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Probleme aufblasen und lösen

Der Mathematiker Prof. Peter Szmolyan im Portrait

Prof. Peter Szmolyan

Prof. Peter Szmolyan

Prof. Peter Szmolyan

„Nur weil sich etwas lange Zeit gemächlich entwickelt, muss es nicht immer so weitergehen“, sagt Peter Szmolyan. Manchmal macht die Natur Sprünge. Was heute fast wie ein stabiles Gleichgewicht aussieht, kann sich schon morgen dramatisch ändern und einem ganz anderen Gleichgewichtszustand entgegenstreben. Die Differentialgleichungen, die Prof. Peter Szmolyan vom Institut für Analysis und Scientific Computing der TU Wien studiert, können solche merkwürdigen Verhaltensweisen beschreiben.

Besonders interessiert sich Peter Szmolyan für sogenannte Mehrskalenprobleme: Es gibt Systeme, in denen ganz unterschiedliche Zeitskalen eine Rolle spielen – eine schnelle Dynamik und eine langsame. In der Natur findet man das oft, zum Beispiel in der Reizleitung von Nerven. Sie wird durch elektrische Effekte bestimmt, die recht schnell ablaufen, und durch chemische Prozesse, die deutlich langsamer sind. Auch chemische Reaktionen können sich aus schnellen und langsamen Teilprozessen zusammensetzen. „Sowohl die schnelle als auch die langsame Dynamik kann man oft für sich genommen mathematisch gut verstehen“, sagt Peter Szmolyan. „Aber wenn sich beides gegenseitig beeinflusst, dann treten plötzlich spannende neue Phänomene auf, und genau damit beschäftigen wir uns.“

Karrierebifurkation: Österreich und USA
Peter Szmolyan studierte Mathematik an der TU Wien und promovierte im Jahr 1987. Ganz kurzfristig entschloss er sich dann, ein Angebot der Universität Maryland in den USA anzunehmen. „Damals war schon ein sehr deutlicher Kulturunterschied zwischen den USA und Österreich zu spüren“, sagt er. „Seither hat Österreich aufgeholt und ist viel internationaler geworden. Unsere Studierenden werden mittlerweile viel besser darauf vorbereitet, sich in der internationalen Wissenschaft zu behaupten.“

Mit einem Erwin Schrödinger Stipendium verlängerte er seinen USA-Aufenthalt und ging für zwei Jahre an die Universität von Minnesota. Danach kehrte er nach Österreich zurück und trat wieder eine Stelle an der TU Wien an. 1996 wurde er mit dem Start-Preis des FWF ausgezeichnet, 1997 verbrachte er noch einmal ein Forschungssemester in Minnesota. 1998 wurde er Außerordentlicher Professor an der TU Wien, seit Frühling 2016 ist er Universitätsprofessor.

Tipping Points
Ähnlich spontan wie Peter Szmolyan zwischen Österreich und den USA hin und her wechselte, kann auch ein kompliziertes dynamisches System zwischen zwei qualitativ sehr unterschiedlichen Verhaltensweisen wechseln. „Aus der Theorie der Differentialgleichungen weiß man, dass in einem scheinbar kontinuierlich und regulär ablaufenden Vorgang plötzlich ein sehr schneller Übergang zu einem ganz anderen Systemverhalten auftreten kann. Ein „Attraktor“ des Systems verliert an einem sogenannten Tipping Point seine Stabilität an einen anderen Attraktor oder einen komplizierteren zeitabhängigen Zustand“, erklärt Szmolyan.

Solche Tipping Points spielen zum Beispiel auch in der Klimaforschung eine Rolle: Wenn das Weltklima oder auch nur der Golfstrom  von einem stabilen Zustand spontan in einen anderen wechseln sollte, könnte das für uns katastrophale Konsequenzen haben. Auch aus der Wirtschaft kennt man „Tipping Points“ – so entwickelte sich der Handel mit analogen Fotokameras lange Zeit stabil und kontinuierlich, bis der Markt dann in kurzer Zeit fast vollständig in Richtung der digitalen Kameras umkippte.

Nicht böse sondern gut
In der Sprache der Mathematik nennt man solche schwierig zu analysierende Ausnahmepunkte „Singularitäten“. „Für uns Mathematiker sind diese Punkte ganz besonders spannend. In einer kleinen Umgebung eines solchen Punktes ist ein wesentlicher Teil des Systemverhaltens beobachtbar“, erklärt Szmolyan. „Diese Singularitäten sehen zunächst aus wie unüberwindliche Hindernisse, aber richtig betrachtet helfen sie uns, das System zu verstehen. Sie sind nicht böse, sie sind gut.“

Szmolyan entwickelte mit seinem Team Methoden, das Verhalten von Systemen an solchen singulären Punkten zu analysieren. Seine Herangehensweise hat viel mit Geometrie zu tun. Ein gewöhnlicher Punkt hat definitionsgemäß keine innere Struktur, innerhalb eines solchen Punktes kann man nicht von einer dynamischen Entwicklung sprechen. An Singularitäten gilt dies nicht unbedingt: Bei der sogenannten „Blow-up-Methode“ wird der singuläre Punkt mit einer geeigneten Transformation auf eine Kugel abgebildet, auf der mathematische Details behandelbar werden, die vorher unsichtbar waren. Dieses „Desingularisieren“ des Problems durch das „Aufblasen“ des Punktes führt zur Lösung.

Szmolyan sieht sich als angewandter Mathematiker, es ihm wichtig, sich mit Fragen zu beschäftigen, die mit der realen Welt etwas zu tun haben: „Man muss die relevanten Probleme betrachten, nicht die beliebigen.“  Er möchte aber nicht bloß bekannte Theorien oder Methoden auf aktuelle naturwissenschaftliche oder technische Probleme anwenden, sondern vor allem neue mathematische Herangehensweisen entwickeln: „Spannend ist immer das, was man gerade noch nicht kann.“

Windsurfen und Familie
Neben der Mathematik hat Peter Szmolyan noch eine zweite große Leidenschaft: Das Windsurfen – am Neusiedlersee oder auf allen Meeren dieser Welt. „Dabei kommt man weg vom Alltag, das ist der perfekte Ausgleich“, sagt er. Lange Zeit hat er sogar selbst seine eigenen Bretter gebaut. „Ich habe durchaus eine praktische, handwerkliche Seite“, meint Szmolyan. Heute sind die kommerziell erhältlichen Bretter aber so gut geworden, dass es sich nicht mehr lohnt, selbst Hand anzulegen. Da verbringt er lieber Zeit mit seiner Familie – zum Beispiel damit, die Begeisterung für das Windsurfen an seinen Sohn weiterzugeben. Die Tochter ist etwas weniger windsurfbegeistert – sie hat aber jedenfalls das mathematische Talent geerbt, ist sich Szmolyan sicher.

Nach seinen USA-Jahren nach Österreich zurückgekehrt zu sein hat Peter Szmolyan nie bereut: „Ich hatte einen glücklichen Karriereverlauf“, sagt er. „Recht bald bekam ich eine fixe Stelle und konnte daher an den Fragen arbeiten, die mich wirklich interessieren. Und das ist ein echter Luxus.“