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Entangletronics: Elektronik mit einer Extraportion Quanten

An der TU Wien entwickelt man Methoden zur rigorosen Beschreibung von Quantenphänomenen in nanoelektronischen Bauteilen.

Momentaufnahme der Dichte eines geteilten Elektron-Wellenpakets nach Auftreffen auf eine elektrostatische Linse.

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Momentaufnahme der Dichte eines geteilten Elektron-Wellenpakets nach Auftreffen auf eine elektrostatische Linse.

Momentaufnahme der Dichte eines geteilten Elektron-Wellenpakets nach Auftreffen auf eine elektrostatische Linse.

Die TU-Arbeit am Cover von pss

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Die TU-Arbeit am Cover von pss

Die TU-Arbeit am Cover von "physica status solidi"

Wer sich ein Elektron wie ein kleines Kügelchen vorstellt, das mit hoher Geschwindigkeit durch ein Kabel flitzt, liegt in manchen Fällen gar nicht so falsch. Doch wenn man winzige, komplizierte nanoelektronische Bauteile verstehen will, dann reicht dieses einfache Bild bei Weitem nicht aus. In der modernen Elektronik ist es unverzichtbar, das Elektron quantenphysikalisch als Welle zu betrachten und seine subtilen Quanteneigenschaften zu berücksichtigen, doch das ist eine große Herausforderung. An der TU Wien arbeitet man an neuen Methoden, mit denen man Welleneigenschaften und die Verschränkungen („Entanglement“) von Elektronen besser beschreiben kann. So soll der Weg zu einer neuen Art der Elektronik geebnet werden – genannt „Entangletronics“.

Wenn Quanteneigenschaften kaputt gehen
„Mit elektrostatischen Feldern kann man heute Elektronen sehr gezielt steuern und kontrollieren“, sagt Josef Weinbub vom Institut für Mikroelektronik der TU Wien. „In der Nanoelektronik müssen dabei allerdings Quanteneigenschaften berücksichtigt werden.“

Eine der merkwürdigen Vorhersagen der Quantenphysik ist, dass verschiedene Quantenteilchen miteinander verschränkt sein können – das bedeutet, dass es unmöglich ist, den Zustand eines bestimmten Teilchens zu beschreiben, ohne gleichzeitig auch die anderen Teilchen zu berücksichtigen. Das System kann nur als Ganzes erklärt werden. „Das spielt bei uns eine wichtige Rolle, denn auch die Elektronenzustände eines Bauelements können mit der Umgebung verschränkt sein“, erklärt Josef Weinbub.

Mit dem Begriff „Kohärenz“ wiederum ist eng mit der Wellennatur dieser Elektronenzustände verknüpft. Ähnlich wie einander Wellen im Wasser überlagern und stellenweise gegenseitig auslöschen können, entstehen auch zwischen Quantenzuständen bestimmte Überlagerungen und Wechselwirkungen.
 
Doch diese subtilen Quantenzusammenhänge sind zerbrechlich. Wenn ein Quantensystem in Kontakt mit der Umwelt kommt, gehen diese Zusammenhänge leicht verloren, und diesen Vorgang bezeichnet man als Dekohärenz. „Es kann zum Beispiel passieren, dass eine Elektronenwelle an einzelnen kleinen Störstellen im Material gestreut wird und dieser Streuprozess zur Dekohärenz führt“, erklärt Weinbub. Das Elektron lässt sich in diesem Fall nicht mehr als ausgebreitete Welle beschreiben.

Solche Dekohärenz-Phänomene spielen auch eine zentrale Rolle, wenn man erklären möchte, warum sich unsere gewohnte Welt der großen Objekte so grundlegend anders verhält als die merkwürdige Welt der Quantenteilchen: Je größer die beteiligten Objekte, umso schneller kommt es zur Dekohärenz. Daher spielen Quantenphänomene zwar für winzige Teilchen eine wichtige Rolle, bei Objekten, wie wir sie im Alltag erleben, werden diese Effekte aber durch die Dekohärenz viel schneller zerstört, bevor wir sie beobachten könnten.

Entangletronics
Paul Ellinghaus, Josef Weinbub, Mihail Nedjalkov und Siegfried Selberherr von der TU Wien haben nun eine Methode entwickelt, die Kohärenz und Dekohärenz-Prozesse in elektronischen Bauteilen besser zu beschreiben. Diese Methode basiert auf der Wigner-Funktion und wurde die letzten 20 Jahre am Institut maßgeblich entwickelt. Im aktuell publizierten Beitrag in <link http: onlinelibrary.wiley.com doi pssr.201700102 full>Physica Status Solidi – Rapid Research Letters wurde eine Analyse von elektrostatischen Linsen zur Elektronenwellen-Manipulation anhand dieser Methode vorgestellt. „Unser Ziel ist es, neue quantenelektronische Bauteile und Systeme zu entwickeln. So könnte man etwa durch den gezielten Einbau von Störstellen Elektronenausbreitung fokussieren oder so etwas wie eine quantenphysikalische Elektronen-Weiche bauen, was beispielsweise für zukünftige Quantensensoren von Interesse ist.“

Das Team der TU Wien möchte seine Idee einer neuen Elektronik, in der Kohärenz und Dekohärenz-Phänomene eine ganz besondere Rolle spielen, nun stärker verbreiten: „Entangletronics“ soll zu einem international bedeutenden Forschungsgebiet werden. So wurde 2014 bereits ein Netzwerk namens Wigner Initiative unter der Führung der Gruppe gegründet, das die Verwendung der Wigner-Funktion vorantreibt, unter anderem eben auch für neue Ansätze in Entangletronics. Zwei Konferenzen (International Wigner Workshop)  in diesem Themenkomplex fanden bereits im Jahre 2015 und 2017 statt, die nächste wird 2019 in Chicago stattfinden.

Weiterführende Links:
<link http: onlinelibrary.wiley.com doi pssr.201700102 full>P. Ellinghaus et al., Analysis of Lense-Governed Wigner Signed Particle Quantum Dynamics, PSS RRL 11(7), 1700102 (2017); doi: 10.1002/pssr.201700102
<link http: www.iue.tuwien.ac.at wigner-wiki doku.php>Wigner Initiative
<link http: www.iue.tuwien.ac.at iw22017>International Wigner Workshop 2017

Nähere Information:
Dr. Josef Weinbub
Institut für Mikroelektronik
Technische Universität Wien
Gußhausstraße 27-29, 1040 Wien
T: +43-1-58801-36053
<link>josef.weinbub@tuwien.ac.at