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Endlich geklärt: Die Physik des Sektkorkenknallens

Wenn man eine Sektflasche entkorkt, kommt es zu komplexen Überschall-Phänomenen. An der TU Wien konnte nun erstmals genau berechnet werden, was dabei passiert.

Sektflasche, aus der ein Kork ausfährt, dahinter eine physikalische Skizze

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Was passiert, wenn man eine Sektflasche öffnet?

drei Personen an der TU Wien

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Stefan Braun, Lukas Wagner, Bernhard Scheichl (v.l.n.r.)

Computergraphik, Ergebnisse der Simulation

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Der Kork hat die Flasche verlassen, eine Stoßwelle bildet sich

Es klingt nach einem simplen, wohlbekannten Alltagsphänomen: In einer Sektflasche herrscht hoher Druck, der Korken wird vom in der Flasche komprimierten Gas nach außen getrieben und fliegt mit einem kräftigen Plopp davon. Doch die Physik dahinter ist kompliziert.

Experimente mit Hochgeschwindigkeits-Kameras gab es bereits, doch eine mathematisch-numerische Analyse fehlte bisher. Diese Lücke konnte man am Institut für Strömungsmechanik und Wärmeübertragung der TU Wien in Kooperation mit dem privaten Österreichischen Kompetenzzentrum für Tribologie (AC2T) nun schließen: Mit aufwändigen Computersimulationen gelang es, das Verhalten von Korken und Gasströmung nachzurechnen. Dabei stieß man auf erstaunliche Phänomene: Eine Überschall-Stoßwelle bildet sich aus, mehr als die eineinhalbfache Schallgeschwindigkeit kann der Gasstrom dabei erreichen. Die Ergebnisse sind auch für andere Anwendungen wichtig, bei denen es um Gasströmungen um ballistische Flugkörper bzw. Projektile oder Raketen geht.

Die Stoßwelle aus der Flasche

„Der Sektkorken selbst fliegt mit einer vergleichsweise geringen Geschwindigkeit davon, er erreicht vielleicht 20 Meter pro Sekunde“, sagt Lukas Wagner, der Erstautor der Studie, der als Doktorand an der TU Wien sowie auch am AC2T forscht. „Das Gas, das dabei aus der Flasche herausströmt, ist aber viel schneller“, sagt Wagner. „Es überholt den Korken, strömt an ihm vorbei und erreicht Geschwindigkeiten von bis zu 400 Metern pro Sekunde.“ 

Das ist schneller als die Schallgeschwindigkeit. Der Gasstrahl durchbricht also kurz nach dem Öffnen der Flasche die Schallmauer – und das geht mit einer Stoßwelle einher. Normalerweise ändern sich Größen wie Druck und Temperatur in einem Gas kontinuierlich: Zwei Punkte, die sich nahe aneinander befinden, haben auch ungefähr den gleichen Luftdruck. Wenn aber eine Stoßwelle entsteht, ist das anders. „Dann kommt es zu Sprüngen in diesen Größen, zu sogenannten Unstetigkeiten“, sagt Bernhard Scheichl (TU Wien & AC2T), der Dissertationsbetreuer von Lukas Wagner. „Dann haben Druck oder Geschwindigkeit vor der Stoßwellenfront einen ganz anderen Wert als knapp dahinter.“

Diese Stelle im Gasstrahl, an der sich der Druck abrupt verändert, wird auch als „Mach-Scheibe“ bezeichnet. „Ganz ähnliche Phänomene kennt man auch von Überschallflugzeugen oder Raketen, bei denen der Abgasstrahl mit hoher Geschwindigkeit aus den Triebwerken austritt“, erklärt Stefan Braun (TU Wien), von dem die ursprüngliche Idee für das Projekt stammt und der die Diplomarbeit von Herrn Wagner zum Thema betreute. Die Mach-Scheibe bildet sich zunächst zwischen Flasche und Kork und bewegt sich dann zurück, in Richtung Flaschenöffnung.

Kurzfristig kälter als der Nordpol

Nicht nur der Gasdruck, sondern auch die Temperatur ändert sich dabei schlagartig: „Wenn Gas expandiert, dann wird es kühler, das kennt man von Sprühdosen“, erklärt Lukas Wagner. Bei der Sektflasche ist dieser Effekt sehr stark ausgeprägt: Punktuell kann das Gas auf bis zu -130° C abkühlen. Dabei kann es sogar passieren, dass aus dem CO2, das den Sekt perlen lässt, winzige Trockeneis-Kristalle entstehen.

„Dieser Effekt hängt davon ab, welche Temperatur der Sekt ursprünglich hatte“, sagt Lukas Wagner. „Unterschiedliche Temperaturen führen zu unterschiedlich großen Trockeneis-Kristallen, die dann Licht auf unterschiedliche Weise streuen. Dadurch entsteht unterschiedlich gefärbter Rauch. Im Prinzip kann man also an dieser Farbe die Sekttemperatur ablesen.“

Korkenexpansion und Stoßwellen-Knall

„Dass es beim Ploppen einer Sektflasche tatsächlich zu Überschallphänomenen kommt, war zunächst alles andere als klar, das würde man nicht unbedingt erwarten“, sagt Bernhard Scheichl. „Aber unsere Simulationen zeigen, dass sich das auf ganz natürliche Weise aus den Gleichungen der Strömungsmechanik ergibt, und unsere Ergebnisse stimmen mit den Experimenten sehr gut überein.“

Der hörbare Knall beim Öffnen der Flasche ist eine Kombination aus unterschiedlichen Effekten: Erstens dehnt sich der Kork abrupt aus, sobald er die Flasche verlassen hat und erzeugt dadurch eine Druckwelle, und zweitens hört man die Stoßwelle, erzeugt durch den überschallschnellen Gasstrahl – ganz ähnlich dem bekannten aeroakustischen Phänomen des Überschnallknalles. Beides gemeinsam ist für den charakteristischen Klang des Sektkorken-Ploppens verantwortlich. Die Ausdehnung des Korkens wurde auf Basis der Experimente, die Herr Wagner bei AC2T durchführte, modelliert.

Die Methoden, die nun entwickelt wurden, um die Rätsel rund um die Physik des Sektkorken-Knallens zu lösen, lassen sich auch auf andere verwandte Bereiche anwenden: Vom Abfeuern einer Pistolenkugel bis zum Start einer Rakete – in vielen technisch wichtigen Situationen hat man es mit sehr festen Strömungskörpern zu tun, die in starker Wechselwirkung mit einem viel schnelleren Gasstrom stehen. 

Originalpublikation

Lukas Wagner, Stefan Braun, Bernhard Scheichl, 
Simulating the opening of a champagne bottle,
akzeptiert in: Flow (2023), 3 E40, doi:10.1017/flo.2023.34, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster.
frei zugängliche Version: https://arxiv.org/abs/2312.12271, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

 

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Die Physik des Sektkorkenknallens

Rückfragehinweis

Dipl.-Ing. Lukas Wagner
Institut für Strömungsmechanik und Wärmeübertragung
Technische Universität Wien
Lukas.Wagner@ac2t.at

Privatdoz. Dr. Bernhard Scheichl
Institut für Strömungsmechanik und Wärmeübertragung
Technische Universität Wien
+43 1 58801 32225
bernhard.scheichl@tuwien.ac.at

Prof. Stefan Braun
Institut für Strömungsmechanik und Wärmeübertragung
Technische Universität Wien
+43 1 58801 32223
stefan.braun@tuwien.ac.at

Aussender:
Dr. Florian Aigner
Technische Universität Wien
PR und Marketing
Resselgasse 3, 1040 Wien
+43 1 58801 41027
florian.aigner@tuwien.ac.at