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Große Formeln für kleine Teilchen

Was unberechenbar erschien, lässt sich heute doch berechnen – zumindest näherungsweise mit dem Computer. ERC-Grant-Gewinner Prof. Andreas Grüneis entwickelt Methoden für die Quanten-Vielteilchenphysik.

Portrait von Professor Andreas Grüneis

Prof. Andreas Grüneis

Sie sind die Grundgesetze des Universums: Mit den Formeln der Quantenphysik kann man so ziemlich alles berechnen – zumindest theoretisch. In der Praxis stößt man allerdings rasch an Grenzen. Nur für einfachste Systeme, die aus ganz wenigen Teilchen bestehen, sind die Formeln exakt lösbar. Schon bei simplen Molekülen mit einigen Elektronen wird die Rechnung so kompliziert, dass selbst die besten Supercomputer hoffnungslos überfordert sind.

Man muss sich daher kluge Strategien ausdenken, um mit möglichst wenig Aufwand möglichst gute Näherungslösungen zu erhalten. Mit solchen Näherungsverfahren für Vielteilchenprobleme in der Quantenphysik beschäftigt sich Prof. Andreas Grüneis, der im Juli 2017 von Stuttgart ans Institut für Theoretische Physik der TU Wien wechselte. Nach Wien mitgebracht hat er nicht nur sein Team, sondern auch einen ERC Starting Grant, der zu den höchstdotierten Forschungsförderungen Europas gehört.

Quantenteilchen sind keine Schreibtischlampen

Im Alltag kann man unterschiedliche Objekte meist problemlos beschreiben, indem man sie getrennt voneinander betrachtet. Der Ort, an dem sich der Wohnzimmertisch befindet, ist völlig unabhängig von der Position der Schreibtischlampe. In der Quantenphysik ist die Sache allerdings viel komplizierter: „In sogenannten hochkorrelierten Systemen hat es keinen Sinn, die Teilchen getrennt voneinander zu beschreiben“, erklärt Andreas Grüneis. „Wenn man etwa ein Elektron an einem bestimmten Ort misst, dann beeinflusst das augenblicklich die Wahrscheinlichkeit, mit der sich die anderen Elektronen an bestimmten Orten aufhalten.“

Will man statt der Position einer Schreibtischlampe die Position von drei Schreibtischlampen vermessen, dauert das dreimal so lange und man braucht dreimal so viel Speicherplatz um das Ergebnis zu notieren. Bei Quantensystemen hingegen steigen Aufwand und Speicherbedarf mit der Teilchenzahl exponentiell an. Schon den elektronischen Zustand eines einfachen Moleküls wie Methan zu berechnen, bringt moderne Hochleistungscomputer an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Exakte Berechnungen von größeren Systemen, etwa von Festkörpern, sind völlig unmöglich. Dafür bräuchte man mehr Speicherkapazität als auf der ganzen Welt je zur Verfügung stehen wird.

Aber es gibt Auswege: „Man kann mathematische Methoden finden, die das Problem vereinfachen“, sagt Andreas Grüneis. „Dann erhält man zwar nicht mehr exakt das richtige Ergebnis, aber wenn man es richtig macht, lässt sich in vielen Fällen ein Resultat erzielen, das der Wahrheit sehr nahe kommt.“
Grüneis vergleicht solche Verfahren mit Bildern am Computer: Wenn man ein Urlaubsfoto in optimaler Qualität abspeichert, belegt es so viel Speicherplatz wie ein ganzes Bücherregal an Texten. Bildverarbeitungsprogramme können es aber mit mathematischen Tricks auch viel platzsparender abspeichern – das Ergebnis weicht dann zwar vom Original ein bisschen ab, aber mit freiem Auge ist der Unterschied kaum zu bemerken und für die meisten Anforderungen genügt die vereinfachte Version völlig.

In der Materialwissenschaft beschäftigt man sich schon lange mit der Suche nach Lösungsverfahren für Vielteilchensysteme – so bekam etwa Walter Kohn, ein US-Physiker mit Wiener Herkunft, einen Nobelpreis für die Entwicklung der Dichtefunktionaltheorie. Man bewegt sich auf diesem Gebiet direkt an der Schnittstelle von Physik, Chemie und Computerwissenschaft.

Die Fragestellungen, die man mit den neuen Näherungs-Rechenmethoden erforschen will, sind beinahe endlos: Wie laufen chemische Reaktionen ab? Welche Materialien lassen sich als Katalysatoren verwenden? Welche Eigenschaften haben Materialien unter extremen Bedingungen, wie zum Beispiel Wasserstoff auf Jupiter? Computersimulationen können diese Fragestellungen teilweise beantworten oder helfen bei der Interpretation von Experimenten.

„Gerade in den letzten Jahren erlebt die Vielteilchen-Quantenphysik einen Aufschwung, weil wir nun mit modernen Computern und Rechenmethoden endlich die Möglichkeit haben, viele wichtige Probleme anzupacken, die vor Jahrzehnten noch unlösbar schienen“, sagt Grüneis.

Wien, Cambridge, Stuttgart, Wien

Andreas Grüneis stammt ursprünglich aus Hörsching in Oberösterreich. Er studierte an der Universität Wien Physik, wo er 2011 auch promovierte. Schon damals beschäftigte er sich mit numerischer Vielteilchen-Quantenphysik. Als Postdoc ging er daraufhin nach Cambridge, wo er an der „Coupled Cluster Methode“ arbeitete, die bis heute ein wichtiger Teil seiner Forschungsarbeit ist. Mit einem Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften kehrte er dann nach Wien zurück, 2015 wurde er Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart. Im Jahr 2016 wurde er mit einem ERC Starting Grant des European Research Council ausgezeichnet. Seit Juli 2017 ist er als Professor an der TU Wien tätig.

Gerne ist Andreas Grüneis mit seiner Frau und zwei Kindern nach Wien zurückgekehrt – nicht nur aus privaten, sondern auch aus wissenschaftlichen Gründen: „Wien ist zweifellos heute eine Welthauptstadt im Bereich der numerischen Quantenphysik“, sagt Grüneis. „Es gibt hier wirklich viel hochkarätige Forschung auf diesem Gebiet, und ich freue mich auf spannende neue Ideen und Kooperationsmöglichkeiten.“