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ERC-Grant für Noelia Barrabés: Die Chemie der Spiegelbilder

Ein Molekül kann sich ganz anders benehmen als sein Spiegelbild. Noelia Barrabés untersucht, wie sich die Entstehung solcher Moleküle erklären und steuern lässt und erhält nun einen ERC Consolidator Grant für das Projekt „HAND“.

Portraitfoto im weißen Mantel im Labor

Viele Moleküle gibt es in zwei verschiedenen Varianten, die sich wie Spiegelbilder zueinander verhalten, oder wie eine rechte Hand zur linken Hand. Man spricht dann chiralen Molekülen. Sie bestehen aus genau denselben Atomen, können sich aber beispielsweise bei medizinischen Anwendungen völlig unterschiedlich verhalten.

Zu verstehen, wie es bei der Entstehung solcher Moleküle zur einen oder anderen Chiralität kommt, ist extrem schwierig. Beide Varianten entstehen bei den gleichen Temperaturen und Umgebungsbedingungen aus den gleichen Bausteinen. Noelia Barrabés vom Institut für Materialchemie der TU Wien hat aber nun einen neuen Weg gefunden, die Chiralität bei chemischen Reaktionen besser zu verstehen – nämlich mit atomar präzise maßgeschneiderten Goldpartikeln. Nun wurde sie vom European Research Council (ERC) mit einem ERC Consolidator-Grant ausgezeichnet – einer der prestigeträchtigsten und höchstdotierten Förderungen der europäischen Forschungslandschaft.

Heilend oder schädlich?

Traurige Berühmtheit erlangte das Problem der spiegelverkehrten Moleküle durch die Contergan-Affäre in den 1950er und 1960erjahren: Damals kamen tausende Kinder mit Missbildungen zur Welt, weil das Molekül Thalidomid, der Wirkstoff des Medikaments Contergan, in zwei verschiedenen Formen auftritt: In einer linkshändigen und einer rechtshändigen. Auf den menschlichen Körper wirken sie völlig unterschiedlich: Die eine Variante ist ein gut verträgliches Schlafmittel, die andere kann bei Einnahme in der Schwangerschaft zu Fehlbildungen führen.

Mittlerweile gibt es technische Möglichkeiten, bei chemischen Reaktionen ganz gezielt nur eine Version eines Moleküls herzustellen und sein Spiegelbild nicht. Diese Methoden sind allerdings meist davon abhängig, einen chiralen Katalysator in einer flüssigen Lösung zu verwenden, der danach dann mühevoll vom gewünschten Produkt separiert werden muss.

Noelia Barrabés ging in den letzten Jahren einen anderen Weg: Sie beschäftigt sich mit Katalysatoren, die in fester Form vorliegen und auf einer Oberfläche festgehalten werden können. Das würde eine viel einfachere und effizientere industrielle Nutzung erlauben. „Wenn es auf diese Weise gelingt, die Chiralität von Molekülen zu steuern und den Prozess genau zu verstehen, wäre das ein großer Durchbruch in der Materialforschung“, sagt Noelia Barrabés. „Und die bisherigen Ergebnisse sehen sehr vielversprechend aus.“

Zunächst werden kleine Goldcluster hergestellt, die dann als Katalysatoren dienen. „Nanopartikel aus Metall als Katalysatoren einzusetzen, ist nichts Ungewöhnliches“, erklärt Noelia Barrabés. „Aber normalerweise hat man es mit einer Verteilung unterschiedliche Partikelgrößen und Oberflächenkonfigurationen zu tun. Bei uns hingegen sind die Goldcluster ganz präzise definiert, sie bestehen alle aus exakt derselben Zahl von Atomen. Daher kann man ihre chiralen Eigenschaften mit ihrer Struktur in Verbindung bringen.“

Diese Goldcluster werden dann auf einer Oberfläche fixiert und mit zusätzlichen Molekülen versehen, den sogenannten Liganden. „Es ist uns gelungen, das Verhalten dieser Gold-Nanocluster auf atomarer Ebene zu verstehen“, sagt Noelia Barrabés. „Wir können also eine Oberfläche mit Nano-Clustern herstellen, die ganz bestimmte Chiralitäts-Eigenschaften haben und somit auch chemische Reaktionen an dieser Oberfläche gezielt beeinflussen können.“ Was dabei genau vor sich geht, wird Barrabés mit ihrem Team nun genau untersuchen – unter anderem mit einem neuen Vibrational Dichroism Spectroscopy-Mikroskop, dessen Anschaffung durch den ERC-Grant ermöglicht wird, und mit dem man die Messungen auch auf Oberflächen ausweiten kann. So lassen sich direkt während der chemischen Reaktion die Chiralitätseigenschaften verschiedener Moleküle beobachten.

Noelia Barrabés

Noelia Barrabés studierte in Spanien, an der Universität Rovira i Virgili in Tarragona. Dort schloss sie im Jahr 2009 auch ihre Dissertation ab. Schon als Doktorandin absolvierte sie mehrere Forschungsaufenthalte im Ausland (TU Wien und Queens University of Belfast). Danach ging sie als Postdoc nach Montpellier (Frankreich), bevor sie 2010 mithilfe eines IEF Marie Curie Stipendiums an die TU Wien kam. Ab 2012 verbrachte sie einige Jahre an der Universität Genf, finanziert durch ein SNF Marie Heim-Vögtlin Stipendium, bevor sie 2015 erneut an die TU Wien zurückkehrte, wo sie sich 2023 in physikalischer Chemie habilitierte. Mehrere Preise und Auszeichnungen konnte sie bereits gewinnen, darunter eiin Elise Richter Stipendium des FWF. Der ERC-Consolidator Grant, dotiert mit rund zwei Millionen Euro, wird ihr nun erlauben, ihre Forschungsarbeit weiter auszubauen.

 

Rückfragehinweis

Noelia Barrabés
Institut für Materialchemie
Technische Universität Wien
+43 1 58801 165109
noelia.rabanal@tuwien.ac.at

Text: Florian Aigner