Was hat der Regentropfen auf einem rostenden Autodach mit unseren Körperzellen gemeinsam? In beiden Fällen hat man es mit Grenzflächen zwischen Flüssigkeiten und festen oder weichen Oberflächen zu tun, an denen interessante Vorgänge ablaufen. Diese Prozesse sind in vielerlei Hinsicht von großer Bedeutung, sie auf molekularer Skala zu erklären ist allerdings schwierig. Unzählige unterschiedliche Moleküle interagieren dort miteinander, ihr komplexes Zusammenspiel legt fest, mit welcher Rate verschiedene chemische Reaktionen ablaufen oder wie stark die Adhäsionskraft ist, die einzelne Moleküle und feste Oberflächen aneinanderbindet.
Prof. Markus Valtiner, der mit 1. Oktober 2017 an die TU Wien berufen wurde, möchte solche Vorgänge nun am Institut für Angewandte Physik genauer untersuchen. Dafür entwickelt er neuartige Messmethoden, mit denen man dem dynamischen Verhalten einzelner Moleküle an Grenzflächen auf die Spur kommen soll.
Für seine Ideen zur technischen Weiterentwicklung von Rasterkraftmikroskopen und Oberflächen-Kraft-Apparaten wurde er mit einem ERC Starting Grant ausgezeichnet, den er nun an die TU Wien mitgebracht hat. Außerdem erhielt er am 1. November von der American Vacuum Society (AVS) den prestigeträchtigen „Peter Mark Memorial Award“ für herausragende Forschungspersönlichkeiten im Alter von bis zu 37 Jahren.
Ein Upgrade für das Rasterkraftmikroskop
Ein wichtiges Instrument zur Untersuchung von Oberflächen ist das Rasterkraftmikroskop. Eine winzige Spitze an einem mikroskopisch dünnen Hebel wird über eine Oberfläche bewegt, zwischen der Spitze und den Atomen der Oberfläche wirkt eine Kraft, der Hebel wird manchmal stärker und manchmal weniger stark ausgelenkt. Wenn man die winzigen Bewegungen des Hebels mit einem Laserstrahl sichtbar macht, kann man eine topographische Landkarte auf atomarer Skala erstellen.
„Allerdings hat man bei einem Rasterkraftmikroskop nicht über alle wichtigen Parameter die perfekte Kontrolle“, sagt Markus Valtiner. „Den Abstand gezielt auf einen ganz bestimmten Wert einzustellen ist kaum möglich, außerdem hat man immer das Problem der Drift: Auf mikroskopischer Skala bleibt die Probe nicht exakt am selben Ort.“ Alleine schon durch kleinste unvermeidliche Temperaturschwankungen kann sich die Probe ausdehnen oder zusammenziehen, und so ergeben sich während der Messung Bewegungen im Mikrometerbereich.
Diese Schwierigkeit könnte sich durch eine Technologie überwinden lassen, die man heute für sogenannte Oberflächen-Kraft-Apparate einsetzt. „Solche Apparate verwendet man, um Kraft und Abstand zwischen zwei Oberflächen zeitgleich zu ermitteln“, erklärt Markus Valtiner. „Mit Hilfe von Lichtstrahlen wird dabei der Abstand auf ein Ångstrom genau gemessen und stabil gehalten.“ Und genau diese Technik soll nun auch auf das Rasterkraftmikroskop übertragen werden – das ist eines der zentralen Ziele von Valtiners Projekt, für das er vom European Research Council einen mit 1.5 Millionen Euro dotierten ERC Starting Grant erhielt.
Moleküle, die einander die Hand reichen
Mit diesem neuartigen Gerät kann man dann das Verhalten einzelner Moleküle studieren: „Wir wollen zum Beispiel die dynamische Wechselwirkung zweier Biomoleküle in Echtzeit betrachten. Wir werden live mitverfolgen können, wie sie sich aneinander binden und wieder loslassen“, sagt Valtiner. Eines sitzt auf der Oberfläche, das andere auf der Spitze des Kraftmikroskops. Wenn man den Abstand genau messen kann, und wenn man es schafft, beide Moleküle einander auf kontrollierte Weise anzunähern, kann man dabei die Kraft messen, die zwischen den beiden Molekülen wirkt. Solche Untersuchungen auf Ebene einzelner Moleküle sollen es dann auch möglich machen, das Verhalten der gesamten Grenzschicht zu verstehen – etwa chemische Reaktionsraten vorauszusagen oder die Stärke von adhäsiven Bindungen zu erklären.
Anwendungsbereiche gibt es viele: „Auch in der Biologie sind die Effekte, die wir untersuchen wollen, extrem wichtig“, sagt Valtiner. „Man muss nur an eine biologische Zelle denken: Sie enthält Flüssigkeit, doch die Zell- und Membranstrukturen sind nirgendwo weiter als ein paar Nanometer entfernt. Eine Zelle ist also gewissermaßen nichts als ein Grenzbereich zwischen Oberflächen und Flüssigkeit.“ Aber auch im technischen Bereich sind Effekte zwischen Flüssigkeit und Festkörper von Bedeutung – etwa um Korrosion besser zu verstehen, oder auch um neue Brennstoffzellen zu entwickeln.
Wien, Düsseldorf, Santa Barbara
Aufgewachsen ist Markus Valtiner in Kärnten. 1999 begann er an der TU Wien Chemie zu studieren, bald schon erwachte sein besonderes Interesse am Grenzgebiet zwischen Chemie und Physik: Für seine Diplomarbeit forschte er in einer Physik-Arbeitsgruppe der Universität Lübeck. Als Dissertant ging Valtiner ans Max-Planck-Institut für Eisenforschung in Düsseldorf, nach seiner Promotion forschte er dort zunächst als Postdoc weiter, knüpfte gleichzeitig Kontakte in die USA und trat 2010 eine Postdoc-Stelle an der University of California in Santa Barbara an. 2012 kehrte er ans Max-Planck-Institut in Düsseldorf zurück, wo er Gruppenleiter wurde. 2016 schließlich wurde er als Professor an die TU Freiberg berufen – dort hielt es ihn allerdings nicht lange, denn bereits 2017 folgte der Ruf an seine Alma Mater, die TU Wien.
„Die TU Wien ist für mich der optimale Arbeitsplatz“, meint Markus Valtiner. „Nicht nur, weil ich mich natürlich in Wien sehr wohlfühle und hier auch Familie habe, sondern auch, weil meine Forschungsinteressen optimal zur TU Wien passen. Am Institut für Angewandte Physik haben wir eine erstklassige Oberflächenphysik-Gruppe, gleichzeitig gibt es ausgezeichnete Forschung im Bereich Biophysik. Meine Arbeitsgruppe positioniert sich in gewissem Sinn genau dazwischen, wir werden sicher eng mit den anderen Gruppen hier im Haus zusammenarbeiten.“
Viel Zeit für Hobbys bleibt Markus Valtiner neben seiner Forschungsarbeit nicht – wichtig ist ihm allerdings seine Familie. Seine Frau stammt aus Wien, sie begleitete ihn auf seinem Karriereweg von den USA über Deutschland zurück nach Österreich. „Unsere beiden Kinder sind fünf Monate und zwei Jahre alt – in dem Alter ist das Übersiedeln zum Glück noch kein großes Problem“, meint Valtiner. „Die Ältere beschäftigte die neue Umgebung schon, sie fühlt sich hier in Wien aber mittlerweile auch sehr wohl.“