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Grau braucht Grün

Grünräume gehören zur kritischen Infrastruktur der Stadt. Über das Projekt „Wien – Grün – Corona“.

Haus mitten in der Natur voll bewachsen mit Pflanzen.

© Bob Martens

50 Prozent der Wiener Stadtfläche ist grün, 31 Prozent davon ist öffentlicher Grünraum – diese Zahlen klingen gut, doch tatsächlich ist der Grünraum in Wien ungleich über die Bezirke verteilt, von denen sich einige eines hohen Grünraumanteils erfreuen und andere vor allem eines sind: grau.

Unter Leitung des Umweltpsychologen Alexander Keul befragten TU-Studierende im April 2021 65 Wiener_innen aus 17 Bezirken: 36 Frauen und 29 Männer (19–70 Jahre) aus "sehr grünen", "mittelmäßig grünen" und "sehr grauen" Bezirken, von der Donaustadt bis zur Josefstadt, nahmen teil und erzählten in Interviews über ihre Erholungszeit unter Covid-Belastung.

Ergebnisse zum Covid-Erholungsverhalten

Wie war die generelle Wohnsituation? 83 Prozent zeigten sich (sehr) wohnzufrieden. Für den Sommer 2020 gaben 43 Prozent an, mehrmals pro Woche Naturkontakt zu haben, 19 Prozent davon sogar täglich. Ein typischer Aufenthalt im Grünen erstreckte sich dabei über zwei Stunden. Während der Coronazeit war 79 Prozent der Naturkontakt (sehr) wichtig, 63 Prozent befanden ihren Naturkontakt als genügend, 23 Prozent aber nicht. Von "grünen" nach "grauen" Bezirken hin war das Naturerleben gleich bedeutsam, während es sich zeigte, dass die erlebte Wohnumgebungsqualität deutlich abnahm.

Ein wenig Natur – große Wirkung

Frauen berichteten intensiveres Naturerleben, ihnen ist auch das Grün innerhalb ihrer eigenen vier Wände wichtiger als Männern. Eine höhere Wohnzufriedenheit zeigten auch ältere Wiener_innen und Bewohner_innen mit mehr Grün in ihrem persönlichen Umfeld und häufigerem Grünkontakt. Außerdem ergab sich, dass auch die persönlichen Auswirkungen der Pandemie vom eigenen Naturerleben und der Umweltqualität abhingen.

Natur herholen: Parks, Zimmerpflanzen, Haustiere

Wie handelten Bewohner_innen „grauer“ Bezirke, also jene, die weder eigene Balkone noch Gärten zu ihrer Verfügung hatten? Sie suchten Naturorte verstärkt außerhalb des eigenen Bezirkes auf und nahmen dafür längere Anfahrtswege in Kauf. Zudem wird die hohe Freizeitbedeutung städtischer Parks deutlich, denn 24 Wiener Parks wurden zusammen mit elf Erholungsgebieten wie der Donauinsel als Erholungsziele genannt. Und einen weiteren Effekt hat das Fehlen von Natur: In den "grauen" Teilen Wiens sind die Wohnungen von mehr Haustieren und Zimmerpflanzen bevölkert und bringen damit etwas an Naturerleben in die eigenen vier Wände.

Möglicherweise liegt das auch daran, dass in den "grauen" Bezirken Wiens mit 56 Prozent deutlich mehr ehemalige Landkinder als in den "grünen" (35 Prozent) leben.

Abschließend interessierten sich die Studierenden für die Vorschläge der von Gründefizit Betroffenen zur Verbesserung ihrer Situation. Wenig überraschend, machten sich Menschen aus "grauen" Bezirken dazu deutlich mehr Gedanken als jene mit besserer Grünversorgung: Ihre Ideen reichten von Dach-/Fassaden-/Innenhofbegrünungen hin zu grünen Baumscheiben, freundlicheren Parks oder gemeinsamen Gartenprojekten. Prof. Keul, der Leiter der Pilotstudie, sieht damit internationale Forschungen auch in Wien bestätigt: Grünräume zählen zur "kritischen Infrastruktur" einer Stadt.

Kontakt

Hon.Prof. Dr. Alexander Keul
Institut für Örtliche Raumplanung
Technische Universität Wien und
Universität Salzburg
alexander.keul@sbg.ac.at