Edwin Engel wurde am 25. April 1933 als Sohn des Tischlers Gabriel Engel und seiner Gattin Hedwig in Karlstift im Waldviertel geboren, wo er auch seine Kindheit verbrachte. Die wirtschaftlich und politisch schwierige Zeit und das aus heutiger Sicht karg erscheinende Umfeld formten ihn zu einer starken Persönlichkeit, als deren Merkmale Leistungsfähigkeit, Fleiß, Sparsamkeit, Traditionsbewusstsein und eine ungeheure Selbstdisziplin hervorstachen.
Mit Abschluss des Gymnasiums in Gmünd 1951 inskribierte Engel an der damaligen Technischen Hochschule in Wien (heute TU Wien) das Studium des Bauingenieurwesens, welches er bereits 1956 in Mindestzeit abschließen konnte. Schon während des Studiums war Engel im Jahr 1956 als halbtägig beschäftigte „wissenschaftliche Hilfskraft“ am damaligen Institut für Eisenbahnwesen und Gleisbau und Spezialbahnen tätig und setzte nach seiner Graduierung zum Diplomingenieur seine berufliche Entwicklung als Hochschulassistent ab dem 1. Jänner 1957 am gleichen Institut fort. Binnen eines einzigen Jahres, heute ein unvorstellbar kurzer Zeitraum, vollendete Engel seine Dissertation mit dem Titel „Ein Beitrag zur Berechnung der Verdrehung von Seilen und deren Bedeutung bei Seilbahnen“, um sich danach einer Vielzahl von Forschungsarbeiten zu widmen, die seine außerordentliche Begabung im Erkennen, Beschreiben und Lösen von Aufgabenstellungen erkennen ließen. Dazu gehörten neben den Arbeiten zur Beanspruchung von Seilen zunächst Fragestellungen aus dem Straßenwesen (wie z.B. „Zur Frage der praktischen Leistungsfähigkeit signalisierter Knotenpunkte des Straßenverkehrs“, 1959) und in weiterer Folge eine Reihe von Arbeiten, die die Lagesicherheit (lückenloser) Eisenbahngleise behandelten. Diese Arbeiten wurden zur Grundlage der Habilitation Engels, die 1962, also gerade einmal sechs Jahre nach dem Studienabschluss zur Verleihung der Lehrbefugnis für das Fachgebiet „Bahnen besonderer Bauart und Gleisbau“ führte.
Rückblickend betrachtet ist es nicht verwunderlich, dass Engel sieben Jahre später, genau am 27.11.1969, zum Hochschulprofessor ernannt wurde und somit die Nachfolge seines Lehrers Eugen Czitary antrat. Engel erweiterte nun die Schwerpunkte seiner Arbeiten hin zur Beschreibung und Modellierung von Verkehrsgeschehnissen dank des Aufkommens großer und leistungsfähiger „Rechenautomaten“. Ein besonderes Anliegen war ihm die verkehrswirtschaftliche Bewertung aus ingenieurmäßiger Sicht. Es ist an dieser Stelle unmöglich, alle von ihm angestoßenen und betriebenen Entwicklungen darzustellen.
Hervorzuheben ist aber die Tatsache, dass Engel mit seinem Weitblick das Grundnetz der Wiener U-Bahn maßgebend geprägt hat und mit seinen Beiträgen zum Generalverkehrskonzept Österreich in den 1980er-Jahren wesentliche Grundlagen für den Ausbau des Verkehrsnetzes schaffen konnte.
Engel war kein Mann der großen oder vielen Worte. Liest man seine Arbeiten, ist es nicht das geschriebene Wort, das zu verstehen wichtig ist. Für das Verständnis unerlässlich ist das, was zwischen den Zeilen steht. Engel hat es verstanden, seine Assistentinnen und Assistenten auf diese Weise zu fordern und zu fördern, ohne sie in irgendeine verkehrliche „Glaubensrichtung“ zu drängen. Das Verfassen einer Dissertation wurde von seiner Seite als Dienstpflicht erachtet. Es waren kleine Anstöße, die wahrzunehmen waren und vielen seiner Assistentinnen und Assistenten den Weg in eine erfolgreiche berufliche Zukunft wiesen. Oft wurden diese Impulse im Rahmen des streng gehaltenen Rituals nach dem Mittagessen im Assistentenzimmer gesetzt, wenn Engel kurz aber doch (und meist naserümpfend wegen des Kaffeegeruchs) anwesend war und mit unglaublicher Treffsicherheit und wenigen Worten Ansätze zur Lösung aktuell bestehender Fragestellungen äußerte, deren Nachvollziehung oft ganze Tage in Anspruch genommen hat. Engel hat Freiräume gewährt, wie dies heute im universitären Alltag unvorstellbar ist. Die Nutzung der Freiräume blieb den Assistentinnen und Assistenten überlassen, Engel beobachtete. Jede und jeder fand eine offene Türe, nur hindurchgehen musste man selbst. Engel war aber auch abseits der technisch orientierten Wissenschaft bemerkenswert. Seine eingangs erwähnten Eigenschaften ermöglichten ihm in den 1980er-Jahren die Rekonstruktion eines alten Hofes in seiner Heimat, der von ihm in traditioneller Bauweise wiedererrichtet und bewohnt wurde. Sein Interesse an Handwerkskunst ging aber noch viel weiter. Einen Schwerpunkt stellten Teppiche aus dem Orient dar. Dabei ging es Engel aber nicht um herkömmliches „Sammeln“ besonderer Exemplare, sondern – nach ausführlichem Studium antiker Quellen – vielmehr um die Restaurierung und Herstellung, also das Knüpfen, eigener Teppiche mit nach alten Rezepten selbstgefärbter Wolle. Ein Beitrag in „Antike Orient-Teppiche aus österreichischem Besitz“ dokumentiert dieses Interesse eindrucksvoll.
Engel war stets als Freund der „leisen Töne“ bekannt, ruhig, bestimmt und kurz gefasst. So verwundert es auch nicht, dass die Barockmusik zu seiner bevorzugten Epoche zählte und er viele Jahre hindurch als Stammgast im Musikverein im Zyklus des Concentus Musicus unter Nikolaus Harnoncourt anzutreffen war. In den ersten Jahren nach Engels Emeritierung besuchte er noch häufig das Institut, seine Ratschläge während der gemeinsamen Mittagessen waren hilfreich, manchmal klangen sie wenig optimistisch. Leider hat er, insbesondere was die Freiheit in Forschung und Lehre für den Bereich des Eisenbahnwesens betrifft, vielfach Recht behalten. Zu danken ist seinem strategischen Weitblick bei der Übergabe der Amtsgeschäfte, der im Jahr 2003 eine völlig reibungslose Wiederbesetzung offener Assistentenstellen ermöglichte. Dadurch wurde die Grundlage für eine erfolgreiche und rasche Entwicklung des Instituts nach zwei Jahren Vakanz geschaffen. Nach einigen Jahren wurden seine Besuche am Institut seltener, Engel zog sich mehr und mehr in seine Heimat im Waldviertel zurück. Daraus resultierte eine Vielzahl von Einladungen. Unabhängig davon, ob im Winter das Langlaufen, im Sommer ein Wandertag oder sein Geburtstag im Mittelpunkt standen, die Besuche bei ihm waren von größter Herzlichkeit geprägt, seine Gastfreundschaft überwältigend. Auch anlässlich des letzten Besuches im Herbst 2022 war sein Interesse am Institut und an der TU Wien deutlich zu spüren. Das (frühere) Institut für Eisenbahnwesen, Seilbahnen und Verkehrswirtschaft trauert um eine hervorragende Persönlichkeit.
In tiefer Dankbarkeit und Anteilnahme
Norbert Ostermann
Bernhard Rüger
Institut für Verkehrswissenschaften