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Die Physik des Lebendigen

Prof. Gerhard Schütz untersucht lebende Zellen mit ganz besonderen Mikroskopie-Methoden.

 Prof. Gerhard Schütz

Mittelalterliche Städte und lebende Zellen haben einiges gemeinsam: Der Schutz gegenüber der Außenwelt ist eine Überlebensfrage. Von innen ist es oft nicht einfach zu entscheiden, wen man einlassen soll und wen nicht. In der mittelalterlichen Stadt gab es Torwächter, in der Zelle kommt den Proteinen der Zellmembran die entscheidende Rolle zu. An den chemischen und physikalischen Prozessen, die an der Membran und dann im Inneren der Zelle ablaufen, gibt es noch viel zu forschen. Prof. Gerhard Schütz vom Institut für Angewandte Physik der TU Wien leistet dazu wichtige Beiträge, ganz besonders durch die Arbeit an neuartigen bildgebenden Verfahren.

Kleiner als die Wellenlänge
Mit einem Lichtmikroskop kann man keine Objekte betrachten, die kleiner sind als die Wellenlänge des verwendeten Lichts – dieser Grundsatz galt lange Zeit als unanfechtbare Tatsache. Doch ganz besondere Mikroskopiemethoden erlauben heute, eine noch deutlich höhere Auflösung zu erzielen.

Gerhard Schütz arbeitet nicht nur daran, möglichst hochauflösende Bilder zu erzeugen, in seinem Labor gelingt es, die Dynamik von lebenden Zellen zu beobachten. Dadurch wird es möglich, die Funktion der Nanostrukturen der Zellmembran zu verstehen.

Fluoreszenz-Farbstoffe lassen sich heute sehr gezielt in biologische Materialien einbringen. So kann man etwa einzelne Proteine markieren, indem man sie mit einem fluoreszierenden Molekül fusioniert. Mit einem Laserstrahl wird dieses Molekül angeregt, dann fluoresziert es für kurze Zeit. Die Schärfe eines photographischen Bildes, das auf diese Weise erzeugt wird, ist zwar tatsächlich durch die Wellenlänge des Lichts beschränkt – auf dem Foto würde man nur eine unscharfe Wolke sehen. Doch wenn man die Lage des Zentrums der Wolke ermitteln, kann man den Ort des fluoreszierenden Moleküls mit Präzision in der Größenordnung von etwa 20 Nanometern bestimmen.

Mit Fluoreszenzmikroskopie beschäftigte sich Gerhard Schütz schon in seiner Diplomarbeit. Er studierte an der Johannes Kepler Universität in Linz, dort promovierte er auch und arbeitete als Postdoctoral Fellow und Assistent. 2004 wurde er dann Assistenzprofessor, 2011 wurde er als ordentlicher Professor an die TU Wien berufen. Mikroskopiemethoden waren für ihn dabei immer wichtig. „Oft hat man sich viel zu sehr auf das Mikroskop selbst konzentriert. Man muss die Probe und das Mikroskop als Teile eines Gesamtsystems betrachten“, ist Schütz überzeugt.

Was macht das dritte Molekül von links?
In der Forschungsgruppe von Gerhard Schütz setzt man oft viele tausend Einzelbilder zu einem Gesamtbild zusammen. Am Computer lassen sich dann sogar die Bahnen der einzelnen Moleküle verfolgen – man spricht von „Single Molecule Tracking“. Für die Zellbiologie-Forschung spielt das eine große Rolle: Erstmals kann man tatsächlich beobachten, welche Rolle einzelne Moleküle oder bestimmte Nanostrukturen für das Leben der Zelle spielen.

„Die Zellmembran ist keine starre, feste Oberfläche, sie ist sehr fluide“, sagt Gerhard Schütz. „Die Moleküle der Membran sind ständig in Bewegung, ähnlich wie in der Haut einer Seifenblase.“ Den Großteil der Membran machen Lipidmoleküle aus, die Proteine sitzen dazwischen nicht an fixen Plätzen, sie können relativ frei herumwandern.

Wie wichtig die Proteine an der Zelloberfläche für unser Leben sind, zeigt sich schon daran, wie viele von ihnen die Evolution hervorgebracht hat: Etwa ein Drittel des gesamten Proteoms sind Membranproteine. „Für die Pharmazie sind diese Proteine natürlich ganz entscheidend“, sagt Gerhard Schütz. „Sie sorgen dafür, dass Medikamente überhaupt in die Zelle gelangen können.“ Oft hat man auch damit zu kämpfen, dass zelluläre Mechanismen die eingeschleusten Medikamente als Eindringlinge erkennen und wieder hinausbefördern. Das gilt es zu verhindern.

Die Mechanik des Immunsystems
Wie sehr Signale von außen die Vorgänge im inneren der Zelle steuern können, wird bei T-Zellen besonders deutlich. Sie ein zentraler Bestandteil unseres Immunsystems, weil sie pathogene Substanzen durch spezielle Rezeptoren erkennen können. Ein einziges Molekül reicht aus, um eine T-Zelle spezifisch zu aktivieren. „Dabei spielt aber nicht nur die Chemie des Andockens eine Rolle, der Prozess hat auch eine wichtige physikalische Komponente. Mechanische Kräfte, die auf die Zelle einwirken, können darüber entscheiden, ob die Zelle aktiv wird. Auch daran wird derzeit in der Arbeitsgruppe von Gerhard Schütz geforscht. DNA-Stränge sollen dabei als Mini-Federn verwendet werden, deren Stauchung und Dehnung Auskunft über die Kräfte gibt, denen die Zellen ausgesetzt sind.

Gerhard Schütz ist zwar Physiker, doch sein Forschungsgebiet ist äußerst interdisziplinär: Er knüpft an Chemie, an Biologie und an Medizin an. Sein Labor hat er im Lehartrakt eingerichtet – zwischen Chemieinstituten. Die Qualität seiner wissenschaftlichen Arbeit wird nicht nur durch zahlreiche Publikationen und eingeladene Konferenzvorträge unter Beweis gestellt, sondern auch durch hohe Auszeichnungen: Schütz gewann unter anderem im Jahr 2004 einen START-Preis des FWF. Er ist Mitglied der jungen Kurie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Präsident der Österreichischen Biophysikalischen Gesellschaft.