News

Neues Leben für alte arabische Städte

Ein Forschungsteam der TU Wien kooperiert mit der König-Abdulaziz-Universität in Jeddah, entdeckt alte Architekturtraditionen Saudi Arabiens neu und entwickelt Ideen für nachhaltige Instandsetzungen.

alte arabische Stadt

1 von 3 Bildern oder Videos

Alt und neu: ein Mix architektonischer Stile

Fassade vom alten Haus

1 von 3 Bildern oder Videos

Das Haus Al Nawar - ein Juwel, das schon bessere Tage gesehen hat.

Vorschlag für die Fassaderenovierung

1 von 3 Bildern oder Videos

So könnte das Haus Al Nawar nach einer fertigen Renovierung aussehen.

Die gewundenen Straßen der Altstadt in Jeddah haben schon bessere Tage gesehen. Viele der einst kunstvoll mit Erkern und Holzverkleidungen geschmückten Gebäude sind verfallen, Wohnungen stehen leer, die einst hier ansässige Oberschicht ist längst in neue klimatisierte Betonhäuser außerhalb des Zentrums übersiedelt. Im Juni 2014 wurde der Altstadt von Jeddah der Status „UNESCO Weltkulturerbe“ zugesprochen – das könnte dem Viertel zu neuem Glanz verhelfen. Allerdings nur, wenn man es mit Bedacht und in Rücksicht auf historische Traditionen wiederbelebt. In einem österreichisch-arabischen Forschungsprojekt mit maßgeblicher Beteiligung der TU Wien wurde untersucht, wie mit der kulturhistorisch so wertvollen Bausubstanz in Jeddah umgegangen werden kann.

Erforschen historischer Bautraditionen
Mit Bautraditionen außereuropäischer Kulturen beschäftigt man sich an der TU Wien (Fachgebiet Baugeschichte und Bauforschung) schon seit langer Zeit. Dass ein Forscherteam um Ulrike Herbig, Caroline Jäger-Klein und Gudrun Styhler-Aydın nun intensiv mit der Stadtverwaltung des bauhistorischen Juwels Jeddah am Roten Meer zusammenarbeitet, liegt nicht zuletzt an Ingenieur Sami Nawar, der in Jeddah für die Altstadt verantwortlich ist und dessen Familie selbst eines der großen etwa drei Jahrhunderte alten Innenstadtgebäude besitzt. Das Haus „Al Nawar“ wurde von einem Team der TU Wien im Jahr 2011 genau untersucht, mit Laserstrahlen vermessen und analysiert. Darauf aufbauend wurden nun gemeinsam mit Studierenden Ideen für eine Neunutzung des Gebäudes erarbeitet, die auch als Vorbild für Renovierungen anderer Häuser in Jeddahs Altstadt dienen könnten.

„Unsere Analyse hat klar gemacht, wie klug diese alten Häuser geplant sind“, sagt Ulrike Herbig. Innenhöfe und Stiegenhäuser sind so angelegt, dass der Kamineffekt  kühle Luft durch das Haus zieht lässt. Die hohen Räume lassen die Hitze aufsteigen, Gitteröffnungen führen dann die warme Luft ab. Selbst die hölzernen Fussbodenkonstruktionen, wo man auf Teppichen direkt zu sitzen pflegt, sind durch Luftkanäle unterlüftet und sorgen so für angenehme Kühle. Außerdem dürfte der poröse Korallenstein als Wandmaterial zusätzlich die Luftfeuchtigkeit regulieren.

„Wer es sich leisten kann, baut in Jeddah heute ein neues Haus aus Beton, mit einer Klimaanlage“, erzählt Ulrike Herbig. „Mit dem klimatisierten Auto fährt man dann ins klimatisierte Büro oder ins klimatisierte Shopping Center.“ Das führt nicht nur zu einem ungeheuren Energiebedarf, sondern auch dazu, dass das alte Wissen über hitzeregulierende Architektur verlorengegangen ist.
Wenn man es richtig macht, lässt es sich trotz arabischer Hitze im Inneren der Gebäude gut aushalten. Die achtzehn Grad von klimatisierten Häusern werden freilich nicht erreicht, aber mit einem klugen Lüftungssystem kann man auch unter der brennenden Mittagssonne im Inneren des Hauses im Bereich um 25 Grad bleiben. Klimaanlagen in die alten Gebäude einzubauen wäre keine gute Idee: Wasser würde kondensieren, das hält die alte Bausubstanz nicht aus.

Wegreißen, entkernen, restaurieren?
Altstädte wie die von Jeddah könnten  gefragte Ensembles für urbanes Leben sein – ähnlich den europäischen Altstädten mit ihren extrem hohen Immobilienpreisen. Doch heute gilt das alte Zentrum von Jeddah als schlechte Gegend, in der man sich besser nicht zu lange aufhält. Dass die Altstädte revitalisiert werden sollen, steht dennoch außer Zweifel, und die Ernennung zum UNESCO-Weltkulturerbe ist ein weiteres Argument dafür, der Altstadt von Jeddah neues Leben einzuhauchen. Doch auf welche Weise das geschehen soll, ist noch nicht ganz klar.

„Manche der Bauverantwortlichen in Saudi Arabien würden am liebsten die Altstadthäuser abreißen und durch moderne Gebäude ersetzen, unter der Wahrung traditioneller Stilelemente wie der kunstvollen hölzernen Erker“, sagt Ulrike Herbig. „Dadurch würde ein architekturgeschichtlich völlig uninteressantes arabisches Disneyland entstehen. Dass das nach den Regeln der UNESCO natürlich streng verboten wäre, ist manchen Leuten noch nicht ganz klar.“

Eine zweite Möglichkeit wäre eine Entkernung der Häuser, sodass das alte Straßenbild bestehen bleibt, im Inneren aber für modernen Komfort gesorgt werden kann. Auch diese Variante ist nach den internationalen Gepflogenheiten der modernen Denkmalpflege inakzeptabel. „Wir empfehlen unseren arabischen Kollegen ganz eindeutig, sich auf die alte arabische Bautradition zurückzubesinnen, die mit ihren natürlichen Lüftungssystemen, mit gemeinschaftlich nutzbaren Innenhöfen und Dachterrassen eine wirklich gute Lebensqualität bietet“, sagt Ulrike Herbig. Natürlich muss einiges an modernem Komfort Einzug in die alten Häuser halten – etwa zeitgemäße Sanitäranlagen. Doch das, so ergaben die Analysen der TU Wien, wäre möglich, ohne die wertvolle alte Bausubstanz zu zerstören, wie es auch in Österreich bei der Instandsetzung historischer Bausubstanz üblich ist.

„Wir hoffen, dass in Saudi Arabien das Bewusstsein dafür wächst, welche kulturellen Schätze man hier eigentlich besitzt, und dass man in diesen Schätzen auch selbstverständlich ein zeitgemäßes, urbanes Leben weiterführen kann“, sagen die Architekturforscherinnen. „Wir hoffen, dass unsere Projekte in Jeddah dazu einen wichtigen Beitrag leisten können.“


Fotodownload, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Rückfragehinweis:
Dr. Ulrike Herbig
Institut für Kunstgeschichte, Bauforschung und Denkmalpflege
Technische Universität Wien
Karlsplatz 13, 1040 Wien
T: +43-1-58801-25119
ulrike.herbig@tuwien.ac.at

Aussender:
Dr. Florian Aigner
Büro für Öffentlichkeitsarbeit
Technische Universität Wien
Operngasse 11, 1040 Wien
T: +43-1-58801-41027
florian.aigner@tuwien.ac.at