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ERC-Grant für Jörg Schmiedmayer

Das Prinzip der Emergenz in der Quantenphysik will Jörg Schmiedmayer nun mit einem hochdotierten ERC Advanced Grant untersuchen.

Jörg Schmiedmayer mit Laserbrille im Labor

© Bernd Euring

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. In der Physik ist das ein wichtiges Grundprinzip: Oft entstehen durch das Zusammenspiel einzelner kleiner Komponenten etwas Komplexes, Neues, mit Eigenschaften, die auf Basis der Einzelteile gar nicht erklärbar sind. Wenn sich auf diese Weise aus miteinander wechselwirkenden Einzelteilen auf größerer Skala völlig neue Phänomene ergeben, dann spricht man von „Emergenz“. Besonders wichtig ist dieses Prinzip in der Quantenphysik – und auch für die Frage, wie sich die Eigenschaften unserer makroskopischen Alltagswelt aus den Gesetzen der kleinen Teilchen ergeben.

Prof. Jörg Schmiedmayer vom Atominstitut der TU Wien befasst sich seit vielen Jahren mit Experimenten, die neue Erkenntnisse über die fundamentalen Eigenschaften der Quantenwelt ermöglichen. Nun wird er vom European Research Council (ERC) mit einem ERC Advanced Grant ausgezeichnet – einer der höchstdotierten und prestigeträchtigsten Förderungen der europäischen Forschungslandschaft. Damit wird er nun Emergenz-Phänomene in der Quantenphysik untersuchen. Für Jörg Schmiedmayer ist es bereits der zweite derartige Grant: Schon 2013 hat er einen ERC Advanced Grant erhalten.

Das Kleine und das Große

Die Gesetze, denen einzelne Quantenteilchen gehorchen, versteht man längst sehr gut. Aber wie kommt es, dass auf den Größenskalen, mit denen wir im Alltag zu tun haben, scheinbar ganz andere Gesetze gelten? Wie lassen sich aus den Regeln der Quantenwelt die Regeln größerer Systeme ableiten? „In diesem Bereich sind nach wie vor viele Fragen offen“, sagt Prof. Jörg Schmiedmayer. „Dabei sind praktisch alle besonders interessanten Quantenphänomene emergent – etwa Supraleitung, Suprafluidität oder die Eigenschaften von Quantenmaterialien. Die Komplexität steigt exponentiell mit der Zahl der Teilchen.“

Er arbeitet an Systemen an der Grenze zwischen Quantenwelt und makroskopischer Welt – etwa mit Wolken aus tausenden ultrakalten Atomen, die mit Hilfe spezieller Atom-Chips manipuliert werden können. „Ihr Verhalten kann man nur mit den Gesetzen der Quantentheorie erklären – aber gleichzeitig handelt es sich hier bereits um ein hochkomplexes System, in dem viele Teilchen miteinander interagieren“, sagt Jörg Schmiedmayer. „Genau mit solchen Systemen können wir beobachten, wie aus der mikroskopischen Welt beobachtbare Eigenschaften größere Systeme entstehen – und daraus dann am Ende die makroskopischen Eigenschaften unserer klassischen Welt.“

Hydrodynamik, Quantenfeldtheorien und Universalität

Theoretische Arbeiten gibt es dazu bereits einige. „Aber experimentell gibt es dazu recht wenig, auch weil bisher die Experimentiertechnologie noch nicht gut genug war. Wir werden unterschiedliche Modelle unter die Lupe nehmen“, sagt Schmiedmayer. Dazu zählt etwa die Frage, warum sich die Gesetze der Hydrodynamik bei Quantensystemen besser anwenden lassen als man glauben könnte. Eigentlich beschreiben die Formeln der Strömungsmechanik einen homogenen Fluss, in dem einzelne Teilchen keine Rolle spielen. Aber erstaunlicherweise lassen sich mit diesen Formeln auch Aspekte der Quantenwelt besser beschreiben als man aus einer naiven Sichtweise heraus erwarten würde. Diese Emergenz der Hydrodynamik aus der Teilchenphysik wird eines der Forschungsthemen des ERC-Grants sein. Man will auch untersuchen, wie die Gesetze, denen einzelne Teilchen gehorchen, auf ganz bestimmte Quantenfeldtheorien führen, mit denen man dann größere Systeme auf größeren Skalen beschreiben kann.

Ein anderes Forschungsthema betrifft die sogenannte Universalität: „Wir konnten zeigen, dass Quantensysteme in bestimmten Fällen in einen universellen Zustand streben, der sich auf ganz simple, allgemeine Art beschreiben lässt. Es sieht aus, als würde das System dabei völlig vergessen, in welchem Zustand es vorher war“, erklärt Jörg Schmiedmayer. Das passt aber eigentlich nicht zu den Regeln der Quantentheorie – denn die sagen, dass ein Quantensystem prinzipiell keine Information „verlieren“ kann.

„Wir untersuchen Systeme, von denen wir bereits wissen, dass wir sie im Experiment extrem gut kontrollieren können“, sagt Jörg Schmiedmayer. „Die limitierende Größe ist in unserem Fall nicht die Präzision der Messung, sondern die Komplexität der Datenanalyse.“ Speicher- und Rechenbedarf steigt exponentiell mit der Systemgröße an – bei Systemen, die eine bestimmte Teilchenzahl übersteigen, ist es daher ganz grundsätzlich nicht mehr möglich, alle Details auf mikroskopischer Ebene zu analysieren. Man hat gar keine andere Wahl, als sich auf emergente Eigenschaften des Systems zu konzentrieren.

„Ganz wichtig für uns ist auch, die emergenten Modelle zu verifizieren“, sagt Jörg Schmiedmayer. „Wir sammeln nicht einfach Daten, um uns dann mit ein bisschen Phantasie ein Modell auszudenken, das gut zu diesen Daten passt. In bestimmten Fällen ist es möglich, das Modell direkt aus den Daten zu extrahieren. Die Theorie, die man benötigt, ergibt sich dann zwingend aus den Messergebnissen – das ist zumindest unsere Hoffnung.“

Jörg Schmiedmayer

Jörg Schmiedmayer forscht seit 2006 am Atominstitut der TU Wien, wo er auch bereits seine Doktorarbeit schrieb. Dazwischen führte ihn seine berufliche Laufbahn rund um die Welt: Schmiedmayer arbeitete als Postdoc in Harvard und am MIT (Cambridge, USA), ging dann nach Innsbruck und später als Prof für Experimentalphysik an die Universität Heidelberg. Als Gastprofessor war er unter anderem an der Universität Peking (China) und am National Institut for Informatics (NII) in Tokyo tätig. Schmiedmayer wurde mit zahlreichen Stipendien und Preisen ausgezeichnet – darunter auch der Wittgenstein-Preis des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF (2006).

Kontakt

Prof. Jörg Schmiedmayer
Atominstitut, Vienna Center for Quantum Science and Technology (VCQ)
Technische Universität Wien
+43 1 58801 141888
schmiedmayer@AtomChip.org

Aussender:
Dr. Florian Aigner
PR & Marketing
Technische Universität Wien
Resselgasse 3, 1040 Wien
+43 1 58801 41027
florian.aigner@tuwien.ac.at