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Nachhaltigkeit wird messbar

TU Wien entwickelt neue Industrie-Kennzahl: Ein Datenmodell hilft, CO₂-Ausstoß, Ressourcenverbrauch und soziale Faktoren direkt in die Produktionsplanung einzubeziehen.

Zwei Personen halten eine Tafel mit Aufschrift "OSEE"

Theresa Madreiter und Fazel Ansari

Wie nachhaltig ist unsere Industrie wirklich? Wenn man bisher über Effizienz sprach, ging es hauptsächlich darum, wie gut Maschinen ausgelastet sind, wie häufig sie ausfallen, wie schnell sie produzieren. Doch was ist mit dem CO2-Ausstoß, der direkt und indirekt verursacht wird? Was ist mit Ressourcenverbrauch, oder mit sozialer Verantwortung?

Ein Forschungsteam der TU Wien in Kooperation mit Fraunhofer Austria Research GmbH hat ein neues Bewertungssystem entwickelt, mit dem Produktionsabläufe logisch modelliert werden können, um die Nachhaltigkeit zu messen und zu optimieren. Ein „Overall Sustainable Equipment Effectiveness (OSEE)“-Index soll in der Praxis dabei helfen, große gesellschaftliche Ziele mit alltäglichen betrieblichen Entscheidungen in Einklang zu bringen. Damit wird es für die Industrie auch einfacher, europäische Nachhaltigkeits-Vorgaben zu erfüllen, die in Zukunft eine wachsende Rolle spielen werden. Die Forschungsarbeit ist Teil eines von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG geförderten Projekts, in dem Forschung und Industrie kooperieren.

Nachhaltigkeit als Unternehmensziel

„Effizienz spielt überall in der Produktionstechnik eine entscheidende Rolle“, sagt Prof. Fazel Ansari, Leiter des Forschungsbereichs Produktions- und Instandhaltungsmanagement der TU Wien. „Natürlich will man möglichst sparsam mit Rohstoffen umgehen, möglichst wenig Energie einsetzen und möglichst selten Maschinenausfälle haben. Aber bisher ergab sich das nur aus dem Gebot der ökonomischen Sparsamkeit. Ökologische und soziale Nachhaltigkeit sind aber eigenständige Ziele, es sind Werte für sich, die in der Unternehmenszielsetzung verankert werden müssen. Wir wollten daher ein System entwickeln, das neben ökonomischen Aspekten auch ökologische und soziale Aspekte abbildet und für das Unternehmensmanagement greifbar, nachvollziehbar und optimierbar macht.“

So ist es heute etwa üblich, einen „Overall Equipment Effectiveness-Index“ (OEE) zu definieren – ein Maß dafür, wie effektiv Equipment eingesetzt wird, in Relation zur theoretisch möglichen Optimalnutzung. Ansari und sein Team schlagen stattdessen einen OSEE-Index vor – für „Overall Sustainable Equipment Effectiveness“.

Dabei fließen Parameter ein wie der Energieverbrauch einer Maschine, direkte und indirekte CO2-Emissionen, Verbrauch von Rohmaterialien, Schmiermitteln oder Wasser, Abfallproduktion oder auch die Lebensdauer von Bauteilen. Gleichzeitig werden auch soziale Faktoren berücksichtigt: Wie sieht es mit den Arbeitsbedingungen bei Betrieb und Wartung aus? Wie sind die ethischen Standards entlang der Lieferkette? Wie gut funktioniert der Wissenstransfer im Betrieb? Wird durch Schulungen in ausreichendem Maß darauf geachtet, das nötige Know-how aufzubauen?

„Wir haben festgestellt, dass es in den Betrieben bereits sehr viele Daten gibt, die man nutzen kann, um solche Fragen zu beantworten“, sagt Fazel Ansari. „Leider werden sie oft nicht oder nicht auf optimale Weise genutzt“, sagt Theresa Madreiter, Doktorandin an der TU Wien und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Fraunhofer Austria.  So kann man etwa aus Sensordaten der Produktionsanlagen einiges lernen, man kann Betriebsdaten aus der zentralen Produktionssteuerung einfließen lassen, Einsatzzeiten und Anwesenheitsdaten des Personals, Wissensdokumentationen und Fortbildungsdaten, aber auch Erfahrungsberichte und Rückmeldungen des Wartungspersonals.

Die Fabrik im Computer

All diese Daten werden dann genutzt, um ein vielschichtiges KI-Modell der Produktionsprozesse nachzubilden. „Wir stellen in einem Netz dar, welche Arbeitsschritte, Maschinen und Personen von welchen anderen Arbeitsschritten, Maschinen und Personen abhängig sind. So kann man ablesen, wie einander verschiedene Aktivitäten beeinflussen, wie sich ein Ausfall an einem Punkt auf andere Abläufe auswirkt – und welche Auswirkung eine bestimmte Veränderung auf die Nachhaltigkeit des Gesamtprozesses hat“, erklärt Ansari.

Obwohl sich Fazel Ansari mit seinem Team seit Jahren mit künstlicher Intelligenz befasst, wurde das Modell nicht einfach als neuronales Netz umgesetzt, wie man es etwa von Large Language Models kennt. „Für uns ist ganz wichtig, dass die Ergebnisse des Modells Schritt für Schritt nachvollziehbar und erklärbar sind. Daher verwenden wir in diesem Fall kein LLM, sondern ein bayessches Netz, an dem man die Bedeutung jeder einzelnen Maßnahme logisch nachvollziehen kann.“

Anwendung auf die metallverarbeitende Industrie

So ergibt das System nicht nur eine Kennzahl zur Nachhaltigkeit der Prozesse, sie erlaubt eine konkrete Diagnostik der aktuellen Prozesse und eine fundierte Prognose darüber, wie sich ganz bestimmte Änderungen der Produktion im komplexen Netz der Arbeitsabläufe auswirken werden. Das Team von Fazel Ansari arbeitet derzeit mit Unternehmen aus der metallverarbeitenden Industrie zusammen – einem Bereich, in dem schon kleine Verbesserungen große Nachhaltigkeitseffekte erzielen können.

Originalpublikationen

T. Madreiter, F. Ansari, From OEE to OSEE: How to reinforce Production and Maintenance Management Indicator Systems for Sustainability?, IFAC-PapersOnLine, Volume 58, Issue 8, 2024, Pages 204-209, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

T. Madreiter, B. Trajanoski, A. Martinetti, F. Ansari, Sustainable Maintenance: What are the key technology drivers for ensuring Positive Impacts of Manufacturing Industries? IFAC-PapersOnLine, Volume 58, Issue 19, 2024, Pages 616-621, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Kontakt

Prof. Fazel Ansari 
Forschungsbereich Produktions- und Instandhaltungsmanagement
Technische Universität Wien
+43-1-58801-33049
fazel.ansari@tuwien.ac.at

Aussender:
Dr. Florian Aigner
Kommunikation
Technische Universität Wien
+43 664 60588 4127
florian.aigner@tuwien.ac.at