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Pharmaunternehmen und TU-Chemiker synthetisierten Wirkstoff für Alzheimer-Medikament

1992 begann die erfolgreiche Kooperation zwischen dem Pharmaunternehmen Sanochemia Pharmazeutika und dem Institut für Organische Chemie der TU Wien. Es wurde ein effizientes Verfahren zur industriellen Synthese von Galanthamin einem Wirkstoff, der vor allem zur Alzheimer-Behandlung dient - entwickelt und patentiert. Vor dieser Synthese konnte Galanthamin nur in einer Jahresmenge von 20 bis 40 kg (!) aus kaukasischen Schneeglöckchen gewonnen werden.

kaukasisches Schneeglöckchen

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kaukasisches Schneeglöckchen

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Formelbild Galathamin

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Formelbild Galathamin

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Positron Emissions Tomograhphie: gesundes (links) und alzheimergeschädigtes Hirn (gelb und rot = aktive, blau = inaktive Regionen)

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Positron Emissions Tomograhphie: gesundes (links) und alzheimergeschädigtes Hirn (gelb und rot = aktive, blau = inaktive Regionen)

Positron Emissions Tomograhphie: gesundes (links) und alzheimergeschädigtes Hirn (gelb und rot = aktive, blau = inaktive Regionen)

Die Produktionsanlage in Neufeld

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Die Produktionsanlage in Neufeld

Die Produktionsanlage in Neufeld

Schematische Darstellung

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Schematische Darstellung

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Prof. Johannes Fröhlich

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Prof. Johannes Fröhlich

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Prof. Ulrich Jordis

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Prof. Ulrich Jordis

Prof. Ulrich Jordis

Der Wirkstoff, die Krankheit

Galanthamin wurde Anfang der 50er Jahre von einem bulgarischen Pharmakologen in kaukasischen Schneeglöckchen (botanische Bezeichnung Leucojum aestrivum L.) entdeckt. Ursprünglich kam diese Substanz zur Behandlung von bspw. Kinderlähmung, Nervenschmerzen oder Myastenie zum Einsatz. Erst in den 80er Jahren wurde entdeckt, dass Galanthamin sich auch hervorragend zur signifikanten Verlangsamung des Krankheitsverlaufes in der Alzheimer-Therapie eignet. Der für das Erkrankungsbild typische Mangel an Acetylcholin, einem Botenstoff (Neurotransmitter), der an der Synapse als Überträger des Nervensignals dient, kann durch Verlangsamung des natürlichen Abbaues, verursacht durch ein Enzym namens Acetylcholinesterase, vermindert werden. Galanthamin gehört daher zur Wirkstoffklasse der Acetylcholinesterase-Inhibitoren. In Österreich sind gegenwärtig rund 100.000 Menschen an Alzheimer erkrankt, einer Krankheit, die durch Zerstörung des Gehirnes zum totalen Gedächtnisverlust sowie in der Folge zum Tod führt und als tödliche "Seuche des 21. Jahrhunderts" bezeichnet wird. Weltweit leiden an dieser fortschreitenden Demenz je nach Schätzungen zwischen elf und 22 Millionen Patienten. Die WHO schätzt auf 30 Millionen Alzheimer Patienten bis zum Jahr 2010 weltweit. Der Anteil der Erkrankten liegt bei den 65- bis 69jährigen bei 1.4 Prozent, bei den 85- bis 89jährigen bereits bei 21.6 Prozent.

Das Unternehmen, die Wissenschafter

Die Sanochemia Pharmazeutika AG ­ das Unternehmen, vormals Waldheim-Pharmazeutika, ging ursprünglich aus einer Apotheke hervor - wurde in dieser Form 1992 gegründet. Die Problemstellung war klar: Das natürliche Vorkommen an Galanthamin war knapp, der Wirkstoff daher teuer, folglich für einen breiten Einsatz als Medikament nicht verfügbar. Allein eine chemische Synthese mit hohem Wirkungsgrad konnte zur Befriedigung des weltweiten Bedarfs führen. Sowohl die Forschungskapazität als auch -infrastruktur des jungen Unternehmens in der Startphase reichte für die alleinige Lösung dieser Problemstellung allerdings nicht aus. So lag es nahe, dass sich Dr. Bernhard Küenburg an seinen Dissertationsvater, Prof. Dr. Ulrich Jordis von der TU Wien, wandte. Ein Team unter der Führung von Dr. Küenburg und Dr. Laszlo Czollner bei der Fa. Sanochemia in Kooperation mit den Forschungsgruppen von Prof. Dr. Ulrich Jordis und Prof. Dr. Johannes Fröhlich (beide vom Institut für Organische Chemie der TU Wien) machte sich ans Werk. Frühe erste Erfolge bewiesen, dass die eingeschlagene Strategie mit einer äußerst effizienten chiralen Umwandlung als Schlüsselschritt zur Herstellung des richtigen, mit dem Naturstoff identen Enantiomers zielführend war. Konkurrenz-Forschergruppen in Großbritannien und der Schweiz verfolgten zeitgleich alternative und auch ähnliche Strategien. Schließlich gelang dem österreichischen Team der Durchbruch. Der Wettlauf mit Forschungsabteilungen anderer großer Pharmakonzerne - auf diesem wegen der hohen sozialen, medizinischen und wirtschaftlichen Relevanz heiß umkämpften Gebiet - konnte gewonnen werden. 1995 wurde das ersten Patent eingereicht und 1996 erteilt (weltweite Exklusivrechte für Sanochemia Pharmazeutika bestehen bis 2014). 1997 wurde das erste Kilogramm Galanthamin synthetisiert. 1998 schließlich wurde eine hochmoderne, sämtlichen Standards entsprechende Produktionsanlage am Sanochemia-Standort Neufeld an der Leitha im Burgenland installiert, welche die Herstellung von mehreren Tonnen pro Jahr gestattet und so eine weltweite Versorgung des Pharmamarktes mit diesem Wirkstoff ermöglicht.

Der Erfolg, die Zukunft

Dieses zur Marktreife gebrachte Projekt ist auch ein Beispiel für das erfolgreiche Zusammenspiel zwischen praxisorientierter universitärer Forschung und industrieller Entwicklung. Ohne die zielführende Verwertung von Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung eines Universitätsinstitutes wären die Problemlösungen auf Firmenseite bis hin zur Entwicklung eines Handelproduktes nicht möglich gewesen. Als weitere "spin offs" der Forschung am Institut wurden auch "chiral building blocks" erarbeitet, die nun von Sanochemia im größeren Maßstab produziert werden und wertvolle Zwischenprodukte darstellen, sowie ein Verfahrenspatent für eine neue Reduktionsmethode für halogenierte Aromaten.

Die erfolgreiche Kooperation bedeutete auf Basis des Galanthamin-Prozesses den kommerziellen Durchbruch für Sanochemia. 1999 ging man als erster österreichischer Wert am Neuen Markt in Frankfurt an die Börse. Kooperationen mit potenten Vertriebspartnern wurden eingegangen. Mitte 2000 wurde Galanthamin europaweit zur Behandlung der Alzheimer'schen Krankheit zugelassen. Anfang November 2000 wurde Reminyl ®, welches Galanthamin als den aktiven Wirkstoff enthält, durch Janssen-Cilag als Medikament in Österreich eingeführt. Die Galanthamin-Synthese bildet auch das Zukunftspotential für das Unternehmen. Dieser Wirkstofftyp soll in weiterer Folge zur Behandlung anderer Krankheitsbilder im Bereich des zentralen Nervensystems zum Einsatz kommen. An entsprechenden Produkten wird gearbeitet, vielversprechende Lead-Verbindungen sind bereits patentiert und werden betreffend ihrer Wirkung optimiert ... natürlich in Kooperation mit der TU Wien.