News

Kunst- und Technikgeschichte im Röntgenlabor

Die ersten Vorläufer der Fotografie wurden in Wien maßgeblich weiterentwickelt. Untersuchungen im Röntgenzentrum der TU Wien ermöglichen einen neuen Blick auf die Technik- und Kunstgeschichte.

Das Bild eines Mannes im Röntgengerät

Eine Daguerreotypie wird im Röntgenlabor der TU Wien untersucht.

Sie gehören zu den ersten Fotoaufnahmen, die es gibt: Die sogenannten „Daguerreotypien“ wurden Ende der 1830er-Jahre vom Franzosen Louis Daguerre erfunden, danach wurden sie in Wien maßgeblich weiterentwickelt. Man experimentierte mit unterschiedlichen Chemikalien, man entwickelte die ersten präzisen Objektive und Kameras.

Nun werden Daguerreotypien aus dieser Frühzeit am Röntgenzentrum der TU Wien genau unter die Lupe genommen. Im Rahmen des Forschungsprojekts PHELETYPIA wird ihre atomare Zusammensetzung und Struktur analysiert. So gewinnt man neue Einblicke in diese Entwicklungsphase, die sowohl für die Kunstgeschichte als auch für die Technikgeschichte bedeutend ist. Im April wurde das Forschungsprojekt mit einer Auftaktveranstaltung offiziell vorgestellt.

Mit giftigen Dämpfen und größter Vorsicht

Wer glaubt, die ersten kommerziellen Lichtbilder aus den 1840er-Jahren müssen wohl noch verwaschen und verwackelt gewesen sein, der irrt. Gestochen scharfe, detailreiche Aufnahmen sind aus dieser Zeit erhalten. Allerdings war der Herstellungsprozess damals noch äußerst aufwändig: „Man verwendete Metallplatten, meistens versilbertes Kupfer, die auf Hochglanz poliert und dann mit einer Halogenidschicht bedampft wurden“, erklärt Valentina Ljubic Tobisch vom Röntgenzentrum der TU Wien. „Diese Platten wurden in die Kamera geschoben, das Objektiv wurde geöffnet und die beschichtete Platte wurde direkt belichtet.“

Mit giftigem Quecksilberdampf musste das seitenverkehrte Bild unmittelbar danach fixiert und unter großer Vorsicht, ohne es zu berühren, hinter Glas aufbewahrt werden. Jede dieser Daguerreotypien war ein Unikat – es gab schließlich kein Negativ, das man vervielfältigen konnte.

Einen weiteren Meilenstein setzte allerdings der Wiener Anatomieprofessor Joseph von Berres bereits im Jahr 1840. Durch das Ätzen von Daguerreotypieplatten gelang es ihm erstmalig, Fotografien durch anschließenden Druck zu reproduzieren. Diese Ätztechnik ist noch weitgehend unerforscht und ist auch eines der zentralen Themen von PHELETYPIA.

Der Röntgen-Fingerabdruck der Atome

Valentina Ljubic Tobisch ist Spezialistin für Restaurierung und Konservierung von Kunstwerken, daher weiß sie, wie man die hochempfindlichen Daguerreotypien behandeln muss, um sie nicht zu beschädigen.

„Mit Röntgenstrahlung können wir nicht nur die atomare Zusammensetzung der Exponate genau untersuchen, wir können auch genau feststellen, wie die Atome strukturell angeordnet sind“, erklärt Ljubic-Tobisch. Unterschiedliche Atomgitter können unterschiedliche Wellenlängen im Röntgenbereich aussenden – daran kann man etwa erkennen, ob mit Jod, Chlor, Brom oder bestimmten Mischungen davon gearbeitet wurde. Die Wahl der passenden Chemikalien war damals bei der Verbesserung der anfänglich geringen Lichtempfindlichkeit der Daguerreotypieplatten ein wichtiges Forschungsthema.

Gleichzeitig wurde in den 1840er-Jahren auch die Optik weiterentwickelt: Bei den ersten Daguerrotypien wurden noch sehr einfache Linsen verwendet. Rasch erkannte man, dass hier Verbesserungsbedarf besteht. Der Wiener Mathematikprofessor Josef Petzval nahm sich dieser Aufgabe an und entwickelte das erste berechnete Objektiv, das dann von der Firma Voigtländer in Wien produziert und zusammen mit der Voigtländer-Kamera verkauft wurde.

Zwischen Wissenschaft, Geschichte und Kunst

Im November 2021 wurde das Forschungsprojekt „PHELETYPIA“ zur Untersuchung der frühen Daguerreotypie-Technik an der TU Wien begonnen. Gefördert wird es vom Förderprogramm „Heritage Science Austria, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster und von der Nationalstiftung für Forschung, Technologie und Entwicklung, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster. Das Forschungsprojekt läuft bis 2025. Naturwissenschaft, Technikgeschichte und künstlerische Forschung greifen dabei interdisziplinär ineinander:  Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Kautek von der Universität Wien bringt dabei seine Expertise in Bereich der Physikalischen Chemie ein und die zeitgenössische Künstlerin Anna Artaker von der Akademie der bildenden Künste, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster wird auf Basis der erlangten Forschungsergebnisse eine Reihe neuer Kunstwerke schaffen, die zur weiteren Vermittlung von historischen Foto- und Fotoreproduktionstechniken beitragen soll.

 

Rückfragehinweis

Dr. Valentina Ljubic Tobisch
Röntgenzentrum
Technische Universität Wien
valentina.tobisch@tuwien.ac.at