News

Spintronik: Ist die Elektronik der Zukunft antiferromagnetisch?

Es ist ein wichtiger Schritt nach vorn in der Spintronik: Der magnetische Zustand bestimmter Materialien kann durch oberflächeninduzierte Dehnung umgeschaltet werden.

Atomspins

Unterschiedliche Materialoberflächen führen zu unterschiedlichen Anordnungen der Spins

Unsere gesamte Elektronik basiert darauf, dass elektrische Ladungen von einem Ort zum anderen transportiert werden. Elektronen bewegen sich, Strom fließt, Signale werden durch Anlegen einer elektrischen Spannung übertragen. Es gibt allerdings auch eine andere Möglichkeit, elektronische Ströme und Signale zu manipulieren: man kann den Spin nutzen – den Eigendrehimpuls des Elektrons, der eng mit magnetischen Phänomenen in Verbindung steht. Das wird als "Spintronik" bezeichnet und ist zu einem immer wichtigeren Bereich in der modernen Elektronikforschung geworden.

Einem internationalen Forscherteam, an dem die TU Wien und die Tschechische Akademie der Wissenschaften beteiligt sind, ist nun ein wichtiger Durchbruch gelungen: Man konnte die Spins in einem antiferromagnetischen Material umschalten, indem man mechanische Spannungen in einer Materialoberfläche erzeugt. Das könnte zu einer wichtigen neuen Forschungsrichtung im Elektronik-Bereich führen.

Ferromagnetismus und Antiferromagnetismus

"Es gibt verschiedene Arten von Magnetismus", erklärt Sergii Khmelevskyi vom Vienna Scientific Cluster Research Center der TU Wien. "Die bekannteste ist der Ferromagnetismus. Er tritt auf, wenn die atomaren Spins in einem Material alle parallel ausgerichtet sind. Es gibt aber auch das Gegenteil, den Antiferromagnetismus. In einem antiferromagnetischen Material haben benachbarte Atome immer entgegengesetzte Spins." Ihre Wirkungen heben sich also gegenseitig auf, und von außen lässt sich keine magnetische Kraft nachweisen.

"Im Jahr 2010 kamen Wissenschaftler der TU Wien und der Tschechischen Akademie der Wissenschaften jedoch auf die Idee, dass solche antiferromagnetischen Materialien vielversprechende Eigenschaften für spintronische Anwendungen haben", sagt Sergii Khmelevskyi. Das war der Startschuss für das neue Forschungsgebiet der "antiferromagnetischen Spintronik", das sich seither rasant entwickelt hat.

Intensive Arbeiten wurden kürzlich von der TU Wien, dem Institut für Physik der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und der Ecole Polyitechnique (Paris) durchgeführt. Die größte Herausforderung bestand darin, dass die Spins in antiferromagnetischen Materialien schwer zu manipulieren sind - aber einen Weg zu finden, sie zuverlässig und präzise zu verändern, ist entscheidend. Nur wenn magnetische Zustände gezielt von einem Zustand in einen anderen umgeschaltet werden können, wird es möglich, Computer-Speicherzellen (z. B. MRAM) herzustellen.

Magnetische Frustration: Winzige Effekte machen den Unterschied

Die Manipulation von Ferromagneten ist einfach: Es genügt, ein äußeres Magnetfeld anzulegen, um ihre inneren magnetischen Eigenschaften zu beeinflussen. Bei Antiferromagneten ist das nicht möglich – aber es gibt einen Ausweg: Man kann mit mechanischen Spannungen in der Oberfläche arbeiten.

Das erfordert jedoch sehr spezifische Kristalltypen: Je nach Geometrie und Anordnung der Atome im Kristall sind mehrere verschiedene antiferromagnetische Spinanordnungen möglich. Der Kristall nimmt dabei den Zustand mit der niedrigsten Energie an. Es kann aber auch vorkommen, dass mehrere verschiedene Spinordnungen die gleiche Energie haben. Dieses Phänomen wird als "magnetische Frustration" bezeichnet. "In diesem Fall können winzige Wechselwirkungen, die sonst keine Rolle spielen, darüber entscheiden, welchen magnetischen Zustand der Kristall annimmt", sagt Sergii Khmelevskyi.

Umschalten mit Hilfe der Oberflächenspannung.

Experimente mit Urandioxid haben gezeigt: Mit mechanischer Spannung lässt sich das Kristallgitter ein klein wenig zusammendrücken, und das reicht aus, um die magnetische Ordnung des Materials umzuschalten.

"Wir haben nun gezeigt, dass Antiferromagnete tatsächlich geschaltet werden können, indem man die Eigenschaften der magnetischen Frustration nutzt, die in vielen bekannten Materialien vorhanden ist", sagt Sergii Khmelevskyi. "Das öffnet die Tür zu vielen spannenden Weiterentwicklungen in Richtung einer funktionalen antiferromagnetischen Spintronik."

Rückfragehinweis

Dr. Sergii Khmelevskyi
VSC Research Center
Technische Universität Wien
+43 1 58801 15838
sergii.khmelevskyi@tuwien.ac.at