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Elektronen mit dem richtigen Dreh

An neuen Ideen für die Mikroelektronik forscht man an der TU Wien: Anstatt der elektrischen Ladung soll der Drehimpuls in Mikrobauteilen der Zukunft die entscheidende Rolle spielen.

Prof. Siegfried Selberherr

Prof. Siegfried Selberherr

Prof. Siegfried Selberherr

So kann es nicht weitergehen: Seit vielen Jahren werden elektronische Bauteile immer kleiner, immer dichter werden sie auf den Chips zusammengepackt. Bei dieser Miniaturisierung stößt man irgendwann aber an die Grenzen des Möglichen, für weitere Verbesserungen braucht man neue Ideen. Eine davon ist die Spintronik: Sie nützt den Eigendrehimpuls von Elektronen aus. Das soll schnelle und ganz besonders energieeffiziente Elektronik ermöglichen.

Spinwellen statt elektrischem Strom
Die Erde dreht sich um die eigene Achse – und auf ähnliche Weise trägt auch ein Elektron einen Eigendrehimpuls, den Elektronenspin. Der Vergleich stimmt nur bedingt, denn das Elektron ist punktförmig und hat keine klassische „Rotation“. Nur mit Hilfe der Quantenmechanik lässt sich der Spin beschreiben. „Heute basiert die gesamte Elektronik auf dem Transport elektrischer Ladungen“, sagt Prof. Siegfried Selberherr vom Institut für Mikroelektronik der TU Wien. „Elektronen werden von einem Ort zum anderen gebracht, dadurch wird ein Signal übermittelt. Wir hingegen wollen auch den Spin des Elektrons für logische Schaltungen benutzen.“ Dabei muss sich kein einziger Ladungsträger von seinem Platz bewegen, es genügt eine Änderung der Spin-Zustände.

Schnell und energieeffizient
Wenn neue Spintronik-Bauteile entwickelt werden sollen, benötigt man zunächst Computermodelle, mit denen sich das Verhalten der Spins vorausberechnen lässt. Solche Computer-Tools gibt es bisher noch kaum. 2010 erhielt Siegfried Selberherr einen „ERC Advanced Grant“, um solche  Computerwerkzeuge zu entwickeln. Die Forschungsarbeit war sehr erfolgreich: Nicht nur wichtige wissenschaftliche Publikationen sondern auch erfolgversprechende Patente sind daraus hervorgegangen.

Bei gewöhnlicher Mikroelektronik geht die elektrische Ladung beim Ausschalten rasch verloren. „Das ist der Grund, warum das Einschalten elektronischer Geräte oft lange dauert – man muss zunächst den Ladungszustand in den einzelnen elektronischen Bauteilen wieder herstellen“, erklärt Selberherr. Bei Spintronik wäre das anders: Die Spin-Zustände sind in manchen Materialien für Jahre stabil, ohne dass dafür Energie aufgewendet werden muss. Ein Gerät mit  Spintronik-Chip könnte also nahezu instantan loslegen. Wenn Elektronen transportiert werden müssen, kommt es zu Zusammenstößen und Streuungen, dadurch geht letztlich Energie in Form von Wärme verloren. Spintronik-Bauteile hingegen könnten um Größenordnungen energieeffizienter gebaut werden. Das würde Akkulaufzeiten – besonders gefragt bei mobilen Geräten – verlängern und könnte bei großen Rechnern viel Strom und Geld sparen.

Spintronik-Chips sind kein utopisches Fernziel, es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis Spintronik im Alltag ankommt. „Bei Speichermedien ist man schon sehr nahe an der wirtschaftlichen Anwendung, bei Logik-Schaltungen dauert es vielleicht noch zehn Jahre“, vermutet Selberherr. Das Material der Wahl ist dabei Silizium, genau wie bei herkömmlicher Mikroelektronik. Silizium ist in beliebigen Mengen verfügbar, es hat ausgezeichnete mechanische und elektronische Eigenschaften, und vor allem ist die Technologie des Umgangs mit Silizium ausgereift. Herkömmliche Chips und Spin-Technologien sind miteinander kompatibel, Spintronik wird sich in Zukunft also nahtlos an die bisherigen technologischen Errungenschaften anknüpfen lassen.