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Prof. Günther Brauner: “Der Umbau der Energiesysteme muss sozialverträglich geschehen“ – ein Interview mit dem MSc ETIA Faculty Member

Foto von Günther Bauer

Univ.-Prof. Dr. Günther Brauner lehrt am Institut für Energiesysteme an der TU Wien und ist Autor der Bücher "Energiesysteme: regenerativ und dezentral - Strategien für die Energiewende" (2016) und „Systemeffizienz bei regenerativer Stromerzeugung“, (2019). Im MSc Environmental Technology and International Affairs trägt er in seiner Lehrveranstaltung „Energy and the Environment“ zu technologischen, ökonomischen und ökologischen Themen vor.

Im Interview mit uns erzählt er über das Potenzial für erneuerbaren Energien in Europa und Österreich, wo die Politik ihre Prioritäten setzen soll und warum Effizienz und Suffizienz wichtige Schlüsselworte für eine nachhaltige Zukunft sind.

Die EU hat sich das Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein. Was sind die größten technischen, politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen bei der Erzeugung von klimaneutralem Strom in Europa? 

Die ökonomisch und ökologisch verträglichen regenerativen Potenziale aus Windenergie, Photovoltaik und Wasserkraft reichen derzeit nur für weniger als die Hälfte des heutigen Endenergiebedarfs. Daher ist ein Ausbau der Windenergie und der Photovoltaik notwendig. Dies braucht allerdings viel Raum und setzt eine große Akzeptanz der Bevölkerung für neue Windparks und Photovoltaik auf den Dachflächen der Gebäude, sowie für den Ausbau der Elektrizitätsnetze voraus. Weiterhin ist der Bau von zentralen und dezentralen Speichern und von Reservekraftwerken ebenfalls notwendig. 

Der Umbau der Energiesysteme führt zu teilweisen Arbeitsplatzverlusten in alten Industrien und neuen Arbeitsplätzen in Zukunftsindustrien. Dies muss sozialverträglich und in einem Konversionsprozess von mehreren Jahrzehnten geschehen, nicht zuletzt wegen des hohen Kapitalbedarfs und der erforderlichen großen Industriekapazitäten für viele regenerative Anlagen. 

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass die wirtschaftlich und ökologisch realisierbaren regenerativen Potenziale nur für etwa 40 bis 50 % des heutigen Endenergiebedarfs in Europa ausreichen. Warum ist dies aktuell der Fall und was können wir tun, um auf 100% zu kommen?

Das ist zum einen auf die Raumordnung zurückzuführen. Zurzeit müssen Windenergieanlagen Mindestabstände zu Siedlungen und Infrastrukturen wie z.B. Flughäfen oder Natur- und Landschaftsschutzgebieten einhalten. Bei der Photovoltaik wiederum sind Aufstellungen auf Grünflächen zukünftig zu vermeiden und nur die Dach- und Fassadenflächen von Gebäuden zu nutzen. Die Wirtschaftlichkeit stellt eine weitere Grenze dar: Je größer der Energiebedarf, umso größer der Investitionsbedarf.

Doch das Potenzial ist groß. Durch Technologiewechsel wie den Übergang zur Elektromobilität und zu thermisch gedämmten Gebäuden mit Wärmepumpen sind erhebliche Effizienzsteigerungen zu erreichen, die den Bedarf so stark reduzieren können, dass die Potenzialgrenzen fast erreicht werden. Die Strompreise werden sich bis zum Jahr 2050 zwar verdoppeln, durch Bedarfsminderung entsprechend der regenerativen Potenzialgrenzen ergeben sich aber Kosteneinsparungen, sodass die Energiekosten im Jahr 2050 insgesamt für die Haushalte ungefähr gleich bleiben.

Sie schreiben ebenfalls: „Technologische Effizienzsteigerung und verändertes suffizientes Nutzerverhalten sind erforderlich, um eine nachhaltige Energieversorgung zu ermöglichen“. Wie müssen wir unser (Energie-)Konsumverhalten ändern und welche politischen Maßnahmen sind dafür erforderlich?

Die Energiewende ist zu etwa 70 % durch Technologie wie Elektromobilität oder energieeffiziente Gebäude zu erreichen und zu 30 % durch Suffizienz, indem kleine Elektrofahrzeuge anstelle von Geländewagen oder kleinere Wohnflächen je Person angestrebt werden. Maßnahmen zur Steigerung von Effizienz und Suffizienz sollten politisch vorrangig vor der Ausweitung der regenerativen Erzeugung gefördert werden. Das erlaubt eine sozial verträgliche und ökologisch akzeptable Energiewende.

Elektromobilität ist derzeit in aller Munde: Sind unsere Energienetze derzeit überhaupt darauf ausgelegt, dass ein Großteil der Österreicher ihr Auto ans Stromnetz anschließt? 

Die Umstellung auf Elektromobilität benötigt nur etwa 15 % des heutigen Elektrizitätsbedarfs. Problematisch ist, dass derzeit die Schnellladung von Fahrzeugen zu sehr hohen Leistungen von bis zu 150 Kilowatt je Fahrzeug führt, die nur kurzzeitig für etwa eine Viertelstunde benötigt werden aber die Netze überlasten. 

Im suburbanen Nahverkehr fährt ein Elektroauto im Mittel nur etwa 35 km pro Tag, es benötigt daher keine Schnellladung, sondern kann abends an der normalen Steckdose in wenigen Stunden aufgeladen werden. Im Fernverkehr ist dies anders. Da die Reichweite der Elektrofahrzeuge heute meistens bei 200 bis 400 km liegt, ist hier eine Schnellladung notwendig. Zukünftig werden die Elektrotankstellen an den Autobahnen ebenfalls mit Akkumulatoren ausgestattet werden. Dann können sie mit geringen Leistungen aus dem Netz über mehrere Stunden nachgeladen werden und die hohe Ladeleistungen aus ihren Akkumulatoren in wenigen Minuten abgeben, ohne das Netz zu überlasten. Hier können alte Autobatterien (second life) eingesetzt werden.

Ein weitere Forderung aus ihrem Buch lautet: „Die Realisierung von großen langfristigen Speicherkapazitäten wäre weder wirtschaftlich noch umweltverträglich möglich. Daher sind kurzfristige zentrale und dezentrale Speicher notwendig, um den Nutzungsgrad der regenerativen Energie zu erhöhen.“ Was genau meinen Sie damit?

Kleinere Speicher mit Kapazitäten für wenige Stunden sind ausreichend, um Fluktuationen der Erzeugung auszugleichen und den Nutzungsgrad der regenerativen Energie hoch zu halten.

Bei der regenerativen Stromerzeugung aus Windenergie und Photovoltaik sind auch längere Perioden ohne ausreichende Erzeugung (Dunkelflauten) möglich. Aus Sicherheitsgründen müssten die Speicher für die längst mögliche Dunkelflaute ausgelegt werden, wenn alles voll regenerativ sein soll. In Österreich müssten die Pumpspeicherkapazitäten um den Faktor 150 ausgebaut werden. Das ist aber weder umweltverträglich noch wirtschaftlich. Auch haben wir in Österreich nicht so viele Täler, die wir fluten können, um dieses Ziel zu erreichen. Wirtschaftlicher und ökologisch verträglicher ist daher hier der vorübergehende Einsatz von hocheffizienten und sauberen Gas-und-Dampfkraftwerken. Österreich hat im Jahr 2019 das letzte Kohlekraftwerk stillgelegt und seine thermischen Kraftwerke seit 2004 bereits auf hocheffiziente Gaskraftwerke mit Fernwärmeauskopplung umgestellt.

Was ist die Besonderheit des MSc ETIA im Vergleich zu anderen postgradualen Programmen? 

Zukünftig ist ein technologisches Systemverständnis erforderlich, das einerseits minimalen Ressourceneinsatz beim Ausbau einer effizienten Erzeugung ermöglicht und andererseits durch Recycling die Stoffkreisläufe umweltfreundlich und effizient macht. Der MSc ETIA soll hierbei Akzeptanz durch breites Systemverständnis ermöglichen. 

Neben einer technologischen Grundausbildung durch die TU Wien sind auch diplomatische Fähigkeiten durch die Diplomatische Akademie zu vermitteln. Die Studierenden des MSc ETIA sollen damit in die Lage versetzt werden, einerseits regenerative Erzeugungstechnologien in ihren wirtschaftlichen und technischen Auswirkungen beurteilen zu können und  andererseits in einem fairen Mediationsverfahren die Akzeptanz für den notwendigen Wandel zur überwiegend regenerativen Energieversorgung zu vermitteln. Im Rahmen des MSc ETIA werden von mir Inhalte über regenerative Energieversorgung einschließlich der technologischen, ökonomischen und ökologischen Aspekte vermittelt.