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Katastrophen werden vorhersagbar – mit Weltraumdaten

Viele Menschen werden unvorbereitet von Überflutungen oder Hangrutschungen getroffen. Ein ESA-Projekt mit Beteiligung der TU Wien macht den Wasserkreislauf nun berechenbar.

Infographik: Die Erde und ihr digitaler Zwilling

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Ein "digitaler Zwilling" der Erde erlaubt, treffsichere Vorhersagen zu errechnen.

Infographik: Erde und Satellit

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Klimaauswirkungen auf den Wasserkreislauf werden erklärbar - mit Hilfe von Satellitendaten

Der Klimawandel verändert den Wasserkreislauf – aber wie? Leider lässt sich das nicht in eine einfache, global gültige Formel pressen. Der Wasserkreislauf ist ein komplexes System, regional können sich ganz unterschiedliche Veränderungen zeigen: In manchen Regionen wird es trockener, in anderen steigt die Regenmenge, Extremwetterereignisse ändern und verschieben sich.

Um dieses komplexe System besser vorhersagbar zu machen, entwickelte ein internationales Pilotprojekt, finanziert von der Europäischen Weltraumbehörde ESA und geleitet vom italienischen National Research Council, nun einen „digitalen Zwilling“ der Hydrosphäre: Der Wasserkreislauf und die relevanten mit ihm verbundenen Phänomene werden physikalisch korrekt am Computer nachgebildet. So lässt sich simulieren, wie eine ganz bestimmte Region auf hydrologische Veränderungen reagiert. Damit sollen nicht nur Katastrophen wie Überschwemmungen sondern auch schleichende Veränderungen im Wasserhaushalt, die z.B. durch höhere Temperaturen verursacht werden, räumlich detaillierter vorhergesagt werden als bisher.

Entscheidend dafür sind Satellitendaten. Ein Team der TU Wien sorgte dafür, dass speziell Radarsatellitendaten über den Wasserkreislauf nun in hervorragender räumlicher Auflösung zur Verfügung stehen – ein wesentliches Schlüsselelement für die Zuverlässigkeit des Vorhersagesystems.

Ein „digitaler Zwilling“ der Erde

Das Konzept des „digitalen Zwillings“ spielt in der Industrie schon lange eine wichtige Rolle: Ein kompliziertes System, zum Beispiel eine Produktionsanlage, wird physikalisch exakt am Computer nachgebildet. Man kann diesem System dann am Computer beliebige Bedingungen vorgeben, und es wird sich genauso verhalten wie auch in der Wirklichkeit. Ähnlich wie beim Flugsimulator, in dem man neuartige Flugmanöver am Computer ausprobieren kann, lässt sich so gefahrlos vorhersagen, was in einer speziellen Situation geschehen wird.

„Genau so ein digitaler Zwilling entsteht nun für das globale Wassersystem“, erklärt Dr. Mariette Vreugdenhil vom Department für Geodäsie und Geoinformation der TU Wien, die den Anteil der TU Wien an dem ESA Projekt geleitet hat. Wenn für große Gebiete, im Idealfall den ganzen Globus, räumlich hochaufgelöste Daten für die Validierung und laufende Verbesserung von Computersimulationen zur Verfügung stehen, dann lässt sich mit höherer Treffsicherheit sagen, welche Effekte sich unter bestimmten Bedingungen zeigen werden – bis hin zu Überflutungen oder Hangrutschungen an einem ganz bestimmten Ort.

Auf die Auflösung kommt es an

Von besonders großer Bedeutung sind dabei Daten über die Bodenfeuchte. Daran forscht man an der TU Wien schon seit Jahren: Man nutzt Messergebnisse von Radarsatelliten, die den Erdboden rund um die Uhr untersuchen. Daraus kann man wichtige Informationen über die Eigenschaften des Bodens herausrechnen und letztlich vorhersagen, ob der Boden in einer bestimmten Gegend angesichts kommender Regenfälle noch weiteres Wasser aufnehmen kann oder nicht.

Entscheidend dafür ist allerdings, dass man die räumlichen Gegebenheiten mit sehr hoher Auflösung kennt. „Hohe Auflösung heißt bei uns etwa: Ein Pixel pro Kilometer“, sagt Prof. Wolfgang Wagner, der Leiter des Forschungsbereichs Fernerkundung der TU Wien. „Man verwendet dafür heute oft künstliche Intelligenz. Die trainiert man mit unterschiedlichen Datensätzen und hofft dann, auf diese Weise die Auflösung zu verbessern. Das ergibt zwar schöne Bilder, aber ob die etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben, ist oft eine andere Frage.“ Um die Interpretation der Satellitendaten auf ihre Richtigkeit hin besser überprüfen zu können, hat man sich an der TU Wien für eine andere Strategie entschieden: „Wir verfolgen einen rigorosen Ansatz. Unser Modell arbeitet mit physikalischen Formeln, von denen wir wissen, dass sie stimmen.“ Machine Learning kommt unterstützend zum Einsatz, etwa für die Kalibrierung der Parameter, aber die Berechnung der Daten lässt sich klar nachvollziehen und erklären. So kann man sicherstellen, dass die Berechnung eines hochauflösenden Datensatzes auf bekannten Naturgesetzen beruht und es nicht etwa zu einer AI-Halluzination ohne faktische Basis kommt, wie das bei künstlicher Intelligenz auch manchmal zu beobachten ist.

Von der Po-Region in die ganze Welt

Begonnen hat man damit, die Po-Ebene in Italien abzubilden – eine besonders komplexe Region, wie Projektleiter Luca Brocca erklärt: „Wir haben die Alpen, wir haben Schnee, der schwer zu simulieren ist, besonders in unregelmäßigem und komplexem Gelände wie den Bergen. Dann gibt es das Tal mit all den menschlichen Aktivitäten – Industrie, Bewässerung.“ Aufbauend darauf bildete man den gesamten Mittelmeerraum ab.

Das Modell soll letztendlich auf den ganzen Erdball ausgedehnt werden. Außerdem soll es noch weiter verbessert und verfeinert werden. Wünschenswert wäre am Ende eine multidimensionale Abbildung der Hydrosphäre, in der ausgewählte Prozesse mit einer räumlichen Auflösung in der Größenordnung von zehn Metern erfasst werden können. Das Ziel des Projekts ist ein Computermodell, das rechtzeitig auf Gefahren hinweisen kann und auch dazu dient, die Auswirkungen verschiedener menschlicher Eingriffe auf lokaler Ebene zu erklären, sodass man nachhaltige Entscheidungen treffen kann.

"Diese gemeinsamen Bemühungen von Wissenschaft, Raumfahrtbehörden und Entscheidungsträgern versprechen eine Zukunft, in der ein digitaler Zwilling der Erde für die Hydrologie unschätzbare Erkenntnisse für ein nachhaltiges Wassermanagement und die Widerstandsfähigkeit gegen Katastrophen liefern", sagt Luca Brocca.


Originalpublikation

L. Brocca et al., A Digital Twin of the terresrial water cycle: a glimpse into the future through high-resolution Earth observations; Front Sci. 5. March 2024., öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Rückfragehinweis

Prof. Wolfgang Wagner
Department für Geodäsie und Geoinformation
Technische Universität Wien
+43 1 58801 12225
wolfgang.e120.wagner@tuwien.ac.at

Aussender:
Dr. Florian Aigner
PR und Marketing
Technische Universität Wien
Resselgasse 3, 1040 Wien
+43 1 58801 41027
florian.aigner@tuwien.ac.at