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Die schnellste Stoppuhr der Welt

Ein deutsch-österreichisches Forscherteam ermöglicht erstmals die Zeitmessung im Bereich von hundert Attosekunden und erlaubt so die Beobachtung von Prozessen tief im Inneren von Atomen.

Wien/Bielefeld/Garching - Was bedeutet die Geschwindigkeit des Flügelschlages eines Kolibris (80 Flügelschläge pro Sekunde) oder einer Fliege im Vergleich zur Schnelligkeit von Atomen? Zur scharfen Abbildung eines fliegenden Tennisballes benötigt man beispielsweise eine Belichtungszeit von weniger als einer Tausendstel Sekunde. Will man hingegen die schnellsten atomaren Bewegungen in Molekülen festhalten, muss man die Lichtpulse billionenfach verkürzen. Forschern der Technischen Universität Wien, des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik (Garching bei München) und der Universität Bielefeld ist es nun erstmals mit Hilfe eines neuen Verfahrens gelungen, eine Röntgenblitzdauer von 250 Attosekunden (!) zu ermitteln. Eine Attosekunde ist der Milliardste Teil einer Milliardstel Sekunde oder 10-18 oder 0,000 000 000 000 000 001 Sekunden.

"Wir erforschen dieses Gebiet, damit wir in Zukunft die Vorgänge, Prozesse und Funktionsweise der verschiedensten Materialien verstehen lernen und diese Erkenntnisse auf die Entwicklung neuer Vorgänge und Materialien anwenden können", so Ferenc Krausz, der für die Erzeugung der kürzesten Pulse der Welt bekannte Forscher, der an der TU Wien und dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik forscht.

Innerhalb der Elektronenhülle angeregter Atome sausen Elektronen unvorstellbar schnell. Sie wechseln aus einem Energiezustand in einen anderen typischerweise zwischen 10 und 1000 Attosekunden. Dabei fliegen Atome, die ursprünglich in einem Molekül gebunden waren, auseinander oder senden ultraviolette bzw. Röntgenstrahlung aus. Diese Vorgänge sind von grundlegender Bedeutung für die Kontrolle chemischer Reaktionen und Synthese neuer Materialien. Sie könnten sogar für die Konstruktion eines handlichen Röntgenlasers eingesetzt werden.

Dank der wissenschaftlichen Leistungen in Wien, München und Bielefeld sind die bis dato berichteten kürzesten Pulse und zugleich die kürzeste gemessene Zeitspanne möglich. Dadurch kann der zeitliche Verlauf von Vorgängen innerhalb der Elektronenhülle von Atomen mit einer Auflösung von ca. 100 Attosekunden direkt gemessen werden.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Reinhard Kienberger , Eleftherios Goulielmakis, Matthias Uiberacker, Andrius Baltuska, Armin Scrinzi, Vlad Yakovlev, Ferdinand Bammer - alle TU Wien - und Thomas Westerwalbesloh, Ulf Kleineberg, Ulrich Heinzmann, Markus Drescher - Universität Bielefeld sowie Ferenc Krausz, Angehöriger der TU Wien und des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik, wurden in der aktuellen Ausgabe von "Nature" unter dem Titel "Atomic transient recorder" publiziert (Nature 427, 26. Februar 2004).

Das elektromagnetische Feld von sichtbarem Licht wechselt seine Richtung ca. eine Billiarde Mal (1015) pro Sekunde. Danach ändert sich die Feldstärke des Lichtes von Null auf Maximum schneller als eine Femtosekunde (1 Femtosekunde ist eine Billiardstel-Sekunde). Durch die präzise Steuerung dieser hyperschnellen Schwingungen in einem kurzen Laserpuls gelang es Forschern des Instituts für Photonik und des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Zusammenarbeit mit ihren Kollegen von der Universität Bielefeld erstmals einen Messapparat zu entwickeln, der mit einer ultraschnellen Stoppuhr verglichen werden kann. Dieses Gerät misst die Dauer atomarer Vorgänge mit einer Genauigkeit von weniger als 100 Attosekunden. Ein 250-Attosekunden Röntgenpuls startet den zu messenden atomaren Prozess und zugleich die Attosekunden-Stoppuhr. Dieses neue Messverfahren ermöglicht es erstmals, schnellste Vorgänge in der Elektronenhülle von Atomen zu beobachten.

Die Beobachtung der Bewegung von Elektronen tief im Inneren der Atome und Moleküle ist somit in greifbare Nähe gerückt. Es besteht erstmals die Chance, auf Fragen zur wirksamen, kollektiven Röntgenemission aus Atomen (Röntgenlaser) oder zur Entstehung bzw. Vernichtung chemischer Bindungen (Kontrolle chemischer Reaktionen) experimentelle Antworten zu liefern.