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Nachruf Professor Helmar Weseslindtner

Professor Helmar Weseslindtner, Vorstand des Instituts für Fertigungstechnik, ist in der Nacht auf Mittwoch im 68. Lebensjahr verstorben. Die TU Wien verliert mit Weseslindtner einen verdienten Wissenschafter, die MitarbeiterInnen des Instituts trauern um einen engagierten Kollegen.

Professor Helmar Weseslindtner

Professor Helmar Weseslindtner

Professor Helmar Weseslindtner

Seit Beginn des NC-Zeitalters in Österreich (Mitte der 1960er Jahre) beschäftigt sich das Institut für Fertigungstechnik auf Initiative von Professor Weseslindtner, der nach Abschluss seines Studiums als Hochschulassistent bereits wichtige Weichen für die zukünftige Entwicklung stellte, mit Problemstellungen der computerunterstützten Fertigung. Standen anfangs die Probleme der Steuerungstechnik selbst im Vordergrund, so rückte mit Beginn der siebziger Jahre die EDV-Unterstützung für die Bereitstellung der Steuerungsinformationen in den Mittelpunkt des Interesses. Die Verbesserung damals bestehender Programmiersysteme führte schließlich zur Entwicklung eines neuen, in der Industrie vielfach eingesetzten Programmiersystems für die Bohr-, Fräs- und Drehbearbeitung.

Zu Beginn der 1980er Jahre wurde eine Reihe von Entwicklungen auf dem Gebiet der Flexiblen Automation von Professor Weseslindtner geprägt. Während seiner mehrjährigen Tätigkeit bei der Fa. Scharmann & Co., Mönchengladbach, hatte er ein völlig neuartiges Konzept für rechnergeführte, verkettete Fertigungssysteme entwickelt, das in der Folge in umfangreichen Industrieprojekten vielfach in die Praxis umgesetzt wurde. Nach seiner Rückkehr an die Technische Universität im Jahre 1981 und Übernahme des Instituts wurden die Konzepte für rechnerintegrierte Fertigungssysteme in Zusammenarbeit mit namhaften Herstellern der österreichischen und deutschen Werkzeugmaschinenindustrie (wie z. B. Scharmann, Deckel, Maho, Hüller Hille, Heid) in Wien ständig weiterentwickelt.

Wichtig bei der Auslegung von komplexen Fertigungssystemen ist es, deren zukünftiges Verhalten -  insbesondere bei Störungen oder anderen unvorhergesehenen Ereignissen - vorherzusagen. Insbesondere beim Aufbau von hochautomatisierten Fertigungsanlagen ist eine rein statische, mit herkömmlichen Verfahren durchgeführte Auslegung der Anlagenkomponenten unzureichend, da der Einfluss von dynamischen bzw. steuerungstechnischen Komponenten unberücksichtigt bleibt. Sehr bald setzte Prof. Weseslindtner dabei auf die computergestütze Simulation, die am Institut im Rahmen von zahlreichen Projekten für die Industrie als modernes Hilfsmittel eingesetzt und in Kooperation mit internationalen Forschungseinrichtungen weiterentwickelt wurde (beispielsweise im Rahmen des EU-Projekts "Forcast", dessen Zielsetzung die Schaffung von Werkzeugen, Mechanismen und Normen für Industriebetriebe der Fertigungs- und Verfahrenstechnik war).

Parallel dazu wurde das erste Versuchslabor für Industrieroboter am Institut für Fertigungstechnik aufgebaut, um Einsatzmöglichkeiten und Integration dieser neuen Technologie im Bereich der Fertigung und Montage zu untersuchen und einem breiten Fachpublikum zugänglich zu machen. Im Rahmen des 1985 vom Ministerrat beschlossenen Mikroelektronik-Förderungsprogramms wurden zahlreiche Initiativen gesetzt und eine  Reihe von zukunftsweisenden Projekten in Zusammenarbeit mit österreichischen Unternehmen wie z. B. Kapsch, Schrack, Siemens oder Philips erfolgreich abgewickelt. In diese Zeit fällt auch die Mitarbeit am „Joint Coordinating Forum for the International Advanced Robotics Programme“, das sich die Förderung der internationalen Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Robotersystemen zum Ziel gesetzt hatte, und die Durchführung der ersten umfassenden Studie über Entwicklung und Einsatz von Industrierobotern in Österreich (gefördert vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung).

Ende der 1980er Jahre rückte die Integration der Fertigung mit den vorgelagerten Bereichen CAD (Computer Aided Design), CAP (Computer Aided Planning) und PPS (Produktionsplanung und -steuerung) in den Vordergrund. Aufgrund des zunehmenden Interesses der österreichischen Industrie an der Realisierung umfassender CIM-Konzepte und steigendem Entwicklungs- und Beratungsbedarf in diesem Fachgebiet wurde auf Initiative von Professor Weseslindtner das erste CIM-Labor in Zusammenarbeit mit namhaften Computerherstellern wie IBM, Siemens Nixdorf und DEC an der TU aufgebaut und später in das Interuniversitäre Zentrum für Computer Integrated Manufacturing (IUCCIM), das Anfang der 1990er Jahre als Zusammenschluss mehrerer Institute der Technischen Universität Wien und der Wirtschaftsuniversität Wien gegründet wurde, integriert. Professor Weseslindtner war von 1990 bis 1997 Vorstand dieser Organisation, deren Aufgaben die Intensivierung der interuniversitären Forschung in diesem neuen Fachgebiet war und, aufgrund der hervorragenden Industriekontakte Weseslindtners, mit umfangreichen Donations  gesponsert wurde, was zu einem beträchtlichen Investitionsschub bei den beteiligten Instituten führte. Darüber hinaus wurde der Wissenstransfer von den Universitäten zur Industrie durch eine Reihe von universitären Lehrgängen für Führungskräfte intensiviert.

In den 1990er Jahren leitete Prof. Weseslindtner zahlreiche internationale Forschungsprojekte, und wurde unter anderem mit dem "Eureka Lillehammer Award" für innovativste Produktentwicklung ausgezeichnet. Die Schwerpunkte seiner Forschungsaktivitäten rückten gegen Ende der 1990er Jahre wieder stärker in Richtung Technologie. So beschäftige sich Weseslindtner im Rahmen der Auftragsforschung intensiv mit Themen wie Werkzeugoptimierung, Beurteilung von Kühlschmierstoffen und Bearbeitungsverfahren, verfahrenstechnischen Vergleichen, Zerspanung neuer Werkstoffe, Einsatz der Minimalmengenschmierung, Optimierung der Schneidleistung von Wasserabrasivstrahlschneidköpfen oder – im medizinischem Bereich – der Weiterentwicklung des Knochenbohrens.

Professor Weseslindtner war der "Prototyp des praxisbezogenen Ordinarius, der die Zusammenarbeit mit der Industrie suchte" (Zitat "Die Presse" vom 30. Jänner 1987). Den ständigen Kontakt mit der Industrie pflegte Professor Weseslindtner nicht nur in Form von Seminaren, Vorträgen und beruflichen Fortbildungsveranstaltungen, sondern in erster Linie durch gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsprojekte, in die nach Möglichkeit auch die Studierenden eingebunden wurden.

Aber auch die Lehre nahm einen wichtigen Stellenwert ein. Seine Lehrtätigkeit erfüllte Weseslindtner stets mit großer Freude, nicht zuletzt weil er – wie er öfter humorvoll anmerkte – zu den Menschen gehörte, die sich gerne selbst reden hörten. Neben einer gehörigen Portion Charisma war sicher auch sein rhetorisches Talent dafür ausschlaggebend, dass seine Vorlesungen von den Studierenden gerne gehört wurden. Darüber hinaus war er nicht nur an der TU Wien als Festredner stets beliebt.

Die Studierenden konnten mit ihren Anliegen immer ein offenes Ohr bei Professor Weseslindtner finden und wurden von ihm gerne als "Kunden" betrachtet, die entsprechende Betreuung und Wertschätzung verdienten. Dieser Umstand zeigte sich auch darin, dass das Institut für Fertigungstechnik als erstes Universitätsinstitut Österreichs seinen Lehrbetrieb nach ISO 9001 zertifizieren ließ.

Seine Mitarbeiter wählte Professor Weseslindtner nach eigenen Angaben zufolge nicht nur nach ihren Leistungen aus, sondern berücksichtigte auch menschliche Komponenten wie Ausdrucksfähigkeit und Humor. Dies mag einer der wesentlichen Gründe für das hervorragende Arbeitsklima an dem von ihm geführten Institut sein.

CV

  • Geboren am 20. Mai 1940 in Ried im Innkreis, Oberösterreich
  • Familie:  Ehefrau Karin (verh. seit 26.11.1969), Kinder: Lukas (geb. 07.10.1976) und Marlene (geb. 10.06.1981)
  • 1959 HTL Schellinggasse, Matura mit Auszeichnung
  • 1965 Abschluss des Studiums des Maschinenbaus (Studienzweig  Betriebstechnik) an der TH Wien
  • 1969 Promotion zum "Doktor technicae" mit Auszeichnung
  • 1974 Verleihung der Lehrbefugnis für das Fachgebiet Mechanische Technologie (Fertigungstechnik) mit besonderer Berücksichtigung der Werkzeugmaschinen
  • Ernennung zum ao.Univ.Prof. für Mechanische Technologie
  • 1978 - 1981 bei der American GFM Corporation Norfolk, Virginia, auf dem Gebiet der Fertigung, der Programmierung von numerisch gesteuerten Maschinen und Prozesssteuerungen sowie bei Scharmann & Co. in Mönchengladbach, BRD, im Aufgabenbereich rechnergeführte, flexible Fertigungssysteme, mehrachsige Fräsbearbeitung und fertigungstechnische Problemlösungen tätig
  • 1982 – 1986 Vertretung Österreichs beim Joint Coordinating Forum for the International Advanced Robotics Programme
  • seit 1982 Vorstand des Instituts für Fertigungstechnik der Technischen Universität Wien
  • Vorsitzender des Ausschusses für Arbeitstechnik in Zusammenarbeit mit der Bundeswirtschaftskammer
  • 1986 Ernennung zum Ordinarius für Rechnergeführte Fertigung
  • 1990 – 1997 Leiter des Interuniversitären Zentrums für Computer Integrated Manufacturing (IUCCIM)