Titel

Dipl.-Ing.

Interviewdatum

Oktober 2012

Porträt von Johanna Marchhart
Johanna Marchhart über dem Tisch gebeugt beim Bearbeiten eines Planes

Frau Marchhart im Kurzinterview

Ich bin im Herbst 1945 vom Arbeitsdienst nach Wien zurück gekommen und habe im Oktober mit meinem Studium der Architektur begonnen. Nachdem ich die Mittelschule im Krieg gemacht habe und keine Matura hatte, musste ich Prüfungen in Mathematik und darstellender Geometrie nachmachen. Dafür gab es dreimonatige Kurse an der Technischen Hochschule.
Unsere Mittelschule hat eigentlich schon in der 7. Klasse aufgehört. Die 8. Klasse dauerte nur einen Monat und dann hatten wir ein Abschlusszeugnis und keine Matura. Zwischen den Schulwochen waren wir bei kinderreichen Familien oder in der Konservenfabrik in Inzersdorf eingesetzt. Die Matura wäre im Frühjahr 1945 gewesen, da waren wir aber schon ein halbes Jahr beim Arbeitsdienst. Alle waren im Kriegseinsatz. Die Burschen waren schon ab der 6. Klasse bei der Heimat-Flak.
Ich war dann außerordentliche Hörerin, bis ich diese zwei Kurse absolviert hatte. Danach war ich ordentliche Hörerin. An Zeit habe ich praktisch nichts verloren; die Kurse sind mir angerechnet worden und waren während des ersten Semesters. Insgesamt habe ich von 1945 bis 1951 studiert. 1949 war ich mit dem Besuch aller Vorlesungen fertig. Zwischen 1949 und 1951 war ich dann schon voll berufstätig. In diesem Jahr habe ich an der Uni noch jene Programme und Prüfungen gemacht, die mir fehlten. Im Architekturbüro war ich von 8 bis 17 Uhr. In der Früh habe ich gelernt und am Abend für die Uni gezeichnet. Im Sommer 1951 habe ich dann mein Diplom bekommen. Zur ersten Staatsprüfung musste man alle Einzelzeugnisse einreichen. Die zweite Staatsprüfung dauerte eine Woche zur Erstellung eines Entwurfs, anschließend erfolgte eine mündliche Prüfung aus einigen Gegenständen.

Ich habe Architektur studiert. Wir waren ungefähr 20 Prozent Mädchen. Dann kamen viele Heimkehrer aus dem Krieg. Alle waren bestrebt schnell fertig zu werden, um die verlorene Zeit einzubringen.
Wir haben uns noch im Rektorat angestellt und dort Studiengeld (140 ATS pro Semester) bezahlt. Das klingt vorsintflutlich für heutige Begriffe im Zeitalter des Computers. Dann gab es die großen roten Studienbücher, in denen man Vorlesungen und Übungen an- und abtestieren musste.
Mit Mantel und Fäustlingen sind wir im Hörsaal gesessen, weil es keine Heizung gab. Alle Hörsäle waren überfüllt. Das oberste Geschoss für die Architekten gab es noch nicht, das ist erst viel später gekommen.

 

Ich habe mich immer für Kunstgeschichte interessiert, das hätte ich sehr gerne studiert. Aber es war im und nach dem Krieg eher eine brotlose Kunst. Meine Eltern haben mir freie Hand gelassen. Ich habe mir das Studium aussuchen können und habe Architektur gewählt. Es war für mich der richtige Beruf.

Die Kurse an der TH waren gut erklärt. Die Kollegen haben mitgeholfen, vor allem in der darstellenden Geometrie, das kann man nicht in drei Monaten lernen. In der Schule war es nicht im Unterrichtsplan und als Freifach hatten wir es auch nicht. Wir hatten im Radetzki-Realgymnasium nur eine Englischprofessorin für zehn Klassen!

Erinnern kann ich mich noch an die Professoren Ginhart (Kunstgeschichte), Lehmann, Holey, Theurer, Boltenstern, Engelhart, Kupsky, Pfann (Garten- und Innenraumgestaltung). Professor Boltenstern leitet den Wiederaufbau der gebombten Staatsoper, Professor Engelhart den des Burgtheaters, Professor Holey (unser Dekan) den des Stephansdoms.

 

Ich habe mich immer für Kunstgeschichte interessiert, das hätte ich sehr gerne studiert. Aber es war im und nach dem Krieg eher eine brotlose Kunst. Meine Eltern haben mir freie Hand gelassen. Ich habe mir das Studium aussuchen können und habe Architektur gewählt. Es war für mich der richtige Beruf.

Die Kurse an der TH waren gut erklärt. Die Kollegen haben mitgeholfen, vor allem in der darstellenden Geometrie, das kann man nicht in drei Monaten lernen. In der Schule war es nicht im Unterrichtsplan und als Freifach hatten wir es auch nicht. Wir hatten im Radetzki-Realgymnasium nur eine Englischprofessorin für zehn Klassen!

Erinnern kann ich mich noch an die Professoren Ginhart (Kunstgeschichte), Lehmann, Holey, Theurer, Boltenstern, Engelhart, Kupsky, Pfann (Garten- und Innenraumgestaltung). Professor Boltenstern leitet den Wiederaufbau der gebombten Staatsoper, Professor Engelhart den des Burgtheaters, Professor Holey (unser Dekan) den des Stephansdoms.

Sie waren eine der ersten Frauen, die an der TU Wien studiert haben. Was ist Ihnen aufgefallen? Welche Erlebnisse und Begebenheiten sind Ihnen in Erinnerung geblieben?

Wir hatten Übungen und Vorlesungen. Mit den Programmen aus den Übungen musste man zum Assistenten gehen und sie korrigieren lassen. Einmal hat mich ein Professor in der Vorlesung nach den Preisen von verschiedenen Artikeln gefragt. Wer kann das aber wissen, wenn man noch nicht in der Berufspraxis ist. Dann hat er zu mir gesagt: „Spiel´n Sie im Toto?“ Da hab ich gesagt. „Nein“. Und er: „Sie hab´n aber alles erraten.“ Wenn man von der Uni kommt, weiß man ja von der Praxis wenig.

Es gab nur einen Professor und wenige Assistenten, die Frauen an der Uni nicht wollten. An ein Mädchen kann ich mich erinnern, das offenbar nur auf Männerfang aus war. Doch die Kollegen hatten andere Interessen. Dieses Mädchen war glaub ich nur zwei Semester da und ist dann verschwunden. Bei den Studienkollegen war natürlich jeder bestrebt, selber fertig zu werden und doch waren alle kameradschaftlich. Ich könnte nicht sagen, dass die Kollegen uns als Frauen benachteiligt hätten. Aber es gab keine einzige Professorin. Eine Assistentin haben wir gehabt, das war in Baukunst 2. Da hatten wir Prof. Holey, den Dombaumeister, und er hatte die einzige.

Es hat dazumal keine Bücher und Skripten gegeben. Es war alles verboten und musste neu aufgestockt werden. Wir sind in alle Vorlesungen gegangen. Mancher Professor hat gesprochen und gezeichnet zur gleichen Zeit. Daher haben wir uns dann geteilt, wir waren drei Mädchen und drei Burschen und nannten uns „die Lernmaschine“. Bei einem der drei Burschen, dessen Freundin eine Schreibmaschine hatte, wurde der Vorlesungsstoff dann vervielfältigt. Wer den 5. Durchschlag bekommen hat war natürlich arm, weil man nicht mehr viel lesen konnte. Aber mit dem 5. Durchschlag haben wir gewechselt. So haben wir uns gegenseitig geholfen.

Ich muss ganz ehrlich sagen, es ist damals sicher nicht so viel von uns verlangt worden wie heute. Bis heute hat sich viel geändert, es ist viel Neues dazugekommen, allein schon die Vielfalt der Baustoffe. Heute könnte man ohne Computer gar nicht mehr studieren. Die ersten Vorlesungen begannen mit den Ägyptern, Griechen und Römern. Wir hatten Baukunst 1,2 und 3. Das wird jetzt nicht mehr gelesen. Schon damals war Prof. Theuer, der diese Vorlesung gehalten hat, ein alter Herr. Er war bei den Ausgrabungen von Ephesos dabei. Jetzt gibt es wieder in Ägypten Ausgrabungen, die von einer jungen österreichischen Archäologin betreut werden.

Arbeit zu finden war damals nicht schwierig. Ich war von 1949 bis 1982 in einem Architekturbüro tätig. Das ist heute eine Seltenheit. Mein Chef war später auch Professor für Hochbau in der HTL Mödling. Das Büro hatte dann die Frau Ingenieur Marchhart über. Wir haben hauptsächlich Wiederaufbau, Wohnbau und Siedlungsbau und auch Wohnungseigentum gemacht. Heute sagt man dazu Emmentaler-Architektur. Aber man muss auch die Zeit berücksichtigen. Es war sehr knapp mit dem Geld. In den Jahren vor dem Krieg war Frau Arch. Schütte-Lihotzky bekannt. Allein schon die „Frankfurter Küche“ war zugeschnitten auf die damaligen Verhältnisse. So gesehen waren die Gemeindebauten, die Sozialbauten zwischen 1. und 2. Weltkrieg bahnbrechend. Aus vielen Ländern sind Leute nach Wien gekommen und haben sich die Bauten angeschaut. Natürlich ist das aus heutiger Sicht bescheiden, aber damals war schon Klo und Bad innen etwas Besonderes. Wir hatten noch Gemeindebauten Typ A, B und C. A war sozusagen ein Einzelwohnraum: Zimmer, Küche, Kammer, Klo, Bad und Vorzimmer. Dann gab es noch die 2 Zimmer- und 2,5 Zimmer-Wohnungen. Wir hatten einen Gemeindebau in der Mauerbachstraße. Dort gab es sogenannte Saalwohnungen ohne Zwischenwände. Die Leute konnten sich die Zwischenwände dann selber einteilen.

Auch das Hochhaus in Ottakring kommt aus unserem Büro. Mit der S45 fährt man direkt vorbei, es steht gleich neben der Kirche. Die Gemeinde hat bei der Planung erlaubt, die Küchenfenster erstmals quadratisch zu machen. Man muss ja heute lachen, aber damals war das neu. Das Parapet wurde höher gemacht, damit sich dort eine praktische Arbeitsfläche ergab.

Es war sehr interessant, wie sich die Bürokratie des Wiederaufbaus zusammensetzte. Für die Ausschreibungen wurde das sogenannte grüne W7 verwendet. Das W7 war eine umfangreiche Unterlage für alle Professionisten. Alles musste in sechsfacher Ausfertigung ausgefüllt werden und kam zuerst zum Prüfingenieur, dann zur Gemeinde und dann zum Wiederaufbauministerium. Dort wurden die Preise leider heruntergestrichen. Es war also schwierig, mit diesen Mitteln gut zu bauen. Es war gefragt, möglichst viele Wohnungen in einen Grundriss hineinzubringen. Wir machten auch Möblierungspläne 1:50. Wenn die Leute beim letzten Übergeben dann gesagt haben sie sind zufrieden und können die Wohnung gut einrichten, war das eine schöne Bestätigung. Oft haben sie jahrelang auf ihre Wohnung gewartet.

Einmal in der Woche war auf der Baustelle eine Besprechung, es musste das Baubuch geführt und alles eingetragen werden. Einmal hat im Büro ein Polier angerufen und gesagt: „ Ich möchte die Frau Ingenieur sprechen, die was alles schupft“. Wir haben noch die Pläne mit Bleistift gezeichnet und mit Tisch ausgezogen. Die Bauaufsicht führte mein Chef, für die Bauverhandlungen war ich zuständig. Dort war ich oft die einzige Frau. Das hat weder die anderen Beteiligten noch mich gestört. Es wurde von allen als selbstverständlich akzeptiert.

Im Jahr 1982 hat die Zeit der Computer angefangen und da für das Büro kein Nachfolger gefunden wurde, sind wir Ende 1982 gemeinsam in Pension gegangen.

Ein Gefühl für die Formen eines Gebäudes und für die Umgebung bekommt man von der technischen Hochschule. Von der modernen Glasarchitektur bin ich nicht immer so begeistert. Als Frau denkt man vielleicht praktischer. Denn ich stelle mir die Frage: „Wie wird das geputzt“. Es schaut immer schmutzig aus. Meiner Meinung nach sollte man an einem Gebäude von außen erkennen, was es für eine Funktion hat. Da war Prof. Erich Bolternstern für mich ein Vorbild, wir hatten ihn in Wohnbau. Vor ein paar Jahren gab es eine Ausstellung „Moderat Modern“. (http://www.eiblmayr.at/kuratierung/moderat-modern.htm) Er hat zum Beispiel den Ringturm gebaut, das Restaurant am Kahlenberg und viele andere Bauten. Professor Boltenstern hatte ein Gefühl dafür was er gebaut hat, obwohl die Mittel knapp waren.

Das Gebäude der Alpenvereinssektion Edelweiß in der Walfischgasse hat auch unser Büro umgebaut. Dabei hatten wir Ensemble-Schutz und mussten aufpassen, dass wir die vorhandenen Fassadenteile erhielten. Wir fassten damals Erdgeschoss und Zwischengeschoss zusammen. Auch im 1. und 2. Keller, im Hof und im ersten Stock gab es Umbauten. Die Eröffnung fand dann 1982 statt.

Nachdem meine Tochter Nicole geboren wurde, bekam ich von meinem Chef die Möglichkeit halbtags zu arbeiten. So konnte ich weiterhin berufstätig bleiben.

 

Ich wollte mich nie selbstständig machen, ich glaube das wäre mir nicht gelegen. Aber meine Arbeit hat mir große Freude gemacht. Heute ist es ungleich schwerer an Aufträge zu kommen.
Ich glaube, was man gerne macht, macht man auch gut.