Ereignisablauf
In den ersten Augusttagen 2002 verlagerten sich mehrere Tiefdrucksysteme von den Britischen Inseln nach Mitteleuropa, wodurch feuchtlabile Luftmassen aus dem Mittelmeerraum nach Österreich gelangten. Am 6. August lag ein bis in große Höhen reichendes Tief über Österreich, das in der Folge heftige Niederschläge im Raum Salzburg, Linz, Mühlviertel und Waldviertel bewirkte. Eine Auswertung von Radarbildern zeigt, dass sich die Felder größter Niederschlagsintensitäten in den meisten Teilen Niederösterreichs rasch verlagerten. Im Raum Zwettl blieben sie jedoch über mehrere Stunden stationär, und nach einer kurzen Entspannungsphase schoben sich weitere intensive Niederschlagsfelder über diese Region. Abb. 1 zeigt die Niederschlagsverteilung am 6. August um 23 Uhr zum Zeitpunkt der größten Niederschlagsintensität im Einzugsgebiet des Kamp bei Stiefern. Um 24 Uhr lag das Zentrum der Intensität etwas westlicher bei Zwettl. Bis zum 7. August um 8 Uhr waren bereits 80 mm Niederschlag gefallen. Ein zweiter massiver Regenblock trat in den Nachmittagsstunden des 7. August auf. Bis 19 Uhr waren 158 mm gefallen, und bis zum 8. August um 8 Uhr waren es geschätzte 250 mm. Der Kamp führte vor Beginn des Ereignisses Mittelwasser. Der Kamp bei Zwettl begann am 6. August um 20 Uhr anzusteigen und lag um 2 Uhr bereits 2 m über dem Mittelwasserstand. Der Höchststand trat am 7. August etwa um Mitternacht mit einem Wasserstand von ca. 4 m über dem Mittelwasser auf. Der Kamp bei Stiefern zeigte einen etwa um 4 Stunden späteren Anstieg als bei Zwettl. Die Abflussspitze bei Zwettl bzw. Stiefern wird auf 420 m³/s bzw. 800 m³/s geschätzt. Die Hochwasserfracht betrug bei Zwettl geschätzte 70 Millionen m³ während drei Tagen. Das ist fast die Hälfte der durchschnittlichen Jahresabflussfracht von 180 Millionen m³.
Geschichtliche Einordnung des Ereignisses
Zur Einschätzung der Größenordnung des Ereignisses 2002 am Kamp wurden vorerst Messungen der extremen Niederschläge in der Region zusammengestellt. Abb. 2 zeigt die Jahreshöchstwerte der Tagesniederschläge für die Station Zwettl - Stift seit dem Beobachtungsbeginn 1896. Die meisten Werte liegen um 40 mm/Tag. 1903 trat der bisher größte beobachtete Wert mit 92 mm/Tag auf. Der maximale Tageswert des Ereignisses von 2002 wurde mit 158 mm/Tag abgeschätzt, also ein um etwa 70% größerer Wert. In Abb. 3 sind die Starkniederschläge unterschiedlicher Dauer dargestellt. Für eine Dauer von 15 Stunden liegt das Ereignis 2002 noch im Trend, bei 48 Stunden jedoch weit über den bisher beobachteten Werten. Interessant ist ein Vergleich mit dem am 12. August 1959 in Rappottenstein beobachteten Ereignis, bei dem die Überregnung kürzer und vor allem wesentlich kleinräumiger als 2002 erfolgte. Die auf diesen Niederschlag zurückzuführende Hochwasserspitze war zwar groß (140 m³/s am Kamp bei Zwettl) aber nur etwa ein Drittel des Ereignisses von 2002.
Zur weiteren Einstufung wurden für den Pegel Zwettl am Kamp die Jahreshöchstwerte des Durchflusses aufgetragen (Abb. 4). Die Werte für die Periode 1896 - 1947 wurden näherungsweise aus Wasserstandsaufzeichnungen rekonstruiert. Das größte Ereignis mit einer Abflussspitze von etwa 160 m³/s wurde im Jahr 1911 aufgezeichnet. Das Ereignis von 2002 besaß also etwa die dreifache Abflussspitze. Ein Vergleich des Niederschlages mit dem Abfluss ergibt, dass mehr als 60 % des Niederschlages während des Ereignisses 2002 im Kamp abgeflossen sind. Bei großen Hochwässern in dieser Region ist das Verhältnis meist nur 30 % oder weniger. Bei Ereignissen dieser Größenordnung bilden sich großräumig Sättigungsflächen aus, wodurch der Abflussanteil zusätzlich erhöht wird.
Wegen der Außergewöhnlichkeit des Ereignisses ist eine Einschätzung der Jährlichkeit schwierig. Abb. 5 zeigt die statistische Auswertung der maximalen Jahreshochwässer des Kamp bei Zwettl. Das 100jährliche Hochwasser liegt bei etwa 200 m³/s. Der Abflussspitze von ca. 420 m³/s des Ereignisses 2002 ist eine rechnerische Jährlichkeit von etwa 2.000 - 10.000 Jahren zuzuordnen, wenn die bisher beobachtete Reihe extrapoliert wird.
Den Ratsprotokollen der Stadt Zwettl ist zu entnehmen, dass am 4. März 1655 ein ähnlich hoher Wasserstand wie im Jahr 2002 aufgetreten ist. Dieser war jedoch auf einen Eisstoß zurückzuführen. Es ist deshalb anzunehmen, dass die damit verbundenen Durchflüsse wesentlich geringer waren.
Konsequenzen für Hochwasserschutz und Warnung in Österreich
Extreme Hochwässer gehen immer auf extreme Niederschläge verknüpft mit ungünstigen hydrologischen Vorbedingungen im Einzugsgebiet zurück. Klimaänderung, Flächenversiegelung und Flussausbau können zwar einen gewissen Einfluss haben, verändern aber die Größenordnung eines derartigen Ereignisses nicht. Auch der Einfluss von Stauseen geht mit zunehmender Größe eines Ereignisses markant zurück. Während häufiger auftretende Hochwässer in ihrem Spitzenabfluss reduziert werden (Abb. 6), reicht bei einem Extremhochwasser der zur Verfügung stehende Speicherraum nicht aus, das Hochwasser wesentlich zu reduzieren. Die Entstehung und der Ablauf derartiger Naturereignisse sind zwar kaum zu beeinflussen, Schutz und Warnung vor diesen Gefahren sind jedoch möglich.
Der wirksamste Hochwasserschutz ist die Bereitstellung einer großen Gebietsfläche, auf der das Wasser mehrere Meter ansteigen kann. Wo solche Flächen nicht vorhanden sind, wurden und werden Schutzdämme errichtet. Sie können allerdings nicht auf Extremereignisse dimensioniert werden. Kommt es bei derartigen Ereignissen zu Dammüberflutungen und Dammbrüchen, fließen große Wassermengen unkontrolliert in die angeschlossenen Flächen und können sehr großen Schaden anrichten. Schutz gegen solche Situationen können Maßnahmen wie die Errichtung von Flutmulden, in denen das Wasser kontrolliert weitergeleitet wird, die Sicherung gegen Dammbrüche, etwa durch überströmbare Dämme, und die Festlegung der von einer Überflutung betroffenen Flächen bieten.
Zur Einschätzung der Gefährdung durch Hochwässer werden derzeit generell Gefährdungsgebiete für 30 und 100 jährliche Hochwässer ausgewiesen. Es wäre sinnvoll, ähnliche Gefährdungszonen für wesentlich größere Ereignisse auszuweisen, um die Grundlage für verschiedene Vorsorgemaßnahmen wie Objektschutz und Versicherungsverträge zu schaffen.
Schließlich kann ein funktionierendes Hochwasserfrühwarnsystem das Ausmaß der Schäden vermindern. In vielen Gebieten erfolgt der Anstieg der Hochwasserwelle derart rasch, dass Maßnahmen nur dann voll wirksam werden, wenn die Aktivitäten schon vor dem ersten Anstieg der Welle anlaufen. Eine derart rasche Dynamik zeigte auch der Wasserstand des Kamp bei Zwettl in der Nacht vom 6. auf den 7. August 2002 mit Anstiegen von mehr als 1 m pro Stunde (Abb. 7). Das ist für ein Einzugsgebiet dieser Größe (620 km²) äußerst rasch. Frühwarnsysteme können in die bestehenden Katastrophenpläne integriert werden.