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Eine Flüssigkeit, die nicht gefriert

Neuartige Makromoleküle zeigen völlig überraschende thermodynamische Eigenschaften. Ein Workshop versammelt die Soft-Matter-Community nun an der TU Wien.

Es ist nur eine Frage der Temperatur, irgendwann friert praktisch jede Flüssigkeit. Die einzige bisher bekannte Ausnahme ist das Edelgas Helium, das selbst am absoluten Nullpunkt flüssig bleibt. Doch Helium ist ein Sonderfall – es geht schließlich auch keine stabilen chemischen Verbindungen ein. Alle Substanzen, die atomare oder molekulare Netzwerke ausbilden, wie etwa Kohlenstoff, werden unterhalb einer bestimmten Temperatur fest. Neue Computeranalysen zeigen allerdings, dass es bei dieser Regel ein Schlupfloch gibt: Sogenannte „DNA-Nanosterne“ können Strukturen bilden, die selbst bei niedrigsten Temperaturen nicht zu einer geordneten Struktur gefrieren. Solche und ähnliche Phänomene stehen im Mittelpunkt eines von der TU Wien organisierten Workshops  über Materialwissenschaft.

Ordnung hat weniger freie Energie
In einer Flüssigkeit bewegen sich Atome oder Moleküle völlig ungeordnet, in einem Festkörper ordnen sie sich nach einer regelmäßigen Struktur an. „Normalerweise stellt die geordnete Phase bei niedrigen Temperaturen den stabilen Aggregatszustand dar, weil die geordnete Struktur eine geringere freie Energie hat als die ungeordnete, flüssige Phase“, erklärt Prof. Gerhard Kahl (Institut für Theoretische Physik, TU Wien). Nun wurden allerdings von der Forschungsgruppe von Francesco Sciortino (Universität Rom, La Sapienzia) Computersimulationen präsentiert, die zeigen, dass die Sache auch anders aussehen kann.

Sogenannte „DNA-Nanosterne“ sind Makromoleküle, die aus vier speziell synthetisierten DNA-Doppelketten aufgebaut sind. Sie können ungeordnete Strukturen ausbilden, die selbst bei niedrigsten Temperaturen eine geringere freie Energie aufweisen als die konkurrierende geordnete Diamantstruktur. Solche Systeme können also selbst bei extrem niedrigen Temperaturen stabile ungeordnete Phasen ausbilden – energetisch ist es für solche Substanzen auch bei extremer Kälte günstiger, im flüssigen Zustand vorzuliegen und nicht zur Diamantstruktur zu erstarren.

„Die DNA-Nanosterne zeichnen sich durch eine große Flexibilität in ihren Armen aus“, sagt Gerhard Kahl. „Wie Sciortino und Mitarbeiter zeigen konnten, ist gerade diese Eigenschaft dafür verantwortlich, dass die ungeordnete Phase selbst bei tiefen Temperaturen eine niedrigere freie Energie erzielen kann als eine geordnete Kristallstruktur und somit thermodynamisch stabil ist.“ Bisher wurde diese Art von Makromolekülen nur am Computer untersucht, der experimentelle Nachweis steht noch aus.

TU-Workshop
Diese Klasse von Kolloide sind zentrales Thema eines Workshops, der vom 23. bis 26.9.2014 am Danube Center for Atomistic Simulations (DaCAM) an der TU Wien stattfindet. Theoretiker und Experimentalisten aus aller Welt diskutieren aktuelle neueste Entwicklungen auf diesem Gebiet. Organisiert wird diese Veranstaltung von Emanuela Bianchi, Gerhard Kahl (beide TU Wien), Christos N. Likos (Universitaet Wien) und eben Francesco Sciortino (Rom). DaCAM ist der Wiener Knoten des CECAM (Centre Européen de Calcul Atomique et Moléculaire), eines europaeischen Netzwerkes, das sich den Anwendungen und der Weiterentwicklung von atomaren und molekularen Simulationen in einem breiten Themenspektrum (von der Biologie bis zu den Materialwissenschaften) widmet.