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Zustandsdiagnose: Methoden der Regelungstechnik in der Pandemie

Ein Team der TU Wien wendet Methoden aus der Kontrolltheorie auf Covid-19-Epidemiemodelle an – daraus resultiert ein neuer Zugang zu Analysen und Prognosen.

Graphik, erstellt mit der neuen Rechenmethode

Die Zustandsentwicklung in Österreich – mehr dazu auf der unten verlinkten Webseite.

Egal ob man es mit einem Automotor zu tun hat, mit einer Brennstoffzelle oder einem Kraftwerk – der Umgang mit komplexen Systemen erfordert passende mathematische Modelle und Methoden. Eine davon ist die Zustandsdiagnose: Meist sind bei einem System nur wenige Größen bekannt beziehungsweise messbar. Aus ihnen schließt man dann mithilfe eines Modells und Methoden der Zustandsschätzung auf die inneren Zustände oder auch auf unbekannte äußere Einflüsse, die auf das System wirken. Solche Methoden unterstützen uns in unterschiedlichsten Bereichen des Lebens, so etwa bei der GPS-Navigation, bei der Regelung von Elektromotoren oder in der Diagnose von Flugzeugtriebwerken.

„Genau solche Methoden der Regelungstechnik kann man aber auch auf Epidemiemodelle anwenden“, sagt Prof. Stefan Jakubek vom Institut für Mechanik und Mechatronik. „Auch hier stehen nur begrenzt Messdaten zur Verfügung – etwa die täglich neu gemeldeten Infektionszahlen. Wir schließen damit auf wichtige innere Systemzustände und auch äußere Einflüsse, welche die Dynamik der Epidemie kritisch beeinflussen können.“

Ein neuer Zugang für bestehende Modelle

Stefan Jakubek und sein Team verwenden bestehende und wohlerprobte Modelle aus der Epidemiologie, auf die sie regelungstechnischen Methoden anwenden. „Man setzt in der Epidemiologie oft sogenannte Kompartmentmodelle ein“, sagt Stefan Jakubek. Dabei wird die Bevölkerung in Gruppen eingeteilt – etwa die Gruppe der erkrankten Personen oder die der suszeptiblen Personen – also jener, die aktuell ansteckungsgefährdet sind.

„Wir haben eine etablierte Methode aus der nichtlinearen Kontrolltheorie auf diese Modelle angewandt“, erklärt Jakubek. Bestehende Epidemiemodelle wurden um eine wichtige zusätzliche Eingangsgröße ergänzt. Sie gibt an, wie sich der Anteil der ansteckungsgefährdeten Personen im Laufe der Zeit ändert. Ein Grund dafür kann etwa sein, dass ein Lockdown begonnen hat und sich manche Leute plötzlich vorsichtiger verhalten, oder weil die Bevölkerung langsam ihre Vorsicht wieder ablegt.

Aufgrund einer besonderen strukturellen Eigenschaft vieler Epidemiemodelle, der differenziellen Flachheit, kann man diese Größe jederzeit und ohne großen Aufwand schätzen – allein aus den allgemein bekannten Infektionszahlen. Das ermöglicht zudem auch eine genaue Prognose über die Entwicklung der Fallzahlen und eine Beurteilung, ob die Dynamik der Epidemie eine kritische Entwicklung nimmt.

Die Methodik wurde nun anhand von Epidemiedaten aus unterschiedlichen Ländern überprüft – in allen Fällen konnte man die tatsächliche Entwicklung sehr gut nachzeichnen. „Ein entscheidender Vorteil ist, dass man auf diese Weise schon sehr früh sehen kann, ob sich bestimmte Maßnahmen wie Lockdown-Verschärfungen bereits auswirken, auch wenn man das den aktuellen Fallzahlen mit bloßem Auge noch nicht ansehen würde“, sagt Stefan Jakubek.

Webseite mit Daten und Analysen zu epidemiologischen Daten aus verschiedenen Ländern., öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

In folgendem Video erklärt Prof. Stefan Jakubek seine Methode genauer: