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Klimadaten aus dem Weltraum

Erdbeobachtungssatelliten tasten die gesamte Oberfläche unseres Planeten mit Mikrowellen-Signalen ab und ermöglichen dadurch wichtige Erkenntnisse über den Klimawandel. An der TU Wien werden diese Daten verarbeitet.

Graphik eines Satelliten im Weltraum

© ESA

Knapp 99 Minuten braucht Sentinel-1A um die Erde zu umkreisen. Der Satellit, der im Jahr 2014 von der europäischen Weltraumorganisation ESA in den Orbit geschickt wurde, bewegt sich von Pol zu Pol um unseren Planeten. Während er in einer Höhe von gut 700 Kilometern seine Runden dreht, rotiert darunter die Erde um ihre eigene Achse. Daher überquert der Satellit bei jeder Erdumkreisung einen anderen Teil der Erdoberfläche und kann Streifen für Streifen die gesamte Erdoberfläche untersuchen.

Dafür werden Radarwellen verwendet, mit einer Wellenlänge im Mikrowellenbereich, ähnlich wie man sie bei der Luftraumüberwachung am Flughafen einsetzt. Der Satellit sendet Radarwellen zu Boden, ein Teil davon wird von der Erdoberfläche reflektiert und zurückgeworfen. Nach jedem Mikrowellen-Puls, den er zur Erde schickt, registriert der Satellit ein Radarwellen-Echo.

Dieses schwache, oft verzerrte und verrauschte Echo-Signal ist der Daten-Rohstoff, den wissenschaftliche Forschungsgruppen auf der ganzen Welt in wertvolle Information umwandeln. Aus diesen Messungen kann man Antworten auf wichtige Fragen ableiten: Was befindet sich dort am Boden – Vegetation, Wüste, Gebäude? Wie feucht ist der Boden momentan? Handelt es sich vielleicht um ein Überschwemmungsgebiet, in das man Hilfe senden sollte? Oder ist vielleicht der Boden dort ungewöhnlich trocken, sodass Dürrekatastrophen zu befürchten sind?

Solche Messergebnisse sind für die Klimaforschung äußerst wertvoll – ganz besonders dann, wenn man über Jahrzehnte hinweg Daten sammelt und dadurch langfristige Veränderungen untersuchen kann: In welchen Gegenden der Welt hat sich die Vegetation verändert? Was bedeutet der Klimawandel für den Wasserkreislauf? Wie stark ist der Meeresspiegel angestiegen?

Von den Rohdaten zur Information

Während die Radaranlage am Tower des Flughafens sehr einfach und schnell die empfangenen Daten in Flugzeug-Positionspunkte auf dem Bildschirm umwandelt, ist die Auswertung der Satellitendaten mühevoll und kompliziert: Um von den rohen Sensordaten, die Sentinel-1A registriert, zu verlässlichen Aussagen über die Beschaffenheit der Erdoberfläche zu gelangen, sind viele Arbeitsschritte nötig. Daran arbeiten die Forschungsgruppen von Prof. Wolfgang Wagner und Prof. Wouter Dorigo an der TU Wien. Seit Jahren werden dort am Department für Geodäsie und Geoinformation Satellitendaten gespeichert, verarbeitet, analysiert und mit anderen Datenbanken in Beziehung gesetzt.

Unterschiedliche Oberflächen reflektieren die Radarwellen unterschiedlich gut. An einer spiegelglatten Wasseroberfläche kann die Radarwelle einfach abprallen, ohne jemals wieder zum Satelliten zurückzukehren. Wasseroberflächen erscheinen auf den Radarbildern daher bloß als ein schwarzes Nichts. Wenn die Radarwelle hingegen auf eine kompliziert geformte Oberfläche trifft, etwa auf eine Baumkrone, dann sieht die Sache anders aus: Von den vielen Blättern werden die Radarwellen in alle möglichen Richtungen reflektiert, unter anderem auch in die Richtung, aus der sie gekommen sind – und diese Reflexion kann der Satellit dann messen.

„Das heißt aber nicht, dass jeder Punkt, der keine Wellen reflektiert, eine Wasseroberfläche sein muss“, erklärt Wagner. „Eine ebene Landepiste am Flughafen sieht in den Rohdaten beispielsweise ganz ähnlich aus. Auch glatte Sandböden in der Wüste können ein solches Bild ergeben – der Sand lässt die Strahlung eindringen und verschluckt diese quasi in größere Tiefe.“

Umgekehrt kann es aber auch passieren, dass ein Gebiet zwar überschwemmt ist, aber auf den Satellitenaufnahmen nicht aussieht wie eine glatte Wasseroberfläche – etwa wenn ein Waldgebiet überflutet wird, die Baumkronen aber noch über das Wasser hinausragen.

„Es gibt keinen einfachen Trick, der uns in jeder Situation erlaubt, die Satellitendaten korrekt zu interpretieren“, erklärt Wolfgang Wagner. „Wir müssen bei jedem einzelnen Pixel mit unterschiedlichen Algorithmen entscheiden, welche Interpretation an dieser Stelle die wahrscheinlichste ist.“ Dazu ist es wichtig, in die Vergangenheit blicken zu können: Erst indem man Zeitreihen analysiert und die aktuellen Messergebnisse mit älteren Daten in Beziehung setzt, ergibt sich ein zuverlässiges Bild.

Auf diese Weise konnte zum Beispiel ein großes Hochwasser in China im Oktober 2021 nachverfolgt werden: Vorhersagemodelle hatten vor allem hohe Pegelstände entlang des Gelben Flusses erwarten lassen, tatsächlich konnte man dann aber anhand der Satellitendaten erkennen, dass eher Flüsse weiter im Norden von Überflutungen betroffen waren. Auch Hochwasserereignisse in Österreich lassen sich mit solchen Daten besser einordnen: „Es gibt in Österreich sehr gute Karten, die mögliche Überflutungsflächen im Falle eines 30- oder 100-jährliches Hochwasser ausweisen.“, sagt Wolfgang Wagner. „Aber natürlich kann es im Falle einer realen Flut wie des Salzach-Hochwassers im Juli 2021 lokale Abweichungen von diesen Szenarien geben, die dank der Satellitendaten dokumentiert werden können.“

Das Klima und der Wasserkreislauf

Wouter Dorigo hat sich an der TU Wien darauf spezialisiert, die Feuchtigkeit der Böden und ihre Veränderung über Jahrzehnte hinweg aus Satellitendaten abzuleiten. Für die Klimaforschung ist das ein Schlüsselthema: Schon ein relativ geringer Temperaturanstieg verändert den Wasserkreislauf auf der Erde – und zwar auf komplexe Weise: „Eine höhere Temperatur bedeutet, dass mehr Energie im System vorhanden ist“, sagt Wouter Dorigo. „Wasser verdunstet schneller, die Luft kann größere Wassermengen halten, dadurch kann es auch zu stärkeren, länger andauernden Regenfällen kommen.“

Die weltweite Wasserzirkulation scheint sich zu verändern: Sowohl Regenperioden als auch Trockenperioden werden länger und intensiver. Manche feuchten Regionen werden tendenziell feuchter, während andere trockene Regionen tendenziell trockener werden. Allerdings hängen die Veränderungen von verschiedenen regionalen Parametern ab, man kann keine allgemeinen Regeln aufstellen, die für den ganzen Planeten gültig sind. Nachdem niemand die gesamte Erdoberfläche mit Bodenfeuchte-Sensoren ausstatten kann, sind Satellitenmessungen in diesem Bereich die einzige zuverlässige Methode.

Die nächsten Satelliten sind bereits geplant

Nicht immer läuft dabei alles nach Plan: Während der Satellit Sentinel-1a nach wie vor seine Aufgabe erfüllt, gab es mit Sentinel-1b, der zwei Jahre später gestartet wurde, technische Probleme. Im Jahr 2022 wurde schließlich das offizielle Missionsende von Sentinel 1b bekanntgegeben.

Damit weiterhin passende Daten zur Verfügung stehen, hat die Europäische Weltraumorganisation ESA bereits zwei weitere Satelliten geplant. Sie sollten eigentlich die ersten beiden Sentinel-Satelliten ersetzen, wenn diese das Ende ihrer Lebenszeit erreicht haben. Aufgrund der Probleme mit Sentinel-1B könnte der nächste Satellitenstart allerdings vorgezogen werden.

Der gute alte Sentinel-1A, der nach wie vor brav seine Kreise von Pol zu Pol um unseren Planeten zieht, könnte also bald wieder Verstärkung bekommen. Für die Wissenschaft wäre das eine gute Nachricht: „Auch wenn Marssonden und andere Weltraummissionen vielleicht mehr Aufmerksamkeit erregen: Die Erdbeobachtung ist ein sehr wichtiges Thema“, sagt Wolfgang Wagner. „Und angesichts des Klimawandels wird es in Zukunft immer wichtiger werden, Veränderungen auf unserem Planeten vom Weltraum aus genau im Blick zu behalten.“

 

Text: Florian Aigner