituto Dripolis) der Scuola Superiore Sant’Anna in Pisa.

Julian Nida-Rümelin ist Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin, ord. Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste und der Akademie für Ethik in der Medizin.

Für fünf Jahre (1998-2002) wechselte JNR in die Kulturpolitik, zunächst als Kulturreferent der Landeshauptstadt München und dann als Kulturstaatsminister im ersten Kabinett Schröders.

Nida-Rümelin kooperiert mit dem Deutschen Verband für Finanzanalysten und Assetmanager (DVFA) für eine ethisch sensible Ausbildung von Finanzmanagern und ist Mitglied des Beirats Integrität und Unternehmensverantwortung der Daimler AG, sowie Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Parmenides Academy GmbH, einem think tank, welches Führungskräfte in philosophisch-ethischen Fragestellungen schult und berät.

JNR hat bis heute zahlreiche Bücher verfasst, die sich mit Themen aus der praktischen Philosophie und politischen Theorie befassen, darunter Kritik des Konsequentialismus (1993), Economic Rationality and Practical Reason (1997), Ethische Essays (2002), Angewandte Ethik (2005)², Demokratie und Wahrheit (2006), Philosophie und Lebensform (2009) sowie die Reclam-Trilogie über Rationalität (2001), Freiheit (2005) und Verantwortung (2011).

Zuletzt sind erschienen: Die Optimierungsfalle - Philosophie einer humanen Ökonomie (2011), Risikoethik (2012), der Sokrates-Club – Philosophische Gespräche mit Kindern sowie Philosophie einer humanen Bildung (2013) sowie der Akademisierungswahn - zur Krise beruflicher und akademischer Bildung (2014).

Einige politische Reden sind in dem Band Humanismus als Leitkultur (2006) zusammengestellt.

Der Band Vernunft und Freiheit – zur praktischen Philosophie von Julian Nida-Rümelin (2012) herausgegeben von Dieter Sturma diskutiert zentrale Aspekten seiner philosophischen Arbeit.