„In der Energiewirtschaft herrscht heute Aufbruchsstimmung“, sagt Prof. Günther Brauner von der TU Wien. Dass wir Stromerzeugung und Energieversorgung überdenken müssen, wenn wir den CO2-Ausstoß reduzieren wollen, ist längst politischer Konsens, doch wie die Energieversorgung der Zukunft tatsächlich aussehen soll, war lange recht unklar. Nun aber zeichnen sich Lösungen ab: Die Zukunft gehört Solar- und Windenergie, und auch neue Generationen von thermischen Kraftwerken werden ein wichtiger Teil der neuen Stromversorgung sein. Umfangreiche Studien dazu wurden nun an der TU Wien präsentiert.
Grüner Strom: Der Wandel ist möglich
Sowohl in Österreich als auch in Deutschland wurden die Perspektiven für unsere Energieversorgung analysiert, beide Studien wurden unter Federführung der TU Wien durchgeführt. Sie zeichnen insgesamt ein optimistisches Bild: Eine CO2-neutrale Energieversorgung ist in den nächsten Jahrzehnten möglich, allerdings wird dann unsere Energiewirtschaft drastisch anders aussehen als heute. „Der politische Wille ist nun da, besonders in Deutschland“, ist Günther Brauner zuversichtlich. Die Pläne liegen auf dem Tisch – nun kommt die Zeit der Umsetzung.
Das Potenzial alternativer Stromerzeugung ist riesengroß: „Allein in Deutschland lässt sich durch Photovoltaik eine Leistung von 25 Gigawatt aufbringen, und 30 Gigawatt durch Windkraftwerke“, sagt Günther Brauner. Das Problem dabei ist bekannt: Sonne und Wind richten sich nicht nach dem Strombedarf – für dunkle, windarme Phasen muss Energie gespeichert oder auf anderem Weg erzeugt werden.
Solar- oder Windkraftanlagen wurden daher manchmal eher als schmückendes Beiwerk gesehen, als kleine grüner Zusatz zu den großen Grundlastkraftwerken, die wetterunabhängigen Strom erzeugen, etwa durch die Verbrennung von Kohle und Gas. Thermische Kraftwerke sind zwar flexibel und können Differenzen zwischen Angebot und Nachfrage im Stromnetz recht effizient ausgleichen, werden aber aus Umweltschutz-Perspektive meist sehr kritisch betrachtet – es sei denn sie werden zukünftig mit aus regenerativem Wasserstoff gewonnenen Ökomethan betrieben.
Thermische Kraftwerke: Zukunftshoffnung statt Auslaufmodell
„Thermische Kraftwerke können viel mehr“, versichert Brauner. Für ihn sind sie der ideale Partner für Sonne und Wind. Innerhalb von 36 Minuten geht über Deutschland die Sonne auf – innerhalb dieser Zeit, während im ganzen Land die Photovoltaik-Zellen mit der Stromproduktion beginnen – müssen thermische Kraftwerke heruntergefahren werden, um abends dann die Sonnenenergie wiederum abzulösen. Alte Kraftwerkstypen waren dafür nicht ausgelegt, doch in Zukunft wird es thermische Kraftwerke geben, die ihre Energie tagsüber in Form von heißem Dampf speichern können. Damit können sie abends innerhalb der rekordverdächtig kurzen Zeit von einer halben Stunde ihre Leistung von null auf hundert Prozent hochfahren.
Alternative Stromerzeugung bewirkt also, dass über die scheinbar altbewährten thermischen Kraftwerke neu nachgedacht werden muss. „Ein Kohlekraftwerk kann beispielsweise über Stunden seinen Output kontinuierlich steigern oder reduzieren. Genau solche Energie-Gradienten werden in Zukunft an Energiebörsen handelbar sein“, sagt Brauner. Bisher konnte man an Börsen nur mit bestimmten Energiemengen zu bestimmten Zeiten handeln. Einen kontinuierlichen Verlauf als Börsen-Produkt einzuführen ändert das gesamte Energiesystem – und kann ein Umfeld schaffen, in das Sonne und Wind besser hineinpassen als heute.
Sag, wie hältst du’s mit dem Speichern?
Die Gretchenfrage beim Energiekonzept für die Zukunft ist noch immer: Wie können wir Energie effizient speichern? Es wäre schließlich jammerschade, Überschüsse einfach verpuffen zu lassen, wenn die Sonne scheint und der Wind bläst. Überschüssige elektrische Energie kann für Elektrolyse genutzt werden. Man spaltet Wasser auf und verwendet den Wasserstoff als Energieträger. Er kann für LKWs mit Wasserstoff-Brennstoffzellen verwendet werden, doch den Hauptnutzen sieht Brauner in einem anderen Verfahren: „Aus dem CO2, das beim Verbrennen von fossilen Energieträgern entsteht und dem Wasserstoff aus der Elektrolyse lässt sich Methangas herstellen“, erklärt Brauner. Dieses Methangas kann dann in thermischen Kraftwerken wieder in elektrischen Strom umgewandelt werden – ohne zusätzlichen CO2-Ausstoß zu verursachen.
Was das Speichern von Energie angeht ist Österreich ist in einer glücklichen Situation: Pumpspeicherkraftwerke in den Alpen geben uns die Möglichkeit, flexibel auf Angebots- und Nachfrageänderungen zu reagieren. Sie werden in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen, doch zu viel sollte man von ihnen auch nicht erwarten, meint Brauner: „Würden wir europaweit unsere Energie plötzlich nur aus den Pumpspeichern beziehen, wären die Speicher nach einer Dreiviertelstunde leer.“ Pumpspeicher können kurzfristige Fluktuationen ausgleichen, doch für langfristiges Energiespeichern benötigt man andere Konzepte. Eine sinnvolle Möglichkeit ist für Brauner das unterirdische Speichern von Gas. So wie natürliches Erdgas im Gestein lagert, könnte man auch künstlich hergestelltes Gas in der Tiefe lagern. „Den Energiebedarf von etwa drei Jahren könnte man so speichern“, meint er.
Grüne Energie für Elektroautos
Bei großen Plänen für die Energieversorgung darf man die Stromversorgung nicht losgelöst von Mobilität und Treibstoff betrachten. In Zukunft wird ein großer Anteil der Autos elektrisch betrieben werden, oder mit Kohlenwasserstoffen, die aus dem bestehenden natürlichen Kohlenstoffkreislauf gewonnen wurden und keine zusätzlichen CO2-Emissionen verursachen. „Das Potenzial der erneuerbaren Energieträger ist hoch genug, um damit auch unsere Fahrzeuge zu betreiben“, sagt Günther Brauner. Die Energie, die für Mobilität verwendet wird, beträgt heute nur etwa 15% unseres elektrischen Energiebedarfs.
Am Sparen führt kein Weg vorbei
Ganz ohne Sparen und Umdenken wird es allerdings nicht gehen. „Wir sollten mit dem elektrischen Strom jedenfalls sorgsam umgehen. Wenn wir unnötige Energievergeudung stoppen, ist es gar kein Problem, den nötigen Strom für Elektroautos aufzubringen“, ist Brauner zuversichtlich. Allein 20-47% des Stromes, den unsere Haushaltsgeräte verbrauchen, wird heute einfach verschwendet und könnte problemlos eingespart werden. Mit einem Rückgang des Stromverbrauchs rechnet Brauner in seinen Studien nicht – doch der stetige Anstieg der letzten Jahrzehnte sollte durch Sparmaßnahmen zum Stillstand gebracht werden.
Zusätzlich wird man über die Struktur des Stromnetzes nachdenken müssen: Statt großer Kraftwerke, die ganze Regionen versorgen, wird es viele kleine Stromerzeuger geben. Der Strom soll möglichst dort erzeugt werden, wo er auch verbraucht wird. Lokale „Microgrids“ sind die Zukunft, durch sie können wir den Aufbaubedarf an Hoch- und Höchstspannungsleitungen vermindern. „Bisher wurde die Photovoltaik gefördert, ohne sich ernsthaft Gedanken über das Stromnetz zu machen“, beklagt Brauner. „Langfristig werden wir mehr Niederspannungsleitungen brauchen. Allerdings wird es ausreichen, die Leitungen beim routinemäßigen Austausch in den nächsten Jahrzehnten aufzurüsten, wenn wir Photovoltaik moderat ausbauen und gleichmäßig auf alle Gebäude verteilen“, meint Brauner.
Bis 2020 reicht in diesem Fall das bestehende Netz aus – bis dahin sollte sich die Kapazität ohne große Zusatzkosten erhöhen lassen. Längerfristig wird man aber auch über größere Ausbauten nachdenken müssen: „Wenn wir Offshore-Windanlagen ausbauen benötigen wir sogar viele neue Hochspannungsleitungen“, sagt Günther Brauner. In Deutschland sind über 3.500 km an neuen Leitungen geplant, wegen geringer Akzeptanz konnten aber bisher nur 241 km errichtet werden.
Österreichische Ideen für Deutschland
Prof. Günther Brauner leitete das interdisziplinäre Projekt „Super for Microgrid“, gefördert vom österreichischen Klima- und Energiefonds, in dem speziell die Energie-Zukunft Österreichs unter die Lupe genommen wurde. Auch in Deutschland beschloss man, Brauners Know-How zu nutzen – so wurde er auch zum Leiter der VDE-Task Force „Flexibilisierung der Thermischen Erzeugungskapazitäten“. Unter seiner Leitung wird nun die Zusammenführung der zentralen und dezentralen Erzeugungstechnologien in Deutschland im Zeitraum bis zum Jahr 2050 analysiert. Seit 2011 ist er Leiter des Fachbereichs V1 „Zentrale und dezentrale Energieerzeugung“ der energietechnischen Gesellschaft des VDE. Dass ein Wissenschaftler aus Österreich in diesem Bereich eine so wichtige Rolle spielt, ist kein Zufall: „Die TU Wien war schon immer sehr stark auf diesem Gebiet“, sagt Günther Brauner. „Vor 10 Jahren war Österreich im Bereich nachhaltige Energieversorgung und Passivhaustechnologie führend, heute müssen wir uns in Forschung und industrieller Entwicklung anstrengen, um den Anschluss zu halten.
Brauner ist überzeugt davon, dass der Umstieg auf nachhaltig erzeugten Strom nicht nur ökologische Vorteile bringt, sondern gesamtwirtschaftlich sinnvoll ist: Allein in Deutschland bringt die grüne Strom-Revolution rund 380.000 Arbeitsplätze und spart 5,8 Mrd. Euro an Import von fossilen Energieträger ein. „Ein Kohlekraftwerk zu bauen, schafft kurzfristige Jobs für Bauarbeiter. Kleine, alternative Kraftwerke bringen Jobs auf Dauer“, sagt Brauner. Wir werden in Zukunft beide Typen von flexible thermische Kraftwerke mit den großen Übertragungsnetzen und dezentrale regenerative Erzeugungsanlagen mit Smart Grid und Miro Grid brauchen. Nicht nur im Bau, sondern vor allem auch in der Forschung an neuen Energie-Lösungen sieht er große Chancen: „Unser wirtschaftlicher Erfolg beruhte immer auf den Pioniertaten unserer Ingenieure. In diesem Bereich haben wir die Möglichkeit, an historische Erfolge anzuschließen, uns als globale Vordenker zu präsentieren und unsere Ideen und Technologien in die ganze Welt zu exportieren.“
Rückfragehinweis:
Prof. Günther Brauner
Institut für Energiesysteme und Elektrische Antriebe
Technische Universität Wien
Gusshausstraße 25/370-1, 1040 Wien
<link>brauner@ea.tuwien.ac.at
Aussender:
Dr. Florian Aigner
Büro für Öffentlichkeitsarbeit
Technische Universität Wien
Operngasse 11, 1040 Wien
T: +43-1-58801-41027
<link>florian.aigner@tuwien.ac.at
Fotos:
[1] © Erika Grazilis / pixelio.de
[2] © G. Brauner / TU Wien
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[5] © Erich Westendarp / pixelio.de