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Eine Fernsteuerung für alles Kleine

Atome, Moleküle oder sogar lebende Zellen lassen sich mit Lichtstrahlen manipulieren. An der TU Wien entwickelte man eine Methode, die solche „optischen Pinzetten“ revolutionieren soll.

Intensitätsverteilung eines elektrischen Wellenfeldes, das ein wohldefiniertes Drehmoment auf das quadratische Target ausübt.

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Intensitätsverteilung eines elektrischen Wellenfeldes, das ein wohldefiniertes Drehmoment auf das quadratische Target ausübt.

Andre Brandstötter, Michael Horodynski, Kevin Pichler, Stefan Rotter, Matthias Kühmayer (v.l.n.r. / left to right)

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Andre Brandstötter, Michael Horodynski, Kevin Pichler, Stefan Rotter, Matthias Kühmayer (v.l.n.r. / left to right)

Wellenleiter aus Aluminium mit einem quadratischen Target in der Mitte (die Deckelplatte ist nicht gezeigt). Die weißen Teflon-Elemente links und rechts von dem Target simulieren ein ungeordnetes Medium.

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Wellenleiter aus Aluminium mit einem quadratischen Target in der Mitte (die Deckelplatte ist nicht gezeigt). Die weißen Teflon-Elemente links und rechts von dem Target simulieren ein ungeordnetes Medium.

Sie erinnern ein bisschen an den „Traktorstrahl“ aus Star Trek: Spezielle Lichtstrahlen werden heute dafür verwendet, Moleküle oder kleine biologische Partikel zu manipulieren. Sogar Viren oder Zellen können damit festgehalten oder gezielt bewegt werden. Allerdings funktionieren diese Lichtpinzetten nur, wenn sich das festgehaltene Objekt im leeren Raum befindet. Jede störende Umgebung würde die Lichtwellen ablenken und den Effekt kaputtmachen. Gerade bei biologischen Proben ist das ein Problem, denn sie sind meistens in eine räumlich sehr komplexe Umgebung eingebettet.

Optische Pinzetten in schmutziger Umgebung

„Laserstrahlen zur Manipulation von Materie einzusetzen ist längst nichts Ungewöhnliches mehr“, erklärt Prof. Stefan Rotter vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien. 1997 wurde der Physik-Nobelpreis für Laserstrahlen vergeben, mit denen sich Atome abbremsen und damit abkühlen ließen, 2018 gab es einen Physik-Nobelpreis für die Entwicklung von optischen Pinzetten.

Doch Lichtwellen sind empfindlich: In einer ungeordneten, unregelmäßigen Umgebung können sie auf hochkomplizierte Weise abgelenkt und in alle Richtungen gestreut werden. Aus einer völlig regelmäßigen Lichtwelle wird dann ein wirres, ungeordnetes Wellenmuster. Die Wirkung auf ein bestimmtes Partikel, das man manipulieren möchte, kann sich dadurch völlig verändern.

„Diesen Streu-Effekt kann man jedoch kompensieren“, erklärt Michael Horodynski, Erstautor der Studie. „Im Speziellen berechnen wir, wie man die Welle anfangs formen muss, damit sie von den Unregelmäßigkeiten einer ungeordneten Umgebung genau in die Form gebracht wird, die wir wollen.“ Die Lichtwelle sieht in diesem Fall zunächst also recht ungeordnet und chaotisch aus, wird durch die ungeordnete Umgebung aber zu etwas Geordnetem. Die vielen kleinen Störungen, die normalerweise das Experiment unmöglich machen, nützt man hier aus, um genau die gewünschte Wellenform zu erzeugen, die dann an einem bestimmten Partikel ihre Wirkung entfaltet.

Die optimale Welle berechnen

Damit das gelingt, wird das Partikel samt seiner ungeordneten Umgebung zunächst mit verschiedenen Wellen beleuchtet. Dabei misst man, auf welche Weise die Wellen reflektiert werden. Diese Messung führt man zweimal kurz hintereinander durch. „Angenommen, in der kurzen Zeit zwischen den beiden Messungen bleibt die ungeordnete Umgebung ziemlich gleich, während sich das Partikel, das wir manipulieren wollen, ein kleines bisschen verändert“, sagt Stefan Rotter. „Denken wir etwa an eine Zelle die sich bewegt, oder einfach nur ein winziges Stück nach unten sinkt. Dann wird die Lichtwelle, die wir hineinschicken bei der zweiten Messung ein kleines bisschen anders reflektiert als beim ersten Mal.“ Und genau dieser winzige Unterschied ist entscheidend: Mit der neuen Rechenmethode des Forschungsteams an der TU Wien kann man daraus berechnen, welche Welle man verwenden muss, um diese Partikelbewegung zu verstärken oder abzuschwächen.

„Wenn das Partikel langsam nach unten sinkt, können wir eine Welle berechnen, die dieses Absinken verhindert, oder das Partikel noch schneller absinken lässt“, sagt Stefan Rotter. „Wenn sich das Partikel ein kleines bisschen dreht, dann können wir eine Welle berechnen, die den maximalen Drehimpuls überträgt – wir bringen somit das Partikel dann mit einer speziell geformten Lichtwelle zum Rotieren, ohne es direkt zu berühren.“

Erfolgreiche Experimente mit Mikrowellen

Kevin Pichler, ebenfalls Teil des Forschungsteams an der TU Wien, konnte bei Projektpartnern an der Universität Nizza (Frankreich) die Rechenmethode in der Praxis umsetzen: Er verwendete zufällig angeordnete Teflon-Objekte, die er mit Mikrowellen bestrahlte – und tatsächlich gelang es auf diese Weise, genau jene Wellenformen zu erzeugen, die durch die Unordnung des Systems am Ende genau die gewünschte Wirkung zeigten.

„Das Mikrowellenexperiment zeigt, dass unsere Methode funktioniert“, berichtet Stefan Rotter. „Aber das eigentliche Ziel ist, sie nicht mit Mikrowellen sondern mit sichtbarem Licht einzusetzen. Das könnte für optische Pinzetten völlig neue Anwendungsgebiete erschließen und speziell in der biologischen Forschung erlauben, kleine Partikel auf eine Weise zu kontrollieren, die bisher völlig unmöglich war.“

Originalpublikation

M. Horodynski et al., Optimal wave fields for micromanipulation in complex scattering environments, Nature Photonics (2019): https://www.nature.com/articles/s41566-019-0550-z, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster
Frei zugängliche Version: https://arxiv.org/abs/1907.09956, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Kontakt

Prof. Stefan Rotter
Institut für Theoretische Physik
Technische Universität Wien
Wiedner Hauptstraße 8–10, 1040 Wien
T +43-1-58801-13618
stefan.rotter@tuwienac.at

Aussender:
Dr. Florian Aigner
PR und Marketing
Technische Universität Wien
Resselgasse 3, 1040 Wien
T +43-1-58801-41027
florian.aigner@tuwien.ac.at