Die psychologischen Belastungen in unserem (Arbeits-) Alltag steigen ständig. An der TU Wien gibt es seit vielen Jahren Unterstützung für Studierende, die unter mentalen Belastungen und psychologischen Erkrankungen leiden. Nun soll das bestehende Programm mit interner Kompetenz erweitert werden: Seit Anfang April arbeitet Lisa Vrablicz im Student Support im Bereich Student Inclusion and Wellbeing als klinische Psychologin. Im Interview gibt sie Einblicke in ihre Arbeit und gibt Tipps für mehr Entspannung im (Arbeits-) Alltag.
Wieso benötigen Studierende an der TU Wien psychologische Unterstützungsangebote?
Lisa Vrablicz (LV): Wir sind mit einer hohen mentalen Belastung in der Gesellschaft konfrontiert, die macht auch vor den Toren einer Universität nicht halt. Viele Studierende brauchen psychologische Unterstützung, können sich diese aber nicht leisten. Es ist schön, dass die TU Wien im Rahmen der Einzelberatung, die bereits seit einigen Jahren angeboten wird, die Kosten für bis zu drei Beratungseinheiten übernimmt. Außerdem werden Workshops zu unterschiedlichen Themen angeboten. Was mit meinem Start an der TU Wien verbunden ist, ist der Aufbau einer internen Kompetenz, um das Angebot zu erweitern und um insbesondere auf die Anliegen und Bedürfnisse der Studierenden eingehen zu können.
Mit welchen Aufgaben beschäftigen Sie sich?
LV: Ein großes Aufgabengebiet ist die Unterstützung der Ombudsstelle für Studium und Lehre sowie des gesamten Teams im Student Support. Laufend erreichen uns Anfragen bezüglich psychischer Belastungen, welche von mir bearbeitet werden. Auch mit unserer Behindertenbeauftragten Nicole Kretschy stehe ich immer wieder im Austausch und unterstütze sie in psychologischen Belangen. Ich bin auch an der Entwicklung und Umsetzungvon Angeboten für Studierende eingebunden. Die Palette erstreckt sich dabei von Angeboten bei Lernschwierigkeiten bis zur Unterstützung von Studienbeginner_innen oder Studierenden kurz vor dem Abschluss sowie Beratung beim Wechsel des Studienfachs und Ähnlichem. Wichtig ist mir auch die Psychoedukation von Lehrenden und Studierenden bezüglich psychischer Erkrankungen und wie damit erfolgreich der Studienalltag gemeistert werden kann. Dazu gibt es Gespräche, aber auch Workshops, Veranstaltungen wie beispielsweise den Tag des barrierefreien Studierens, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster und Online-Angebote, die sowohl von Lehrenden als auch von Studierenden genutzt werden können.
Geplant sind außerdem Unterstützungsangebote auf Englisch für internationale Studierende sowie die Einrichtung eines Service Desks in den zukünftigen Räumlichkeiten des Student Supports, wo Studierende eine direkte Anlaufstelle vor Ort für ihre Anliegen an den Student Support haben.
Wie groß ist Ihrer Meinung nach der Einfluss von Social Media auf unsere Psyche bzw. sind diese Formate wirklich so schädlich für die Psyche wie ihr Ruf?
LV:Social Media hat einen großen Einfluss auf die menschliche Psyche, sowohl im positiven wie auch negativen Sinn. Als negativ bemerke ich, dass manche oft gar nicht merken, wie viel Zeit sie auf diesen Plattformen verbringen, da diese darauf ausgelegt sind, uns möglichst lange am Scrollen zu halten. Weiters kann Social Media auch einen negativen Einfluss auf den Selbstwert mancher Menschen haben, wenn diese regelmäßig die vermeintlich „perfekten“ Leben anderer vor Augen haben. Auch die Aufmerksamkeitsspanne kann durch Social Media beeinflusst werden. Wenn es zur Gewohnheit geworden ist, hauptsächlich Videos von ein paar Sekunden zu konsumieren, kann es immer schwerer fallen, sich auf einen ganzen Film, ein Buch oder Uniliteratur zu konzentrieren.
Als positive Einflüsse sehe ich neben Spaß und Entspannung die Möglichkeit sich mit anderen auszutauschen, ein Zugehörigkeitsgefühl zu bestimmten Gruppen zu entwickeln und infolgedessen auch zu merken, dass niemand mit den eigenen Problemen allein ist. Darüber hinaus kann Social Media neue Anregungen und Ideen bieten, die sonst möglicherweise unentdeckt geblieben wären.Wie bei so vielen Dingen, kommt es bei Social Media also auch auf die bewusste und reflektierte Nutzung an, um mögliche negativen Konsequenzen so gering wie möglich zu halten.
Wird aus Ihrer Expert_innensicht heute mehr psychologische Betreuung benötigt als früher bzw. gibt es mehr psychologische Erkrankungen als noch vor 50 Jahren?
LV: Meiner Meinung nach gibt es heute nicht mehr psychische Erkrankungen als vor 50 Jahren. Ich denke Menschen haben immer schon mit Themen wie Depressionen oder Angststörungen gekämpft. Die generelle Einstellung zu psychischen Erkrankungen und deren Behandlung hat sich aber über die Jahre geändert. Heutzutage gibt es Begrifflichkeiten für verschiedenste psychische Störungsbilder und es wird sehr viel mehr und offener darüber gesprochen. Psychische Erkrankungen werden ernstgenommen und es wird gesellschaftlich mehr und mehr akzeptiert psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Erfreulicherweise ist es möglich, mit der Unterstützung von Psychotherapie und Psychopharmaka die meisten Erkrankungen sehr gut zu behandeln. Es wird ständig geforscht, der Bereich und auch die Behandlungsmöglichkeiten entwickeln sich daher laufend weiter.
Haben Sie abschließend noch ein paar Profi-Tipps gegen Stress im (Arbeits-) Alltag?
LV: Zunächst einmal finde ich es beim Thema Stress wichtig zu erwähnen, dass Stress per se nichts Schlechtes ist. Stress macht uns leistungsfähig und hilft uns herausfordernde Situationen zu meistern. Problematisch ist eher der Dauerstress. Also wenn es nach einer Stressreaktion nicht zu Entspannung kommt, sondern dauerhaft Stresshormone ausgeschüttet werden.
Ich denke im Umgang mit Stress, gibt es verschiedene Ansätze. Einerseits kann man versuchen, die Umgebung zu verändern, also Umstände, welche erfahrungsgemäß zu Stress führen. Wenn ich mich durch 30 ECTS im Semester gestresst fühle, kann ich mir vielleicht nur 20 einplanen. Wenn mich Umgebungslärm beim Lernen stresst, kann ich mir beispielsweise Noise Cancelling Kopfhörer zulegen. Die Umwelt zu ändern ist aber natürlich nur in manchen Situationen möglich.
Bei nicht veränderbaren Umständen kann versucht werden, die eigene Bewertung der Situation zu verändern. Denn es ist nicht die Situation allein, die zu Stress führt, sondern auch die eigene Bewertung der Situation. Wenn ich mir z.B. denke: „Diese eine Prüfung wird über mein gesamtes restliches Leben entscheiden und Durchfallen wäre das Ende der Welt“, wird mich diese Prüfung wahrscheinlich sehr viel mehr stressen, als wenn ich mir denke: „Diese Prüfung ist zwar herausfordernd, aber ich werde mein Bestes geben und das Schlimmste, was mir passieren kann, ist eine Nachprüfung, die Welt wird in dem Fall nicht untergehen.“.
Und dann gibt’s natürlich auch noch Methoden, um bereits erlebten Stress zu reduzieren. Bewegung ist dabei sehr hilfreich, weil unser Körper ursprünglich darauf ausgelegt ist, sich bei Stress zu bewegen – beispielsweise durch Kampf oder Flucht – und sich danach wieder zu entspannen. Auch Atemübungen wie Bauchatmung und Atemzählen können Stress abbauen, dem Körper wird durch tiefes Atmen signalisiert, dass er in Sicherheit ist.
Vielen Dank für das Gespräch.
Veranstaltungstipp Workshop „Heute anfangen: Vom Aufschieben ins Tun kommen“
In dem Workshop geht es darum, zu verstehen, was Prokrastination ist und welche Ursachen dahinterstecken könnten. Außerdem wird gemeinsam erarbeiten, was Teilnehmer_innen derzeit gerade prokrastinieren und mit welchen Methoden sie raus aus dem Prokrastinieren und ins Tun kommen können.
Termine:
- Di, 28.05.2024, 16:00 - 18:00 Uhr
Seminarraum 8, Hauptgebäude (Karlsplatz 13, Stiege 7, EG) - Do, 06.06.2024, 15:00 – 17:00 Uhr
Seminarraum AA 03 - 1 – CEE, Hauptgebäude (Karlsplatz 13, Stiege 1, 3. Stock), - Di, 11.06.2024, 16:00 – 18:00 Uhr
Seminarraum AA 03 - 1 – CEE, Hauptgebäude (Karlsplatz 13, Stiege 1, 3. Stock),
Zielgruppe: Bachelor-, Master- und Doktorat-Studierende
Weitere Informationen und Anmeldung bis 26. Mai 2024 auf der Webseite Psychologische Beratung und Mental Health
Weitere Unterstützungsangebote auf der Webseite des Student Supports.
Angaben zur Person
Lisa Vrablicz ist in St. Pölten geboren. In Wien hat sie ein Psychologie-Studium sowie die Ausbildung zur klinischen Psychologin absolviert. Erfahrung in der Beratung von Studierenden hat sie während ihrer Arbeit bei der Studierendenberatung in Linz sammeln können.