Doktorrat trotz 40h-Anstellung
Der Informatikprofessor Reinhard Pichler begann seine Laufbahn mit einem Mathematikstudium an der Universität Innsbruck. Das Interesse für Mathematik bestand schon in der Grundschulzeit. „Ich habe zum Beispiel bei der Mathematikolympiade mitgemacht. Es war sehr naheliegend für mich, dass ich diesen Weg einschlage. Im Laufe des Studiums wurde mir dann schnell klar, dass ich die Mathematik auch irgendwo anwenden muss, um damit einen Beruf ausüben zu können“, so Pichler. Nach Abschluss des Studiums im Jahr 1991 beschloss Reinhard Pichler an der University of London einen Master in „Mathematical computation“ anzuhängen. Dieses Postgraduate Studium war als „Brückenkurs“ für Mathematiker in Richtung Informatik konzipiert. „Als der PC aufkam und ich meine ersten Gehversuche beim Programmieren unternommen hatte, habe ich das Gefühl gehabt, dass ich mir einen Beruf in diese Richtung suchen möchte. Bereits während meines London-Aufenthalts habe ich begonnen mich um Stellen in Österreich zu bewerben. Ich wollte zu einer großen Firma gehen. Anfang der 90iger Jahre war es durchaus noch vorstellbar, dass man von einer großen Firma intensiv eingeschult wird. Heutzutage ist das nicht mehr selbstverständlich. Damals hat man jedenfalls händeringend nach Leuten gesucht“, erzählt Pichler.
1992 nahm er eine Stelle bei der Firma Siemens in Wien an. In der PSE (Programm- und Systementwicklungsabteilung) war er 13 Jahre lang in der Softwareentwicklung im Telekom-Bereich in einer der größten zusammenhängenden Softwareentwicklungseinheiten in Europa tätig. Pichler: „Ich habe sozusagen die Ausläufer dieser ‚goldenen Zeit’, als der Telekommarkt noch boomte, miterlebt. Kurz darauf kam aber bereits der erste Aufnahmestopp.“ 1994 begann der TU-Professor neben einer 40h-Anstellung bei Siemens mit dem Doktorrat. „Das war mein Hobby. Ich hatte sehr großes Glück mit meinem Betreuer und Doktorvater Prof. Leitsch. Nach Abschluss meiner Dissertation im Jahr 2000 bekam ich einen Lehrauftrag. So blieb ich immer in Kontakt mit der TU Wien“, erklärt Reinhard Pichler. 2001 habilitierte er sich auf dem Gebiet der Theoretischen Informatik. Hier ging es insbesondere um die Entwicklung effizienterer Verfahren und um Komplexitätsanalysen im Bereich des automatischen Beweisens. Am 1. Juli 2005 wurde Reinhard Pichler zum Universitätsprofessor für Datenbanksysteme an der TU Wien berufen.
Forschungsschwerpunkt: information integration
„Mit meiner Berufung zum Professor ist sozusagen mein Hobby zu meinem Beruf geworden“, zieht Pichler Resümee. Am Institut beschäftigt er sich derzeit mit drei Schwerpunkten. Zum einen geht es bei einem Projekt, das beim FWF eingereicht wurde, um eine Anwendung der Datenbanktheorie auf andere Bereiche wie „operational research“ und „artificial intelligence“. Dabei sollen effiziente Lösungen für eine bestimmte Klasse von Problemen mit Hilfe der Datenbanksprache „Datalog“ aufgezeigt werden. Beteiligt ist hierbei auch der nach Oxford berufene TU-Professor Georg Gottlob. Pichler: „Datalog wurde ursprünglich als Datenbankabfragesprache entwickelt. Wir wollen ein hier an der Abteilung entstandenes Datalogsystem entsprechend erweitern und verbessern und unsere Behauptung, dass es sehr vielseitig anwendbar ist, noch untermauern.“ Einen weiteren Schwerpunkt seiner Arbeit in den nächsten Jahren sieht Pichler im Bereich der Informationsintegration. „Viele Unternehmen sind mit der Situation konfrontiert, dass sie ihre Daten in heterogenen Quellen (also z.B. in verschiedenen Datenbanken) gespeichert haben. Es ergeben sich spezielle Probleme (wie z.B. Inkonsistenzen), wenn man Informationen aus diesen heterogenen Datenquellen zusammenführen oder auch nur abfragen möchte. Das ist momentan ein sehr aktives Forschungsgebiet in der Datenbank-Community. Zum Beispiel sind über ein und denselben Patienten Daten aus verschiedenen Krankenhäusern gespeichert. Wie soll man hier vorgehen, wenn zwei Datenquellen zusammengeführt werden?“ sagt Professor Pichler. Das dritte Interessensgebiet von Professor Pichler stammt aus dem Bereich der Komplexitätstheorie – und hier insbesondere die „counting complexity“: Dieser Zweig beschäftigt sich mit der Komplexität des Abzählens der Lösungen, was eine Grundvoraussetzung ist, um etwa Aussagen über die Häufigkeitsverteilung von Lösungen machen zu können. Kooperationen bei den genannten Forschungsvorhaben gibt es vor allem mit KollegInnen an der University of Oxford sowie an der École Polytechnique in Paris.
Förderung junger WissenschafterInnen
Professor Pichler ist es ein Anliegen, gute DiplomandInnen für eine Dissertation in seinem Arbeitsbereich zu gewinnen. Dazu muss es spätestens bei der Diplomarbeit gelingen, StudentInnen für aktive Forschung zu begeistern. Außerdem ist natürlich eine entsprechende Finanzierung in Form von Forschungsprojekten erforderlich. Die Aussicht der Zusammenarbeit mit interessierten DissertantInnen sieht Reinhard Pichler als ausreichende Motivation für die nicht immer „spannende“ Tätigkeit der Antragsstellung für Forschungsprojekte. Dennoch benötige es laut seiner Ansicht ein hohes Maß an Idealismus von den jungen WissenschafterInnen, sich für eine Dissertantenstelle zu bewerben, da vor allem die Gehälter mit der Industrie nicht konkurrenzfähig sind. In den Lehrveranstaltungen selbst bemerkt Professor Pichler einen extremen Unterschied zwischen den Pflichtlehrveranstaltungen im Bachelorstudium und den Vorlesungen im Masterstudium. „Im Masterstudium gibt es einen wesentlich familiäreren Rahmen und ein völlig anderes Arbeitsklima. Hier haben meine Vorlesung für Komplexitätstheorie letzten Sommer 35 StudentInnen besucht. Dem gegenüber stehen 450 Studierende, die im vergangenen Wintersemester die Datenbanksysteme Vorlesung – eine Pflichtlehrveranstaltung im dritten Semester – absolviert haben.“
Schifahren in der Heimat
„Meiner Herkunft gemäß bin ich in meiner Schul- und Studienzeit immer gerne Schi gefahren. Mittlerweile hat sich das sehr eingeschränkt. Einige Tage verbringe ich mit meiner Familie aber jedes Jahr in Tirol und gehe dann auch auf die Schipiste“, erzählt Reinhard Pichler. Das Urlaubsverhalten sei sehr durch seine zwei Kinder, eine 11jährige Tochter und einen 4jährigen Sohn geprägt. Ausgedehnte Reisen, die ihn früher unter anderem nach Südamerika geführt haben, hat er dazu genutzt seine Spanisch-Kenntnisse auszubauen. „Jetzt freue ich mich immer, wenn beispielsweise Erasmus-Mundus-StudentInnen aus Mexiko oder Erasmus-StudentInnen aus Spanien zu uns ans Institut kommen. Dann kann ich die Sprache wieder ein bisschen praktizieren“, so Pichler.
In den letzten Jahren gab es in unserem Arbeitsbereich einen kompletten Wechsel des wissenschaftlichen Personals. „Fast alle AssistentInnen sind der Reihe nach an andere Universitäten als ProfessorInnen berufen worden“, fasst Professor Pichler zusammen. Für die Zukunft wünscht er sich, dass er mit seinem neuen Team an die erfolgreichen Zeiten des Arbeitsbereichs unter Professor Gottlob anschließen kann.
Reinhard Pichler - Professor für Datenbanksysteme am Institut für Informationssysteme
Der aus Tirol stammende TU-Professor und studierte Mathematiker arbeitet an der Lösung von Problemen, die sich bei der Zusammenführung von unterschiedlichen Datenquellen ergeben. Nach seiner langjährigen Tätigkeit in der Softwareentwicklung kehrte der zweifache Vater im Juli 2005 an die Universität zurück. Ausflüge in die Berge zum Schifahren sowie ein Faible für die spanische Sprache definieren seine Freizeitinteressen.