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Ein Mikroskop für subtile Oberflächen-Eigenschaften

Weitere Beweise für die extreme Präzision der Oberflächenforschung an der TU Wien liefert das Team des SFB TACO in spektakulären neuen Publikationen.

Schematische Darstellung der Atome der Oberfläche als Inset auf einem Elektronenmikroskop-Bild

Veranschaulichung der Ergebnisse der Dichtefunktionaltheorie-Simulationen. Die dunklen CO-Moleküle docken an Stellen an, wo zwei überschüssige Elektronen sitzen (Bipolaronen), die hellen CO-Moleküle dort wo nur ein überschüssiges Elektron ist. Hintergrund: Rasterkraft-Mikroskop-Bild von CO-Molekülen auf der Oberfläche von Kaliumtantalat.

Seit Jahren sorgen Forschungsteams der TU Wien im Bereich der Oberflächenforschung immer wieder für internationales Aufsehen: Durch jahrelange Arbeit an neuen Mikroskopie-Methoden gelingt es, Fotos und sogar Videos von einzelnen Atomen auf Kristalloberflächen aufzunehmen. So lässt sich untersuchen, welche chemischen und physikalischen Prozesse dort ablaufen. Das ist wichtig, um Katalysatoren besser zu verstehen und weiterzuentwickeln.

Finanziert vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF wurde im März 2021 der Spezialforschungsbereich TACO („Taming Complexity in Materials Modelling“) ins Leben gerufen, in dem die TU Wien mit der Universität Wien zusammenarbeitet. Dabei geht es einerseits um die experimentelle Erforschung von Oberflächenprozessen, andererseits auch um die computergestützte Modellierung dieser Phänomene. In zwei neuen Publikationen in hochangesehenen Fachjournalen konnte TACO nun zeigen, welche bemerkenswerten Möglichkeiten die moderne Oberflächenphysik mittlerweile liefert: Man kann nicht nur einzelne Atome abbilden, sondern dabei auch noch subtile Eigenschaften bestimmen und dadurch Unterschiede zwischen einzelnen Atomen messen, die man bisher gar nicht vermutet hatte.

In einem Paper, kürzlich erschienen in „Nature Communications“, zeigt das Team, wie es gelang, die Verteilung von Elektronen auf einer Kaliumtantalat-Oberfläche zu entschlüsseln, ein zweites Paper liefert überraschende Einblicke in die Oberflächenchemie dieses Materials.

Eine Kohlenmonoxid-Spitze misst Kohlenmonoxid

Bei extrem tiefen Temperaturen wurden Kohlenmonoxid-Moleküle auf einer Kaliumtantalat-Oberfläche platziert. Danach wurde die Oberfläche mit einem Rasterkraft-Mikroskop abgetastet. Dabei verwendete man allerdings nicht, wie normalerweise üblich, eine metallische Spitze, um die Oberfläche damit abzutasten. Stattdessen wurde die Spitze des Mikroskops „funktionalisiert“: Ein einzelnes CO-Molekül wird auf der Spitze platziert, dieses Molekül dient dann gewissermaßen als „Fühler“, der in winzigem Abstand über die Oberfläche bewegt wird.

Dadurch wird die Spitze des Rasterkraft-Mikroskops chemisch inert – sie reagiert also nicht mit Molekülen, die sich auf der untersuchten Oberfläche befinden, gleichzeitig wird das CO-Molekül auf der Spitze von den CO-Molekülen auf der Oberfläche abgestoßen, diese abstoßende Kraft wird gemessen und daraus lassen sich hochauflösende Bilder der Oberfläche erstellen.

„Das überraschende Ergebnis dieser Messung war: Wir fanden zwei verschiedene Sorten von Kohlenmonoxid-Molekülen auf der Oberfläche“, sagt Martin Setvin (TU Wien). „Manche erscheinen auf dem Bild sehr hell, andere sehr dunkel – und das, obwohl die Tantal-Atome, auf denen sie sitzen, eigentlich auf den ersten Blick gleich aussehen.“ Das Forschungsteam konnte allerdings zeigen, dass die dunklen CO-Moleküle stärker an die Oberfläche gebunden sind als die hellen: Wenn man die Oberfläche über eine Temperatur von rund 145 Kelvin bringt, dann bleiben nur noch die dunklen Moleküle übrig, die anderen haben die Oberfläche bei diesen Temperaturen bereits verlassen.

Um das zu erklären, waren aufwändige Computersimulationen notwendig: Man nutzte Österreichs größten Supercomputer, den VSC (Vienna Scientific Cluster), um aufwändige Dichtefunktionaltheorie-Berechnungen durchzuführen. Dadurch konnte man zeigen, dass sogenannte Bipolaronen für den Unterschied zwischen den beiden CO-Sorten verantwortlich sind.

Ein Bipolaron ist ein Quasiteilchen – also ein Wechselwirkungszustand zwischen mehreren Teilchen, der aber seinerseits quantenphysikalisch ähnlich wie ein eigenes Teilchen beschrieben werden kann. Im Fall der Kaliumtantat-Oberfläche entstehen diese Bipolaronen dadurch, dass sich zwei überschüssige Elektronen an einem Tantal-Atom einfinden, und das wiederum beeinflusst die geometrische Anordnung der Atome auf der Oberfläche.

Die Berechnungen zeigten, dass die Anwesenheit von Bipolaronen die Bindung der CO-Moleküle an die Oberfläche verstärkt – die stark gebundenen „dunklen“ Moleküle sind also jene, an denen sich ein Bipolaron befindet, die anderen, schwächer gebundenen erscheinen auf dem Bild hell.

Diese Ergebnisse sind ein weiterer wichtiger Beitrag zum Verständnis katalytischer Prozesse – und ein Beweis für die extreme Leistungsfähigkeit der Methoden, die im Rahmen des Spezialforschungsbereichs TACO entwickelt werden.

Originalpublikationen

Z. Wang et al., Surface chemistry on a polarizable surface: Coupling of CO with KTaO3(001), Science Advances 8,33 (2022)., öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

M. Reticcioli et al., Competing electronic states emerging on polar surfaces, Nature Communications 13, 4311 (2022)., öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster