Unsere Stromnetze sind historisch gewachsen. Große Teile stammen aus Zeiten, in denen die Anforderungen an die Stromverteilung noch ganz anders waren als heute. In Zukunft soll die Stromerzeugung weiter dezentralisiert werden, Alternativenergie-Anbieter sollen Energie ins Stromnetz einspeisen. Bis hinunter auf die Ebene einzelner Haushalte sollen Stromerzeuger und Energiespeicher eingebunden werden. Es gibt unterschiedliche Versuche, unser Stromnetz an diese Herausforderung anzupassen, doch keiner von ihnen löst alle Probleme nachhaltig.
Die Elektrotechnikerin Albana Ilo, vom Institut für Energiesysteme und Elektrische Antriebe der TU Wien ist überzeugt, dass man sich nicht mit Notlösungen zufrieden geben darf. Sie hat die Grundkonzepte des Stromnetzes ganz neu überdacht und präsentiert nun „LINK“ – ein neues Smart-Grid-Paradigma, das unser Stromnetz zukunftstauglich machen soll. LINK organisiert die Verwaltung von Netzen, Stromerzeugern, Stromspeicher-Einrichtungen und Verbrauchern neu, indem das Gesamtsystem in wohldefinierte Einheiten („Links“) aufgeteilt wird, die jeweils über ein eigenes Steuersystem verfügen und wohldefinierte Schnittstellen zu benachbarten Einheiten haben. Das soll eine bessere, einfachere und automatisierte Energiewirtschaft ermöglichen, für mehr Sicherheit sorgen und Datenschutzprobleme lösen.
Alte Ideen bringen keine Lösung
Dass wir neue Lösungen für die Elektrizitätsversorgung brauchen, steht außer Frage. „Seit Jahren diskutiert man neue Konzepte wie virtuelle Kraftwerke oder sogenannte Microgrids“, sagt Albana Ilo. In virtuellen Kraftwerken wird eine große Zahl von kleinen, dezentralen Stromerzeugern zusammengefasst. Dadurch können sie sich einfacher am Markt behaupten, doch technische Probleme bleiben bestehen: Man kann sie nicht so einfach steuern wie ein großes Kraftwerk, daher müssen heute ständig große Datenmengen ausgetauscht werden, um den Betrieb aufrechzuerhalten.
Microgrids sind Netz-Abschnitte, die als annähernd autonome Einheiten gedacht werden können, in denen sich Stromerzeugung und Verbrauch ungefähr die Waage halten. Das gesamte Stromnetz in überschaubare, autonome Einheiten zu unterteilen, ist allerdings undenkbar. Gerade, wenn wir große off-shore Windanlagen im Meer bauen oder große Solarkraftwerke in der Wüste, lässt sich das Stromnetz nicht bloß lokal betrachten.
Physik und Markt zusammenbringen
Der Elektrizitätsmarkt, die Verwaltung der Netze und die tatsächlichen physikalischen Gegebenheiten passen heute nicht unbedingt zueinander. Physikalisch sind die Stromnetze in ein Hochspannungsnetz, ein Mittelspannungsnetz und ein Niederspannungsnetz aufgeteilt. Dazu kommen Kraftwerke, Speicher und Konsumenten. Genau an solchen Trennlinien soll sich auch die Führung der Stromnetze orientieren, meint Albana Ilo.
Wie Glieder einer Kette, die nach Belieben zusammengehängt und kombiniert werden können, hängen in ihrem LINK-Paradigma die einzelnen Elemente zusammen. Ein Hochspannungsnetz – etwa das von Österreich – hat in Ilos Konzept seine eigene Steuerung, die auf einem physikalischen Modell beruht. Über klar definierte Schnittstellen kommuniziert es mit benachbarten Hochspannungsnetzen und mit den untergeordneten Mittelspannungsnetzen. Dieses System verketteter Elemente setzt sich bis auf die Haushalts-Ebene fort. Jeder „LINK“ bekommt Input von benachbarten Elementen und entscheidet dann selbst, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen. Dadurch ist es nicht nötig, große Datenmengen zu einer zentral koordinierenden Stelle zu schicken.
„Aus Sicht des Datenschutzes ist das ein großer Vorteil“, betont Albana Ilo. „Niemand möchte, dass etwa Daten über das Ein- und Ausschalten bestimmter Geräte im eigenen Haus vom Stromanbieter gesammelt werden können. In unserem LINK-Paradigma ist das überhaupt nicht mehr nötig.“ Jedes Kettenglied teilt bloß ein kleines Set von unbedingt nötigen elektrischen Daten mit den Nachbareinheiten – die restliche Information wird bloß lokal verwendet. Auch die Gefahr von Cyberattacken von außen wird dadurch drastisch verringert.
Stromflüsse steuern
LINK ermöglicht, den Betrieb unserer Stromnetze mit den physikalischen Gegebenheiten optimal in Einklang zu bringen. „Heute kann es sein, dass man Strom von der Nordsee nach Italien verkauft. Physikalisch fließt der Strom aber vielleicht über das polnische Netz, das dadurch überlastet werden kann – obwohl das Land an diesem Deal gar nicht beteiligt ist“, erklärt Ilo. In einem LINK-System wäre das einfach zu handhaben. Die einzelnen Hochspannungs-LINKS würden ganz automatisch alle Parameter so anpassen, dass solche Transaktionen problemlos ablaufen könnten. Die Gefahr von größeren Netzausfällen, wie sie etwa in Nordamerika immer wieder vorkommen, wäre gebannt.
Anstatt das historisch gewachsene System der Energienetze durch weitere kleine Adaptierungen und Notlösungen immer komplizierter zu machen, könnte man mit LINK einen sauberen organisatorischen Neubeginn wagen. Nach vielen Jahren Forschungsarbeit in der Industrie und im universitären Bereich ist Albana Ilo überzeugt, dass es uns nur so gelingen wird, dezentrale Energieversorgung in großem Maßstab in ein sicheres, stabiles Stromnetz einzugliedern. Durch ein sauberes, selbstregulierendes Betriebssystem kann man auch den Bedarf nach Netzausbau gering halten: „Die europäischen Stromnetze haben noch Kapazitäten“, erklärt Albana Ilo. „Wir müssen sie nur optimal nutzen.“
In einem Modellversuch auf kleinerer Skala in einer Testregion in Salzburg wurde bereits gezeigt, dass das Konzept funktioniert. Ein schrittweiser Übergang vom heutigen System zum LINK-Paradigma wäre möglich. „Das geht nicht von einem Tag auf den anderen – und wohl auch nicht von einem Jahrzehnt auf das andere“, sagt Albana Ilo. „Aber der Umstieg auf ein smartes Stromnetz ist möglich, und wenn wir den Wunsch nach der Energiewende ernst nehmen, sollten wir jetzt damit beginnen.“
Im Zusammenhang mit LINK liegt bereits ein Patent vor, Albana Ilo wurde dabei vom Forschungs- und Transfersupport der TU Wien unterstützt. Erstmals wird LINK auf einer Industriemesse dem breiten Fachpublikum präsentiert - auf der Hannover Messe (25.-29.4.), im Rahmen der Leitmesse Energy, in Halle 27, Stand L71.
Hannover Messe
Andere Innovationen am Gemeinschaftsstand der TU Wien, der im Bereich EnergyEfficiency angesiedelt ist, zeigen:
- Energieeffizienten und kostengünstigen Transport von Wasserstoff (H2) aus erneuerbaren Energien über das herkömmliche Erdgasnetz
- Neuartige und kostengünstige Bauweise für hohe Türme von Windenergieanlagen
- Das einzige Magnetlager für höchste Dynamik bei geringen Systemkosten, das wartungsfrei und sensorlos ist
- Die einzigen, höchst energieeffizienten Synchronmotoren, die mit Permanentmagneten oder ohne Einsatz von Seltenerdmetallen realisiert werden können und ohne fehleranfällige Sensorik auskommen
- Das erste kompakte Verfahren, das während des Produktionsprozesses, die Kontrolle und Adjustierung von Beschichtungsprozessen erlaubt – u.a. für Photovoltaik, Batterien, Brennstoffzellen, Bioreaktoren, Displays, gedruckte Elektronik
- Das erste Verfahren, das den Pulverspritzguss (MIM) von Aluminium-Legierungen ermöglicht – und damit Material- und Gewichtsreduktionen um bis über 50%
- Die ersten Polymere für hochpräzise und hochfeste Produkte aus 3D-Druck – in der Qualität von Polymer-Spritzguss
[1] Foto: Dirk Ingo Franke, CC 3.0
Rückfragehinweis:
Zu wissenschaftlichen Fragen:
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Technische Universität Wien
Gußhausstraße 25-25a, 1040 Wien
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Zum TU-Auftritt bei der Hannover Messe:
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Forschungsmarketing
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