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Leadership Landscape: Führungsfähigkeiten, Führungsidentität und Führungseffektivität

Aktive Führung ist notwendig, um durch die kontinuierliche Weiterentwicklung der eigenen Verantwortungsbereiche in Unternehmen mit der Dynamik der globalen Weltwirtschaft und ihren Verwerfungen und Krisen mitzuhalten. Führungskräfte beeinflussen mit ihren Entscheidungen – Führungsimpulsen – über die aktuelle und zukünftige Wettbewerbsfähigkeit von Organisationen. Ihre Wirkung entfalten sie durch den Einsatz ihrer individuellen Führungsfähigkeiten basierend auf der von ihnen gelebten Führungsidentität. Leadership Development ist daher wichtiger denn je.

Von Wolfgang H. Güttel & Astrid Kleinhanns-Rollé

Wir stellen die Kernherausforderungen für Führungskräfte systematisch in Form einer integrativen Leadership Landscape dar. Daraus wird ersichtlich, auf welchen Ebenen Führungskräfte agieren können, welche Aufgaben sie zu erfüllen haben und wie sie situativ zwischen unterschiedlichen Führungsstilen wechseln können, um ihre Mitarbeiter bzw. Teams effektiv zu führen. Wir zeigen mit der Leadership Landscape zudem, welche Rollenanforderungen für Führungskräfte bestehen und welche Fähigkeiten von Führungskräften kultiviert werden können, um ihre Verantwortungsbereiche operativ und strategisch weiterzuentwickeln. Die Leadership Landscape dient dazu als Analyserahmen, der zeigt, wo sich Führungskräfte – auch in Leadership-Development-Programmen – punktgenau weiterentwickeln können, um wirkungsvoll ihre Verantwortungsbereiche zu führen.

Facetten der Führung 

Führung als sozialer Interaktionsprozess dient dazu, die Präferenzsysteme der Mitarbeiter in Richtung Unternehmensziele zu beeinflussen. Führungskräfte sind verantwortlich, dass die Unternehmensstrategie (bzw. Organisationsstrategie im Non-Profit- bzw. im öffentlichen Bereich) in die verschiedenen Bereiche getragen wird und die Leistungsbeiträge, für die sie Verantwortung tragen, auf das Zielsystem des Unternehmens ausgerichtet werden (Yukl 2012, 2019). Führungskräfte reduzieren durch ihre Entscheidungen und durch ihr Kommunikationsverhalten Komplexität, indem sie mit der externen Ambiguität (Konlechner & Ambrosini 2019), d.h. den Widersprüchen in den Informationsflüssen im Unternehmen bzw. über die Unternehmensgrenzen hinausgehend, sinnstiftend umgehen müssen. Dazu sind sie gefordert, durch Sensemaking (Weick et al. 2005) ein stimmiges Bild über ihren Verantwortungsbereich für sich selbst zu erzeugen. Oftmals widersprüchliche Informationen der Mitarbeiter über unterschiedliche Kundenwünsche, Schwachstellen oder Technologien sind mit ebenso mehrdeutigen Informationen aus den Märkten, Medien oder Netzwerken angemessen zu bündeln. Auf dieser Basis tragen Führungskräfte die Verantwortung, ihre Mitarbeiter – Human Resources – auf das übergeordnete Zielsystem auszurichten. Planung, Organisation und Kontrolle dienen dazu, um aus großen Zielen konkrete Aktivitäten abzuleiten und umzusetzen. Dazu müssen sie die Koordination der unterschiedlichen Ressourcen übernehmen, über Kommunikation ein möglichst konsistentes und sinnstiftendes Bild vermitteln, wie auch durch ihre Entscheidungen dafür Sorge tragen, dass die verschiedenen Aufgaben im Team verteilt und in Summe die Ziele erreicht werden. Im Idealfall verstehen und akzeptieren Mitarbeiter die Unternehmensziele und die Begründung für die im Team praktizierte Arbeitsverteilung, um in Summe das Gesamtziel zu erreichen. Basis dafür ist ein funktionales Teamgefüge, wo über einen gemeinsamen Bezugsrahmen Verständnis für das Zielsystem, die Aufgabenverteilung sowie für die Rollen im Team vorhanden ist. Zudem sind Vertrauen und psychologische Sicherheit (Edmondson 1999) gegeben, die als Basis gute Zusammenarbeit im operativen Bereich und Offenheit für Neuerungen und Innovationen gewährleisten.

Die Leadership Landscape als Führungsmodell (Abb. 21) bietet einen Orientierungsrahmen, um Führung im Gesamtzusammenhang zu verstehen, das aktuelle Führungsverhalten zu analysieren und daraus für die Zukunft Weiterentwicklungsimpulse abzuleiten. Da das Umfeld ständig einer dynamischen Entwicklung unterworfen ist, werden Führungskräfte benötigt, die den Performance Core (Güttel 2021), den verhaltenssteuernden Leistungskern von Organisationen, leistungsfähig halten. Führungsfähigkeiten bilden dazu die Voraussetzung, um die Aufgaben und Rollenanforderungen auf den unterschiedlichen Führungsebenen zu erfüllen. Es hängt maßgeblich von der Führungsidentität ab, welche Prioritäten dadurch auf welchen Führungsebenen gesetzt werden, d.h. ob die Führungskraft verstärkt Fachaufgaben, Managementaktivitäten oder visionäre Weiterentwicklungsprojekte im Fokus hat. Das operative Tagesgeschäft erfordert ein anderes Führungsverhalten als ein innovatives Neuerungsprojekt. Deshalb müssen Führungskräfte situativ ihren Führungsstil an die Aufgabenstellungen (Führungsaufgaben) anpassen, um den Mitarbeitern in unterschiedlicher Form Orientierung zu geben und auf deren Leistungsverhalten Einfluss zu nehmen. Die aus Führungsfähigkeiten und Führungsidentität resultierende Führungseffektivität entscheidet, inwieweit eine Führungskraft in den Leadership- Kraftfeldern – Führungsrollenauslegung, Teamprozesssteuerung und Organisationsgestaltung – die evolutionäre Anpassung des Performance Core an ein dynamisches Umfeld bewältigt. Davon hängen der kurzfristige Erfolg und das langfristige Überleben gleichermaßen ab.

Führungsebenen: Operative Aufgaben und visionäre Weiterentwicklung 

Wofür sind Führungskräfte verantwortlich? Führungskräfte agieren auf drei Ebenen (Abb. 22). Auf operativer Ebene stehen Fachaufgaben des Tagesgeschäfts im Mittelpunkt. Viele Führungskräfte, besonders auf unteren bzw. mittleren Führungsebenen, sind mit fachlichen Aktivitäten betraut. Ähnlich zu Mitarbeitern ohne Führungsverantwortung fließt ein erheblicher Teil ihrer Arbeitskapazität und ihrer Aufmerksamkeit in operative Tätigkeiten. Zu den fachlichen Aktivitäten kommt die operative Ausrichtung des Verantwortungsbereichs, die aus einer intensiven Auseinandersetzung mit den fachlichen Themen resultiert. Sie sind auf dieser Ebene tief in Details eingebunden. Im Sport wäre dies mit dem Spielertrainer vergleichbar, der gleichzeitig spielt und führt. Joachim Löw agierte etwa am Ende seiner Fußballerlaufbahn und gleichzeitig am Beginn seiner Trainerkarriere beim Schweizer Unterligaclub FC Frauenfeld als Spielertrainer. Personen, die primär auf dieser Ebene in offiziellen Führungsfunktionen agieren, können als Fachkraft mit Führungsfunktion betrachtet werden.

Auf Managementebene steht themenunabhängig die methodische Arbeit entlang des Managementprozesses im Mittelpunkt. Konkrete operative Aufgaben müssen gleichermaßen wie Innovations- und Veränderungsprojekte geplant, organisiert und deren Erfüllungsgrad schließlich kontrolliert werden. Durch Koordination, Kommunikation und Entscheidungen steuern sie im Führungsalltag kontinuierlich die Ausrichtung des Verantwortungsbereichs. Besonders gut wird diese Ebene bei General-Managementorientierten Führungskräften sichtbar, die auch branchenunabhängig in CEO-Rollen agieren. Sergio Marchionne, der erfolgreiche CEO von FIAT bzw. FIAT Chrysler Automobiles, blickte etwa auf eine Karriere als CFO bei der Lawson Mardon Group (Verpackungsunternehmen), CEO bei Alusuisse (Aluminiumverarbeitung) oder Société Générale de Surveillance (Warenprüfkonzern) zurück, bevor er in die Automobilindustrie wechselte. Auf dieser Ebene ist die Bezeichnung „Manager“ für jene Personen zutreffend, die sich vordringlich Managementaufgaben widmen und für Planung und Organisation der Aufgabenverteilung sorgen und deren Umsetzung kontrollieren und kontinuierlich koordinierend, kommunikativ und entscheidend eingreifen, um die strategische Ausrichtung zu gewährleisten.

Die visionäre Ebene wird für Führungskräfte besonders bei Weiterentwicklungsaktivitäten in Richtung Innovation und Wandel bedeutsam. Die Zukunft ist immer ungewiss, die Vorstellungen dazu sind vage und der Prozess zur Realisierung wird oft als risikoreich angesehen. Mitarbeiter kreieren automatisch auf Basis ihrer Vorerfahrungen und Persönlichkeitstypen verschiedenste Vorstellungen über Weg und Ziel bei Innovationen und Veränderungen. Deshalb bedarf es der Schaffung eines glaubwürdigen Zielbildes (Big Picture), das Sicherheit in unsicheren Zeiten zu vermitteln versucht. Dies gilt für große und kleine Neuerungsinitiativen gleichermaßen, denn auch bei einer kleinen Veränderung werden Begründungen für die Notwendigkeit bzw. Dringlichkeit einer Veränderung und eine Beschreibung des Zielzustandes notwendig, um Mitarbeiter kognitiv und emotional zu überzeugen (Kotter 1995). Visionen erzeugen Spannungen zwischen der aktuellen Situation und den Zukunftsvorstellungen, die für die Organisation mit ihren Mitarbeitern als Triebkraft für die Weiterentwicklung dienen können. Steve Jobs war beispielsweise mit seinen Visionen über die Welt der Computer seit den späten 1970er Jahren und dann zu Telefonie und mobilen Computern prägend für die weltweite Entwicklung in diesen Technologiefeldern. Er war in der Lage, komplexe Technologien visionär in Worte – und später in Produkte – zu verpacken und Apple bzw. NeXT in völlig neue Dimensionen zu führen. Agieren Personen auf allen drei Ebenen, dann kann von umfassend entwickelten Führungskräften gesprochen werden. Sie kreieren langfristige (große) Visionen für die Entwicklung ihres Verantwortungsbereichs, sind aber auch in der Lage, das Tagesgeschäft gut zu managen und in Fachthemen kompetente Entscheidungen zu treffen.

Aktivitäten auf verschiedenen Führungsebenen hängen mit zwei unterschiedlichen Karrieremodellen für Führungskräfte auf globaler Ebene zusammen (Davoine & Ravasi 2013). Daraus resultieren konträre Erwartungen in den Organisationen, welche Schwerpunkte eine Führungskraft setzen soll. In den deutschsprachigen Ländern dominieren Kaminkarrieren. Eine längere Phase in Fachbereichen ohne Führungsverantwortung dient vielfach implizit zur Potenzialerkundung. Wird einer Person die Eignung für höhere Führungsebenen zugeschrieben, dann klettert die Führungskraft innerhalb des Expertisefeldes die Hierarchie nach oben (z.B. sehr gute Vertriebsmitarbeiter bewegen sich in Richtung Vertriebsvorstandsposition hoch). Im Unterschied dazu ist im angloamerikanischen Karrieremodell mit der Helikopter-Karriere deutlich mehr Bewegung zwischen den Fachbereichen bzw. Expertisefeldern verbunden. Neben einer einschlägigen Fachausbildung dienen Trainee- oder MBA-Programme dazu, bei den Potenzialträgern Managementwissen und Kenntnisse von Managementmethoden zu stärken. Sie können dann dieses Know-how in verschiedenen Unternehmensbereichen anwenden, ohne zu stark operativ tätig zu werden. Sie bewegen sich im Laufe ihrer Karriere in der Hierarchie nach oben, indem sie für verschiedene Fachbereiche Verantwortung übernehmen (z.B. vom Beginn im Einkauf über den Vertrieb in eine Geschäftsführerposition einer Länderniederlassung). Die visionäre Ebene spielt für Weiterentwicklung durch Innovation und Wandel in beiden Karrieremodellen eine ähnlich große Rolle.

Führungsaufgaben: Tagesgeschäft und Zukunftsgestaltung

Welche Aufgaben müssen Führungskräfte erfüllen? Die Führungsebenen gewinnen große Relevanz, wenn Führung auf konkrete Aufgaben heruntergebrochen wird. Im operativen Tagesgeschäft dominieren Fachaufgaben, die zur Erfüllung des Unternehmenszwecks und zur Abdeckung der Kundenbedürfnisse notwendig sind. Aus der Gesamtstrategie ergeben sich unterschiedlichste operative Aktivitäten, die entlang der Geschäftsprozesse auszuführen sind, um den Ansprüchen der Kunden zu genügen und Wettbewerbsvorteile gegenüber Konkurrenten zu sichern. Kundenanfragen müssen entgegengenommen, Waren verpackt und versendet oder die Qualität von Software-Codes getestet werden. In diesen Bereichen stehen die Fachaufgaben im Mittelpunkt und Führungskräfte sind für die effiziente Abwicklung des Tagesgeschäfts verantwortlich. Die Fülle an operativen Aktivitäten erfordert konsequentes Management. Planung, Organisation, Kontrolle sowie damit einhergehend laufende Koordination, Kommunikation und Entscheidung sichern die Ausrichtung des Verantwortungsbereichs (Gulick 1937). Management, auch von Projekten, ist gleichermaßen bedeutsam bei der Gestaltung von Veränderungs- und Innovationsprozessen. Denn Absatzzahlen müssen geplant, der Einkauf bis zum Vertrieb über die Produktion durch Strukturen (Regeln), Prozesse und Systeme (z.B. IT) organisiert und die konkreten Vertriebszahlen bzw. Key Performance Indicators kontrolliert werden, um allenfalls auf Abweichungen schnell reagieren zu können. Die Durchführung erfordert kontinuierliches Koordinieren zwischen den unterschiedlichen Ressourcen. Mitarbeiter müssen beispielsweise in notwendiger Anzahl in McDonalds-Restaurants vorhanden sein, um an den Geräten – „Kochtöpfen“ – Burger mit den angelieferten Zutaten und auf Grundlage von Prozessbeschreibungen – „Kochrezepten“ – zu erstellen und zu verkaufen. Kommunikation ist ständig notwendig, um die verschiedenen Aktivitäten sinnstiftend miteinander in Bezug zu setzen und auch im Detail aufeinander abzustimmen. Schließlich sind kontinuierlich Entscheidungen zu treffen, um die Geschäftsprozesse aufrechtzuhalten und in den jeweiligen Situationen die passenden Aktivitäten auszuführen, d.h. nach der elektronischen Bestellung einen Kochvorgang in die Wege zu leiten. Ohne kontinuierliche Koordination, Kommunikation und Entscheidung würde jede Organisation der Auflösung näher rücken (aber durch das Aufgreifen von Kommunikation, Koordination und Entscheidung wieder zum Leben erweckt werden).

Führungskräfte müssen immer die Weiterentwicklung der eigenen Verantwortungsbereiche im Blick haben. Denn in einem sich ständig ändernden Umfeld – innovative Technologien, neue Wettbewerber, geänderte Kundenbedürfnisse oder Krisen – ist die evolutionäre Anpassung an neue Gegebenheiten essenziell. Die Stabilität des Unternehmens, d.h. das Überleben, kann nur durch ständigen Wandel bzw. laufende Innovationstätigkeit gewährleistet werden. Im Gegensatz zum Tagesgeschäft sind bei Innovation und Wandel die großen Visionen und Zielbilder gefragt. Denn die Details von Zukunftsvorstellungen sind noch nicht ausreichend konkretisierbar und müssen erst im Laufe der Zeit, d.h. im Prozessverlauf, heruntergebrochen und spezifiziert werden. Führungskräfte sind gefordert, die Innovations- und Wandelprozesse in ihren Verantwortungsbereichen zu gestalten, um sie zukunftsfähig zu halten (Helfat & Martin 2014). Aus der vagen Idee eines mobilen Kleincomputers mit angehängter Telefonfunktion musste über viele Jahre ein radikal-innovatives iPhone entwickelt, gebaut und vertrieben werden. Führungskräfte bedienen sich visionärer Zielbilder und Storytelling zur Vermittlung ihrer Ideen, um Mitarbeiter in die oft unsichere Zukunft kognitiv und emotional mitnehmen zu können.

Die Führungsaufgaben reichen daher von den jeweils unternehmensspezifischen Fachaufgaben im Tagesgeschäft über klassische Managementaktivitäten aus Planung, Organisation, Kontrolle mit kontinuierlicher Koordination, Kommunikation und Entscheidung bis zu Visionen für die Zukunftsgestaltung der Verantwortungsbereiche (Abb. 23).

Führungsstil: Ausrichtung und Lernen

Wie beeinflussen Führungskräfte ihre Mitarbeiter, um Ziele durchzusetzen? Führung ist ein sozialer Interaktionsprozess mit dem Ziel, die Präferenzsysteme der Mitarbeiter in Richtung Unternehmensziele zu beeinflussen (Yukl 2019). Jeder Mitarbeiter unterscheidet sich unter anderem in seinen Zielen, Werten, in Persönlichkeit, Sozialisations- und Erfahrungshintergründen und demnach in seinen Kommunikations-, Motivationsund Arbeitspräferenzen. Führungskräfte sind daher gefordert, nach Situation und Person die passende Interaktionsform zur Beeinflussung zu erkennen und umzusetzen. Führungskräfte müssen deshalb situativ zwischen unterschiedlichen Führungsstilen wechseln (Kotter 1990, Goleman 2000). Je nach Situation, d.h. beispielswiese nach der Komplexität der Situation, in Bezug auf das Wissen des bzw. der Mitarbeiter und dem Willen zur Mitgestaltung, sind unterschiedliche Handlungsalternativen gefragt. Führungskräfte verfügen demnach über ein unterschiedliches Repertoire an Führungsstilen, die entlang eines Kontinuums von Top-down bzw. autoritär bis zu Bottom-up bzw. partizipativ-delegativ reichen. Führungsstile bewegen sich zwischen Aufgabenorientierung über autoritäre Vorgaben von Zielen und enger Kontrolle bis zu Vertrauen und Zusammenhalt (Mitarbeiterorientierung) mittels Partizipation und Integration. Für Führungskräfte nimmt die Effektivität ihrer Führungsaktivitäten zu, wenn sie in der Lage sind, situationsspezifisch zu reagieren. Jede Person neigt zu einer bestimmten Positionierung – zu einem persönlich präferierten Führungsstil – entlang des Kontinuums zwischen autoritärem und partizipativ- delegativem Führungsstil auf Basis ihres Persönlichkeitstyps und der Lernerfahrung im Laufe ihres gesamten Sozialisationsprozesses. Ein variantenreiches, großes Verhaltensrepertoire, das über den persönlich präferierten Führungsstil hinausgeht, hilft der Führungskraft, unterschiedliche Situationen angemessen zu meistern und Mitarbeiter darüber hinaus motiviert zu halten. 

Leistungs- vs. Mitarbeiterorientierung wird besonders im Zusammenhang mit Ausrichtung vs. Weiterentwicklung sichtbar (vgl. Bass 1991, Judge & Piccolo 2004 zur Differenzierung transaktionaler und transformativer Führung). Ein Exekutionskontext liegt vor, wenn eine klare Zielsetzung (Management by Objectives) und die laufende Kontrolle der Zielerreichung gewährleistet wird, wie dies beim transaktionalen Führungsstil der Fall ist. Die Führungskraft gibt klare Ziele und Regeln vor und überwacht die Form und den Grad der Zielerreichung (d.h. die Ausrichtung des Mitarbeiterverhaltens an Zielen und Regeln). Beispielsweise müssen sich Piloten klar an die Regeln halten und werden durch eine Vielzahl von sozialen und technischen Kontrollinstrumenten (z.B. Flugsicherung, Aufzeichnung der technischen Details des Flugbetriebs) überwacht. Sie bekommen im Kern ihr Gehalt für die präzise Einhaltung der Regeln (Compliance; vgl. Lepak & Snell 1999 zur Differenzierung zwischen Compliance und Commitment). 
Im Gegensatz dazu können Führungskräfte in unsicheren Umfeldern nur darauf vertrauen, dass die Mitarbeiter im Sinne der Organisation agieren. Die Grundlage dazu ist Commitment, d.h. die Bindung der Mitarbeiter an die Führungskraft bzw. an die Organisation. Lernkontexte zeichnen sich dadurch aus, dass ein hohes Ausmaß an Vertrauen gewährleistet sein muss, da eine konkrete Vorgabe von Zielen sowie die klare Definition von Prozessschritten nicht möglich ist. Kreativität kann nicht angeordnet werden; es braucht einen vertrauensvollen Kontext mit einem hohen Ausmaß an psychologischer Sicherheit, d.h. eine vertrauensvolle Atmosphäre im Team, dass sich jeder Einzelne offen äußern darf, ohne negative Reaktionen durch die Führungskraft oder die anderen Mitarbeiter zu befürchten. Ein transformationaler Führungsstil legt dazu die Grundlage. Führung erfolgt über Visionen und das Ansprechen intrinsischer Motivationspotenziale durch individuelle Unterstützung und die Förderung von Gruppenzielen. Ohne Partizipationsmöglichkeiten – der Kernakteure – wären besonders Innovationsprojekte und kulturmodifizierende Veränderungsprojekte (z.B. Team- oder Organisationsentwicklungsprojekte, die einen Wandel des Fundaments an Werten und sozialen Normen adressieren) nicht möglich.

Führungskräfte sollten daher reflektiert in Bezug auf ihren persönlich präferierten Führungsstil sein und lernen, auch in herausfordernden Situationen variantenreich entlang des Kontinuums aus transaktionalem und transformativem Führungsstil den jeweils situationsspezifisch passenden zu wählen (Abb. 24). Steht das Tagesgeschäft im Vordergrund, dann spielt die Ausrichtung an den Zielen und Prozessen des Unternehmens eine entscheidende Rolle. Der transaktionale Führungsstil dominiert. Werden hingegen Innovationen oder kulturmodifizierende Veränderungsprojekte verfolgt, dann ist ein transformationaler Führungsstil angemessen. Im eigenen Verantwortungsbereich kann es daher sinnvoll sein, wenn primär ein transaktionaler Führungsstil auf die Einhaltung von Prozessen, Regeln und die Zielerreichung abstellt. Wird hingegen versucht, über ein Debriefing Impulse für die Weiterentwicklung des Bereichs zu finden, etwa um bestimmte musterhafte Qualitätsmängel auszumerzen, oder in einem Brainstorming neue Zusatzangebote rund um ein Produkt zu finden, dann braucht es einen vertrauensvollen Lernkontext, wo sich alle involvierten Mitarbeiter einbringen können und wollen. Das situative Umschalten zwischen Exekutions- und Lernkontext durch den passenden Führungsstil wird daher zur hohen Kunst für Führungskräfte.

Führungsrollen: Menschen, Informationen und Entscheidungen

Welche Rollen müssen Führungskräfte ausfüllen, um wirkungsvoll agieren zu können? Eine Führungsrolle bündelt Verhaltenserwartungen der Mitarbeiter im Team, der Führungskollegen auf gleicher hierarchischer Ebene und der Vorgesetzten der nächsthöheren Führungsebene an den Inhaber einer Führungsposition. Führungskräfte antizipieren diese Erwartungen und bilden daraus Erwartungs-Erwartungen (Luhmann 1984), zu denen noch die eigenen Ansprüche an die Führungsrolle hinzukommen. Die Auslegung der Führungsrolle ist entscheidend, wie Führungskräfte die verschiedenen Anforderungen an sie erfüllen. Entlang der kontinuierlichen Führungsaufgaben Koordination, Kommunikation und Entscheidung, in denen sich auch die übrigen temporären Führungsaufgaben (Planung, Organisation und Kontrolle) widerspiegeln, können die Rollenkomponenten einer Führungsrolle (Mintzberg 1989) in interpersonellen Beziehungsrollen, Informationsrollen und Entscheidungsrollen differenziert werden (Abb. 25).

Das Rollenbündel der interpersonellen Beziehungen deckt die soziale Dimension von Führung ab. Denn Führungskräfte müssen über symbolisches Management durch ihre spezifische sichtbare Auslegung ihrer Führungsrolle versuchen, Einfluss auf ihre Mitarbeiter zu bekommen. Als „Galionsfigur“ machen sie Entscheidungen sichtbar und geben im Idealfall sinnstiftend Orientierung in Richtung ihrer Teams. Als „Vorgesetzte“ sind 

der Mitarbeiter gelingt nur über einen sozialen Interaktionsprozess, wo die Führungskraft ihr Zielsystem bzw. jenes des Unternehmens den Teammitgliedern näherbringen und das Engagement bei der Aufgabenerfüllung beurteilen muss. Neben der kontinuierlichen Menschenführung können Recruiting, Onboarding, Entwicklung oder Abbau temporär auf der Führungsagenda stehen. Schließlich ist die Führungskraft als „Networker“ für die Vernetzung des eigenen Bereichs mit anderen Unternehmensbereichen bzw. über die Unternehmensgrenzen hinausgehend verantwortlich und muss externe Erwartungen erfüllen. Die Netzwerkintegration sichert den Zufluss an Ressourcen oder Wissen für den eigenen Verantwortungsbereich. 

Führungskräfte kommunizieren kontinuierlich und gewährleisten dadurch den für die Aufgabenerfüllung notwendigen Fluss an Informationen. Sie nehmen eine Informationsrolle ein. Die Komplexität wird durch Führungskräfte nur dann absorbiert, wenn sie sich mit der Mehrdeutigkeit von Informationen, die aus den unterschiedlichsten internen und externen Quellen resultieren, auseinandersetzen. Neben den offiziellen Kanälen tragen Teammitglieder, informelle Netzwerke, die Gerüchteküche oder widersprüchliche Medienberichterstattungen, wie etwa während der Corona- Pandemie, zur Ambiguität der Informationslage bei. Die Führungskraft muss in der Lage sein, Informationen zu sammeln und daraus ein angemessenes Bild (Big Picture) zu kreieren („Radarschirm“), aus dem eine Prioritätensetzung für strategisches und operatives Handeln erfolgen kann. Die Führungskraft wird dann effektiv auf andere einwirken können, wenn sie für sich selbst Klarheit über die jeweilige Situation schaffen kann. Mit einem konsistenten Bild wird es leichter gelingen, als „Sender“ auf andere mit sinnstiftender Kommunikation Einfluss zu nehmen, um die Aufgabenerfüllung oder die Mitarbeit in Innovations- oder Veränderungsprojekten zu fördern. Als „Sprecher“ vertritt die Führungskraft ihren Bereich im unternehmensinternen oder -externen Kontext und gewährleistet dadurch den Informationsfluss. 

Mit der formalen Führungsrolle sind Entscheidungsrechte verbunden (Entscheidungsrollen). Führungskräfte können als „Entrepreneure“ ihre Verantwortungsbereiche über Innovations- und Veränderungsprojekte auch im kleinräumigen Bereich weiterentwickeln. Sie selektieren vielversprechende Entwicklungsideen und nutzen auch ihre formale Machtposition, um Neuerungsthemen vorantreiben. Führungskräfte treffen Entscheidungen über den „Ressourceneinsatz“, der von der Aufgabenverteilung im Team über Zeitbudgets bis zu den Finanzströmen reicht. In diesem Zusammenhang spielt die Verteilung von Aufmerksamkeit als kritische Ressource von Führungskräften eine große Rolle (March & Simon 1958). Denn nicht alle Projekte, Personen oder Prozesse können gleichzeitig verfolgt werden. Deshalb ist es bei Führungskräften essenziell, wenn sie ihre Aufmerksamkeit als individuelle Ressource sorgsam verteilen und dadurch ihre Handlungsfähigkeit als Entscheider sicherstellen. Damit vermeiden sie einerseits eine kognitive Überlastung bei sich, geben aber andererseits den Mitarbeitern Orientierung, indem sie klar signalisieren, welche Themen durch ihre Aufmerksamkeit konsequent und konsistent verfolgt werden. In ihrer Entscheidungsrolle sind Führungskräfte als „Konfliktlöser“ gefragt, denn Widersprüche beim Ressourceneinsatz, z.B. zwischen den Präferenzsystemen der Mitarbeiter oder in der Schwerpunktsetzung von Vertriebsaktivitäten, kommen in einem dynamischen Umfeld laufend vor und brauchen die Lösungskraft durch die Führungsperson. Als „Verhandlungsführer“ agieren sie in Entscheidungssituationen im Unternehmen und darüber hinausgehend – u.a. für den Ressourceneinsatz – und müssen dieser Rollenerwartung ausreichend gerecht werden.

Führungsfähigkeiten: Aufgaben, Management, Strategien und Menschen

Welche Fähigkeiten müssen Führungskräfte kultivieren, um ihre Aufgaben und Rollenanforderungen gut erfüllen zu können? Zur Erfüllung der Anforderungen an ihre Führungsrolle benötigen Führungskräfte passende fachliche, methodische, soziale und strategisch-konzeptionelle Fähigkeiten (Abb. 26; Katz 1955/74, Mumford et al. 2000, Güttel 2013, Helfat & Martin 2014, Güttel & Kratochvil 2021). Fähigkeiten bestehend aus Kognitionen und Entscheidungsheuristiken resultieren aus den individuellen Prädispositionen des Persönlichkeitstyps sowie aus der Lernerfahrung, die Individuen im Laufe ihres Sozialisationsprozesses bis zur Gegenwart durchlaufen (Roth 2016). Während die Persönlichkeit im Kern im Alter zwischen 20 und 30 Jahren ein hohes Ausmaß an Stabilität erreicht (z.B. gemessen an den Big-Five-Persönlichkeitsdeterminanten mit Offenheit für Neuerungen, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Extrovertiertheit und emotionaler Labilität (Neurotizismus); Goldberg 1993), sind Fähigkeiten ein Leben lang entwickelbar. Führungskräfteentwicklungsprogramme setzen daher an ihnen an, um die Wirksamkeit von Führungskräften zu steigern und Führungskräfte für neue Herausforderungen weiter zu qualifizieren.

Fachliche Fähigkeiten dienen Führungskräften zur Erfüllung ihrer Fachaufgaben und zur Bewältigung der fachlichen Aspekte ihrer Führungsentscheidungen, denn unabhängig von der hierarchischen Ebene braucht es ein gewisses Ausmaß an Fachexpertise, um Entscheidungen fundiert treffen zu können. Methodische Fähigkeiten umfassen neben dem Methoden- Know-how für Fachaufgaben auch jene Methoden der Planung (z.B. Strategieanalyse und entwicklung), der Organisation (z.B. Gestaltung passender Geschäftsprozesse) und der Kontrolle (z.B. Controllingsystem) sowie koordinierende (z.B. Abstimmungsroutinen), kommunikative (z.B. Informationsverteilung) und entscheidungsrelevante (z.B. Entscheidungsprozesse) Fähigkeiten. Fachliche und methodische Fähigkeiten sind bei der Bewältigung des Tagesgeschäfts und bei Managementaufgaben relevant. Sie sind die Grundlage des Erfolgs in der Gegenwart und über wissensorientierte Trainings erlern- und perfektionierbar. Soziale Fähigkeiten ermöglichen Interaktion und Menschenführung. Sie befähigen die Steuerung von Gruppenprozessen, die persönlichkeitstypenorientierte Kommunikation oder das Moderieren von Konfliktlösungsprozessen im Team. Ihre Ausübung führt zur sozialen Integration der Mitarbeiter in funktionale Teams. Verhaltensorientierte Trainings, beispielsweise mit Outdoor-Elementen, fördern Reflexionsprozesse und stärken die Entwicklung sozialer Fähigkeiten. Bei den strategisch-konzeptionellen Fähigkeiten steht die Zukunftsorientierung im Vordergrund. Darunter fällt einerseits die langfristige strategische Ausrichtung des Bereichs durch die Kreation von strategischen Initiativen für Innovations- oder Veränderungsprojekte. Aus vagen Ideen müssen konkrete Maßnahmen mit passender kommunikativer Begleitung abgeleitet und umgesetzt werden. Andererseits gilt es immer wieder kleine Themen strategisch-konzeptionell zu überlegen und zu entscheiden. Konflikte im Team sind genauso zu lösen wie das Onboarding neuer Mitarbeiter, die Definition der Agenda für das nächste Jour-fixe-Meeting oder die Planung und Verteilung von Arbeitspaketen. Daraus resultieren kleine Initiativen, um durch die Gestaltung der strategischen und operativen Rahmenbedingungen eine professionelle Zusammenarbeit im Team sicherzustellen. Strategisch-konzeptionelle Fähigkeiten können durch Reflexionsprozesse in verhaltensorientierten und theoriefundierten systemischen Trainings weiterentwickelt werden (Güttel et al. 2021). 

Inwiefern Führungskräfte ihre Fähigkeiten in verschiedenen Situationen zum Einsatz bringen, hängt mit ihrer Persönlichkeit zusammen, aus der kaum erlernbare Eigenschaften wie Mut (Risikobereitschaft), Durchhaltevermögen, Zielstrebigkeit oder Resilienz (emotionale Stabilität) entspringen (Asendorpf & Neyer 2012). Fähigkeiten sind erlernbar; die Haltung ist hingegen nur über Reflexionsprozesse entwickelbar (Sinek 2009). Ein reflektiertes Selbstbild und das Wissen um die Entwicklungsmöglichkeit von Fähigkeiten (Growth-Mindset) sind zur Entwicklung der Fähigkeiten von Führungskräften und von ihren Mitarbeitern von Bedeutung. Das Ausmaß der Aktivierung von Fähigkeiten hängt daher maßgeblich von der Prioritätensetzung in Bezug auf Aufmerksamkeit und Zeit ab, die aus der Führungsidentität resultiert. Im Laufe der Karriere von Führungskräften sollte sich der Schwerpunkt vom Einsatz operativer Fähigkeiten in Richtung strategisch-konzeptioneller Fähigkeiten verschieben. Aus dem Selbstverständnis „Fachexperte mit Führungsaufgaben“ sollte sich im Zeitverlauf des hierarchischen Aufstiegs eine Führungsidentität entwickeln, die „Führung im Zentrum“ sieht. Soziale und methodische Fähigkeiten bleiben unabhängig von der Führungsebene relevant.

Führungsidentität: Führungskraft, Manager oder Fachkraft mit Führungsfunktion

Wie ist das Selbstverständnis und die Haltung als Führungskraft, d.h. ihre Führungsidentität, konstituiert? Inwieweit Führungskräfte von ihren Fähigkeiten Gebrauch machen und Führung ins Zentrum ihrer Tätigkeiten stellen, hängt von ihrer Identität als Führungskraft ab (Alvesson & Blom 2019). Wenn sie ihre Führungsrollenanforderungen ernst nehmen, die sich aus den Aufgaben für Führungskräfte ergeben, dann benötigen Führungsaktivitäten viel Zeit und kognitive Energie. Je mehr operative Aktivitäten noch hinzukommen und je größer das Team wird, desto weniger Zeit bleibt für Führung und desto weniger stark werden die Teammitglieder ihre Führungskraft wahrnehmen („spüren“). 

Individuen können in Führungsrollen als Fachexperten in Führungsfunktionen, als Manager oder als Führungskräfte agieren (Abb. 27). Stehen primär Fachaufgaben im Fokus der Führungskraft, dann agiert sie als Fachexperte in Führungsfunktion. Die im deutschsprachigen Raum vorherrschende Kaminkarriere fördert dieses Selbstverständnis, denn oft wird der beste Fachexperte (z.B. Vertriebsmitarbeiter, Techniker) zur Führungskraft berufen. Führungskräfte müssen jedoch neben fachlichen und methodischen Fähigkeiten auch soziale und strategisch-konzeptionelle Fähigkeiten 

aktivieren und einsetzen, um die Teams zu integrieren, den Ressourceneinsatz und die Aufgabenverteilung gut zu planen, zu organisieren und zu kontrollieren sowie Weiterentwicklungsimpulse zu setzen. Inwieweit die Person dies kann und will, hängt von ihren Fähigkeiten und ihrer Auslegung der Führungsrolle ab. Verbleibt die Person rein in ihrem fachlichen Expertisefeld und ignoriert Führungsaufgaben weitgehend, dann wird weder das Tagesgeschäft erfolgreich geführt werden können noch wird ein Team, in dem die formale Führungskraft akzeptiertes Mitglied ist, über die Zeit entstehen. Da selbst im Tagesgeschäft immer wieder unvorhersehbare Ereignisse auftreten, die im operativen Bereich gelöst werden müssen, sind zumindest minimale Führungs- und Managementaktivitäten notwendig, um das operative Geschäft störungsfrei abwickeln zu können.

Wirkungsvoller werden Personen in Führungsrollen agieren, wenn sie sich primär als Manager oder Führungskraft und nicht als der beste Fachexperte (in Führungsfunktion) verstehen. Als Manager bringen sie neben ihren operativen Fähigkeiten auch Managementfähigkeiten zum Einsatz, um den Verantwortungsbereich gut zu verwalten, indem sie die Aufgabenstellungen planen, in Arbeitspakete verteilen, deren Umsetzung organisieren, kontrollieren und kontinuierlich für Kommunikation, Koordination und Entscheidungen sorgen. Das Selbstverständnis auf dieser Ebene entwickelt sich von hoher Detailtiefe, operativer Involvierung und einem auf Command-Control orientierten Micro-Management (Alvesson & Sveningsson 2003) in Richtung Empowerment der Mitarbeiter durch Delegation von Verantwortungsbereichen, damit auch die Teams gut entwickelt und geführt sind, und einer zunehmenden strategischen Herangehensweise. 

Führungskräfte mit gefestigter Führungsidentität nutzen ihre strategischkonzeptionellen und ausgeprägten sozialen Fähigkeiten, um als Visionäre ihre Mitarbeiter zu inspirieren bzw. ein klares Zielbild zu kommunizieren, für motivationale Rahmenbedingungen zu sorgen (z.B. durch ein passendes Ausmaß an Autonomie, durch ein vertrauensvolles Teamgefüge oder durch Anerkennung und Feedback; Deci et al. 1999) und ihre Verantwortungsbereiche weiterzuentwickeln. Primär sind sie in ihrem Selbstverständnis und in ihrer Prioritätensetzung Führungskräfte und sie widmen sich vordringlich den Führungsaufgaben und nicht den Fachaufgaben (Drucker 1963). Sie werden ihre Rollenanforderungen umfänglich ausüben. Durch Nutzung ihrer strategisch-konzeptionellen Fähigkeiten sind sie klarer in der Prioritätensetzung und können ihre Führungsagenda konsequenter und konsistenter verfolgen. Mit einer gefestigten Führungsidentität ist den Personen als Rollenträger bewusst, dass sie für die Weiterentwicklung ihrer Mitarbeiter und Teams verantwortlich sind und es von ihnen abhängt, inwieweit Klarheit bezüglich Zielen, Spielregeln oder Rollen herrscht und dass Vertrauen die Grundlage für eine gewinnende Zusammenarbeit ist. Sie sind sich bewusst, dass es an ihrem Zugang, d.h. an der Auslegung ihrer Führungsrolle, liegt, inwieweit es ihnen gelingt, die Unternehmensziele auch in das Zielsystem ihres Teams zu inkorporieren. Wirkungsvolle Führung hängt daher von den Fähigkeiten und von der Auslegung der Führungsrolle ab.

Leadership Landscape: Fähigkeiten, Identität, Ebenen, Stil, Aufgaben und Rollen

Die Leadership Landscape (Abb. 28) dient als integratives Modell, um Führungskräften ihren Handlungsrahmen für wirkungsvolle Führung aufzuzeigen und bei der Führungskräfteentwicklung punktgenau Maßnahmen zur Weiterentwicklung setzen zu können. Denn Führungskräfte müssen je nach langfristiger strategischer Weiterentwicklung oder kurzfristiger operativer Ausrichtung auf unterschiedlichen Ebenen Entscheidungen treffen. Dazu dient ein breites Verständnis für die Aufgaben von Führungskräften, die vom Tagesgeschäft bis zur visionären Weiterentwicklung über Innovationen und Veränderungsprojekte reichen und in jedem Fall die Nutzung von Managementmethoden verlangen. Unterschiedliche Führungsstile sind daher gefragt, um im operativen Bereich über die Vorgabe von Zielen und Formen der Ausführung einen Exekutionskontext in Richtung Performanceorientierung zu schaffen und situationsspezifisch für die Kreation von Weiterentwicklungsinitiativen auf einen Lernkontext zu wechseln, der einen Kreativraum darstellt, wo auch unkonventionelle neue Ideen einen Raum für die Auseinandersetzung im Team finden. Führungskräfte erfüllen daher unterschiedliche Rollenanforderungen, die wiederum verschiedenartige Fähigkeiten verlangen. Doch Fähigkeiten reichen nicht aus, denn es hängt letztlich von der Haltung und vom Selbstverständnis ab, d.h. von der wahrgenommenen Identität als Führungskraft, inwiefern primär das Tagesgeschäft dominiert und Personen als Fachexperten in Führungsfunktionen agieren oder ob auch die kontinuierliche Entwicklung operativer oder strategischer Rahmenbedingungen auf der eigenen Agenda steht, wie dies bei Führungskräften der Fall ist.

Conclusio

Die Entwicklung von Führungskräften ist für Unternehmen, Non-Profit- bzw. öffentliche Organisationen erfolgskritisch. Mit der Leadership Landscape legen wir ein integratives Modell vor, das zeigt, wie die unterschiedlichen Anforderungen an Führungskräfte in einem komplexen und dynamischen Umfeld zusammenwirken und wo welche Maßnahmen zur Weiterentwicklung von Führungsfähigkeiten ansetzen können. Unterschiedliche Rahmenbedingungen im Markt oder in der Organisation erfordern spezifische Antworten der Führungskraft. Ein aus perfektionierten Fähigkeiten resultierender Variantenreichtum im Führungshandeln zeichnet gute Führungskräfte genauso aus wie ein umfängliches Annehmen und Ausfüllen der Führungsrolle, die sich in der Identitätskonstruktion als Führungskraft, d.h. in der Haltung und im Selbstverständnis widerspiegelt. Entwickelte Führungsfähigkeiten und eine gefestigte Führungsidentität bestimmen ein wirkungsvolles Führungsverhalten bei der Rollen- und Aufgabenerfüllung auf den Ebenen, mit dem Führungskräfte den Performance Core von Unternehmen leistungsfähig und langfristig wettbewerbsfähig halten.

Managementimplikationen

Entlang der Dimensionen kann nun überlegt werden, inwieweit die unterschiedlichen Anforderungen an eine Führungskraft schon abgedeckt werden und wo Weiterentwicklungspotenziale erkennbar sind. Die zentrale Frage dabei ist jene nach der angestrebten Führungsidentität, denn sie entscheidet, inwieweit die Fähigkeiten auch genützt werden, um die Rollenanforderungen an Führungskräfte zu erfüllen. Im ersten Schritt kann die gegenwärtige Situation mit dem Ziel analysiert werden, um Weiterentwicklungsmöglichkeiten zu identifizieren und wie diese am Weg zur wirkungsvollen Führungskraft umgesetzt werden können.

  1. Führungsebenen: Welche Führungsebenen werden adressiert? Wie sehr ist die Führungskraft im operativen Tagesgeschäft verankert und wie viel Aufmerksamkeit bekommen visionäre Zukunftsthemen? Wie viel Zeit pro Woche werden den unterschiedlichen Ebenen gewidmet?
  2. Führungsaufgaben: Welche Führungsaufgaben werden wie gut erfüllt? Auf welche Aufgaben wird die Aufmerksamkeit gerichtet? Wie konsequent und konsistent werden die unterschiedlichen Aufgaben verfolgt?
  3. Führungsstil: Wo liegt der natürlicher Führungsstil der Führungskraft und wie situativ ist sie in der Lage, zwischen den unterschiedlichen Anforderungen aus Exekutions- und Lernkontext in ihrem Führungsverhalten zu wechseln und dennoch glaubwürdig und authentisch zu bleiben?
  4. Führungsrollen: Wie weit werden die verschiedenen Rollenanforderungen an Führungskräfte ausgefüllt?
  5. Führungsfähigkeiten: Wie viel Zeit pro Woche verwendet die Führungskraft für strategisch-konzeptionelle Führung, für Menschenführung, für fachliche und methodische Führung? Wie viel Zeit verwendet sie zudem für reine Fachaufgaben? Wie viel Zeit bleibt somit in der Menschenführung pro Mitarbeiter?
  6. Führungsidentität: Welches Führungsmodell lebt die Führungskraft vor? Welche Themen bekommen mehr Aufmerksamkeit bzw. in der Prioritätensetzung Vorrang: operative Themen, Management- oder Führungsthemen?

Wenn nun im zweiten Schritt ein Gesamtbild der Führungslandschaft – Leadership Landscape – abgeleitet wird: Wo besteht Weiterentwicklungsbedarf und welche Aspekte müssen jedenfalls in bestehender Form weiterverfolgt werden, da sie aus subjektiver Perspektive Erfolgsmuster darstellen?