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Kernfusion: Neue Lösung für Instabilitätsproblem

Für Fusionsreaktoren wie ITER sind Plasma-Instabilitäten eine große Herausforderung. Ein Forschungsteam rund um die Kernfusionsgruppe der TU Wien fand nun eine vielversprechende Lösung.

Vier Personen mit Modell eines Fusionsreaktors, im Hintergrund die Wiener Karlskirche

© David Rath, TU Wien

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Georg Harrer (TU Wien), Lidija Radovanovic (TU Wien), Elisabeth Wolfrum (IPP Garching), Friedrich Aumayr (TU Wien) mit einem 3D-gedruckten 1:100 Modell des ITER

Versuchsanlage mit zahlreichen Röhren und Metallkonstruktionen

© IPP Garching, Helmut Faugel

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Die Versuchsanlage ASDEX Upgrade am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München, an der die Experimente durchgeführt wurden

Ein Foto vom Innenraum eines Fusionsreaktors, danaben ein Foto desselben Raums, diesmal mit glühendem Plasma

© IPP Garching

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Links: Blick ins Innere des Plasmagefäßes der Fusionsanlage ASDEX Upgrade, die erste Wand besteht aus dem Element Wolfram, einem Metall mit extrem hohem Schmelzpunkt, welches den hohen Wärmeflüssen und dem ständigem Teilchenbombardement aus dem Plasma standhält. Rechts: Blick ins Reaktorinnere von ASDEX Upgrade während einer Plasmaentladung.

Darstellung des Querschnitts des Plasmas

© G. Harrer & L. Radovanovic, TU Wien

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Querschnitt durch das ringförmige Plasma des Tokamakexperiments ASDEX Upgrade; Das linke Bild zeigt die übliche Betriebsart, bei der es zu den unerwünschten starken Instabilitäten (genannt Typ-I ELMs) kommt; rechts, die neue Betriebsart mit der eher dreieckige Querschnittsform. Wenn gleichzeitig die Dichte des Plasmas am Rand erhöht wird, lassen sich dadurch die gefürchteten Typ-I ELMs verhindern und es kommt zu einer quasi-kontinuierlichen Abfuhr von Plasmateilchen und Hitze (QCE Regime - quasi-continuous exhaust regime) aus dem Reaktor.

Kernfusionskraftwerke könnten unsere Energieprobleme eines Tages nachhaltig lösen – doch immer noch ist kein kommerzieller Kernfusionsreaktor in Betrieb. Um Fusionsreaktionen zu realisieren, muss das Plasma im Zentrum sehr heiß sein (ca. 100 Mio °C), gleichzeitig darf die Wand des Reaktors nicht schmelzen. Der Rand des Plasmas muss also gut von der Reaktorwand isoliert sein. In diesem Bereich kommt es allerdings immer wieder zu sogenannten Plasma-Instabilitäten. Dabei werden kurzzeitig energiereiche Teilchen an die Wand des Reaktors geschossen, die dadurch beschädigt werden kann. Diese Instabilitäten sind eines der wichtigsten Hindernisse auf dem Weg zu einem kommerziellen Reaktor.

Nun konnte das Kernfusions-Team der TU Wien, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster zusammen mit dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster (Deutschland) zeigen: Es gibt einen Betriebsmodus für Fusionsreaktoren, der dieses Problem vermeidet. Statt großer potenziell zerstörerischer Instabilitäten nimmt man ganz bewusst viele kleine Instabilitäten in Kauf, die für den Reaktor kein Problem darstellen. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Physical Review Letters“ als Editors‘ Suggestion publiziert.

Die Renaissance einer verworfenen Betriebsart

In einem torusförmigen Tokamak-Fusionsreaktor bewegen sich die ultraheißen Plasmateilchen mit hoher Geschwindigkeit. Mächtige Magnetspulen sorgen dafür, dass die Teilchen eingesperrt bleiben anstatt mit zerstörerischer Wucht auf die Wand des Reaktors zu treffen. „Perfekt von der Reaktorwand isolieren möchte man das Plasma aber auch nicht, schließlich muss neuer Brennstoff zugeführt und das bei der Fusion entstandene Helium abtransportiert werden“, erklärt Friedrich Aumayr, Professor für Ionen- & Plasmaphysik am Institut für Angewandte Physik der TU Wien.

Die Details der Dynamik im Inneren des Reaktors sind kompliziert: Die Bewegung der Teilchen hängt von Plasmadichte, Temperatur und Magnetfeld ab. Je nachdem, wie man diese Parameter wählt, sind unterschiedliche Betriebsarten möglich. In einer jahrelangen Zusammenarbeit zwischen der Gruppe von Friedrich Aumayr an der TU Wien und dem IPP Garching koordiniert durch Elisabeth Wolfrum (Gruppenleiterin am IPP Garching und TU Wien Professorin) wurde nun ein neuartiger Betriebsmodus entwickelt und gezeigt, dass dieser besonders zerstörerische Plasmainstabilitäten (genannt Typ-I ELMs) verhindern kann.

Schon vor einigen Jahren zeigten Experimente: Wenn man durch die Magnetspulen das Plasma leicht verformt, sodass der Plasmaquerschnitt nicht mehr elliptisch aussieht, sondern eher an ein abgerundetes Dreieck erinnert, und wenn man gleichzeitig die Dichte des Plasmas speziell am Rand erhöht, dann lassen sich die gefürchteten Typ-I ELMs verhindern.

„Zunächst dachte man aber, das sei ein Szenario, das nur in den momentan laufenden kleineren Maschinen wie ASDEX Upgrade (IPP Garching) auftritt und für einen großen Reaktor irrelevant ist“, erklärt Lidija Radovanovic, die derzeit an der TU Wien an ihrer Dissertation zu diesem Thema arbeitet. „Mit neuen Experimenten und Simulationen konnten wir aber nun zeigen: Die Betriebsart kann auch in für Reaktoren wie ITER vorgesehenen Parameterbereichen die gefährlichen Instabilitäten verhindern.“

Wie ein Topf mit Deckel

Durch die dreieckige Form des Plasmaquerschnitts und das gezielte Einblasen zusätzlicher Teilchen am Rand treten viele kleine Instabilitäten auf – und zwar mehrere tausend Mal pro Sekunde. „Diese kleinen Teilchen-Bursts treffen die Wand des Reaktors schneller als die sich aufheizen und wieder abkühlen kann“, sagt Georg Harrer, Erstautor der Publikation, der zur weiteren Untersuchung des neuen Betriebsmodus einen zweijährigen EUROfusion, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster Researcher Grant von der EU erhalten hat. „Daher spielen diese einzelnen Instabilitäten für die Reaktorwand keine große Rolle.“ Wie das Team durch detaillierte Simulationsrechnungen zeigen konnte, verhindern diese Mini-Instabilitäten aber die großen Instabilitäten, die sonst Schaden anrichten würden.

„Es ist ein bisschen wie bei einem Kochtopf mit Deckel, in dem das Wasser zu kochen beginnt“, erklärt Georg Harrer. „Wenn sich immer wieder Druck aufbaut, den Deckel hebt und der Dampf entweicht, dann wird der Deckel heftig klappern. Wenn man hingegen den Deckel leicht schräg stellt, dann kann kontinuierlich Dampf entkommen, aber der Deckel bleibt stabil und klappert nicht.“

Diese Fusionsreaktor-Betriebsart lässt sich in unterschiedlichen Reaktoren realisieren – nicht nur am ASDEX-Upgrade-Reaktor in Garching, Deutschland, sondern auch am derzeit in Bau befindlichen ITER, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster in Frankreich oder auch in künftigen Fusionskraftanlagen wie DEMO, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster. „Unsere Arbeiten stellen einen Durchbruch im Verständnis des Auftretens und der Verhinderung von großen Typ-I-ELMs dar“, sagt Elisabeth Wolfrum. „Die von uns vorgeschlagene Betriebsart ist wohl das vielversprechendste Szenario für zukünftige Fusionskraftwerksplasmen.“

Die beschriebene Forschung ist Teil des österreichischen Fusionsforschungsprogramms Fusion@ÖAW, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster und wurde im Rahmen des EU-Projekts EUROfusion, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster durchgeführt.

Originalpublikation

G. F. Harrer, et al. „A quasi-continuous exhaust scenario for a fusion reactor: the renaissance of small edge localized modes” Physical Review Letters., öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Rückfragehinweise

Dr. Georg Harrer
Institut für Angewandte Physik
Technische Universität Wien
+43 1 58801 13434
+43 664 4001145
harrer@iap.tuwien.ac.at

Univ. Prof. Dr. Friedrich Aumayr
Institut für Angewandte Physik
Technische Universität Wien
+43 1 58801 13430
+43 664 605883471
friedrich.aumayr@tuwien.ac.at

Aussender:
Dr. Florian Aigner
Technische Universität Wien
PR und Marketing
Resselgasse 3, 1040 Wien
florian.aigner@tuwien.ac.at