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Um zu erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält

Woraus besteht das Universum? Wie ist es entstanden und wie geht es weiter? Bei der weltgrößten Teilchenphysik-Konferenz, die dieses Jahr in Wien stattfindet, werden ganz grundlegende Fragen gestellt.

CMS Detektor am CERN

CMS Detektor am CERN

CMS Detektor am CERN

Der Jubel war groß: Nach jahrzehntelanger Arbeit konnte im Jahr 2012 am CERN in Genf die Entdeckung eines neuen Teilchens verkündet werden. Man hatte das langgesuchte Higgs-Boson gefunden, 2013 wurde dafür der Physik-Nobelpreis vergeben. Es war ein weltumspannendes wissenschaftliches Großprojekt, auch eine ganze Reihe von Physiker_innen aus Wien war an der Entdeckung des Higgs beteiligt. Das Institut für Hochenergiephysik spielte eine wichtige Rolle beim CMS-Experiment, einem der beiden großen Detektoren, in denen das Higgs nachgewiesen werden konnte.

Mit dem Higgs-Boson ist das sogenannte "Standardmodell der Elementarteilchenphysik" komplett. Dieses theoretische Modell erklärt die fundamentalen Teilchen und die Kräfte, die zwischen ihnen wirken. Alle Teilchen, die dieses Standardmodell enthält, konnten nun gemessen und nachgewiesen werden. Man könnte also meinen, die Teilchenphysik sei damit an ihrem Ende angelangt – doch in Wirklichkeit beginnt jetzt erst die richtig schwierige Arbeit.

Vom 22. bis 29. Juli 2015 wird Wien das Zentrum der Teilchenphysik sein. Für die EPS-HEP, die größte Teilchenphysik-Konferenz des Jahres, organisiert von der Akademie der Wissenschaften, der TU Wien und der Uni Wien, werden über 700 Forscher_innen nach Wien kommen und die großen Fragen der fundamentalen Physik diskutieren.

Neue Energie-Rekorde
Für die Suche nach dem Higgs-Boson lässt man Protonen miteinander kollidieren, die fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wurden. Nach dem erfolgreichen Nachweis des Higgs wurde der LHC-Beschleuniger am CERN 2013 stillgelegt, um ihn warten und weiter verbessern zu können. Seit April 2015 ist er nun wieder in Betrieb, inzwischen erreicht man dort neue Energie-Rekorde. Vor der Wartungspause konnte man den Protonen eine Energie von acht Tera-Elektronenvolt mitgeben, nun erreicht man bis zu 13 Tera-Elektronenvolt.

Doch was möchte man dabei entdecken, wenn doch das Standardmodell gar keine weiteren Teilchen mehr benötigt? "Das ist schwer zu sagen", meint Prof. Anton Rebhan vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien. "Wir wissen nicht, welche anderen Teilchen es noch gibt, es gibt auch keine allgemein anerkannten Theorien, mit denen sich die Massen der noch unbekannten Teilchen vorhersagen lassen. Aber es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass es noch ganz anders geartete Materie geben muss."

Galaxien, die sich nicht ordentlich benehmen
Aus verschiedensten Beobachtungen des Universums schließt man, dass es nicht nur die uns bekannte Materie gibt, die in erster Linie aus Atomen besteht. Zusätzlich braucht es auch noch die "Dunkle Materie". Woraus sie besteht können wir nicht sagen – es ist aber ziemlich klar, dass sie aus uns unbekannten Teilchensorten zusammengesetzt sein muss. Die dunkle Materie kann durch ihre Gravitation die bekannte Materie beeinflussen, doch direkt sehen kann man sie nicht. "Ein erster, schon lange bestehender Hinweis für die Existenz dunkler Materie ist die Rotationsgeschwindigkeit der Sterne um das galaktische Zentrum, die mit dem sichtbaren Materiegehalt allein nicht erklärbar ist", sagt Anton Rebhan. Außerdem kann man berechnen, wie gewisse leichte Elemente im frühen Universum entstanden sein müssen – und diese Rechnungen stimmen mit der beobachteten Verteilung der Elemente nur dann überein, wenn man annimmt, dass die gewöhnliche  Materie bloß 20% der gesamten Materie ausmacht. Und seit kurzem kann man die dunkle Materie sogar durch den "Gravitationslinseneffekt" nachweisen: Die Masse der dunklen Materie lenkt Lichtstrahlen dahinterliegender Galaxien ab.

Supersymmetrische Partnerteilchen
Eine mögliche Erklärung für die Existenz zusätzlicher Teilchensorten liefert die Supersymmetrie. Diese Theorie geht aus mathematischen Symmetriegründen davon aus, dass es zu jedem Teilchen ein zusätzliches Partnerteilchen gibt. Diese Partnerteilchen können allerdings deutlich schwerer sein als die Teilchen, die wir kennen – das würde erklären, warum man sie in Teilchenbeschleunigern bisher noch nicht gefunden hat. Je schwerer die Teilchen sind, die man nachweisen möchte, umso mehr Energie müssen die Teilchen haben, die man zur Kollision bringt, und umso größer und mächtiger müsste man die Teilchenbeschleuniger bauen.

Unklar ist freilich, ob die auf 13 Tera-Elektronenvolt gesteigerte Energie des CERN ausreicht, um zusätzliche, neue Teilchen zu finden. "Möglich wäre es natürlich, dass wir genau in diesem Energiebereich auf etwas ganz Neues stoßen", meint Anton Rebhan. "Etwa auf das leichteste supersymmetrische Partnerteilchen, oder vielleicht auch auf ein weiteres Higgs-Boson." Doch leider gibt es keine zuverlässigen Vorhersagen über die Energie, bei der man diese neuen Teilchen finden kann. Denkbar wäre auch, dass es diese Teilchen zwar gibt, sie aber so schwer sind, dass sie vom Teilchenbeschleuniger am CERN niemals nachgewiesen werden können.

Es ist wie die Suche nach einer Nadel in einem Heuhaufen, dessen Größe man gar nicht abschätzen kann. Doch erste ermutigende Hinweise, dass man der Nadel vielleicht schon ganz nahe ist, gibt es durchaus: Erst kürzlich, Anfang Juni, wurde eine Analyse aller bisher am CERN gesammelten Daten veröffentlich, in der sich Hinweise auf weitere Teilchen bei etwa 2 Tera-Elektronenvolt finden – und zwar in verschiedenen, voneinander unabhängigen Datensätzen. Das könnte auf bisher unbekannte Teilchen hindeuten, die etwa 15mal schwerer sind als das Higgs-Boson.

Auf der Suche nach der „Theory of Everything“
Ein weiterer Grund dafür, dass das heute anerkannte Standardmodell der Teilchenphysik noch nicht das Ende der theoretischen Forschung sein kann, ist die Gravitation. Sie kommt im Standardmodell nämlich gar nicht vor. Es gibt zwar Versuche, die Gravitation mit der Teilchenphysik in einer gemeinsamen Quantentheorie zu vereinen – etwa die Stringtheorie – doch die große, alles vereinende "Theory of Everything" fehlt bis heute noch. Theoretische Ansätze gibt es heute viele – neue experimentelle Ergebnisse aus dem CERN könnten den bunten Zoo an Theorien ordnen und bereinigen.
Bemerkenswert ist, dass auf diesem Gebiet das Allerkleinste mit dem Allergrößten zusammenwächst: Messungen aus der Astronomie und Messungen aus der Teilchenphysik ergänzen einander. So werden etwa am CERN auch hochgeladene Ionen aufeinander geschossen, um für kurze Zeit ein extrem heißes Quark-Gluon-Plasma herzustellen. In diesem Materiezustand befand sich das Universum Sekundenbruchteile nach dem Urknall. Die großen Strukturen unseres Universums können wir nur verstehen, wenn wir die quantenphysikalischen Phänomene auf kleinster Größenskala untersuchen – und umgekehrt.

Bei der Teilchenphysik-Konferenz Ende Juli werden bereits die ersten Daten der neuen, hochenergetischen Messungen am CERN präsentiert. Es ist nicht zu erwarten, dass diese Ergebnisse bereits die Physik aus den Angeln heben, aber wer weiß: Vielleicht bahnen sich im Teilchenphysik-Sommer in Wien bereits die nächsten großen Ideen an, die zu künftigen Nobelpreisen und zu einem neuen Verständnis des Universums führen. Wir dürfen gespannt sein.

Zur Konferenz-Homepage: <link http: eps-hep2015.eu _blank>

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