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Die Energie der Oberflächenspannung

Eine Kontroverse in der Strömungsmechanik konnte nun geklärt werden: Die Oberflächenspannung einer Flüssigkeit hat keinen Einfluss auf ihre Bewegungsenergie.

Blaue Wassertropfen und eine mathematische Formel

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Wichtige Forschungsfrage: Wie beeinflussen einander Oberflächenspannung und Flüssigkeitsströmung?

Bernhard Scheichl lächelnd im Portrait.

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Bernhard Scheichl

Wie bewegen sich Flüssigkeiten? Die Strömungsmechanik ist ein altes Forschungsgebiet: Die berühmten Navier-Stokes-Gleichungen, mit der man sogenannte Newtonsche Flüssigkeiten mathematisch beschreiben kann, wurden bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgestellt. Doch bis heute werden in diesem Zusammenhang neue Fragen aufgeworfen und verblüffende Erkenntnisse gewonnen.

So wurde im Jahr 2018 behauptet, eine Erweiterung der Randbedingungen für diese Gleichungen an freien Oberflächen sei nötig. Man müsse, so hieß es, nämlich einen Zusatzterm einfügen, der den Zusammenhang zwischen der Oberflächenspannung und der Bewegungsenergie der Flüssigkeit beschreibt. An der TU Wien wurde das nun eingehend untersucht, und dabei stellte sich heraus: Diese angekündigte Revolution ist gar nicht nötig. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die Oberflächenspannung keinen Einfluss auf die Bewegungsenergie hat. Trotzdem liefert diese neue, präzisere Untersuchung wichtige neue Erkenntnisse über die Energiebilanz bewegter Flüssigkeiten.

Auf die äußere Form kommt es an

„Die Idee kam von einem Forschungsteam aus Cambridge, und sie klingt eigentlich ja recht einleuchtend“, sagt Dr. Bernhard Scheichl, Dozent am Institut für Wärmeübertragung und Strömungsmechanik der TU Wien und Key Researcher am Austrian Excellence Centerfor Tribology (AC2T research GmbH). „Die Oberflächenspannung trägt Energie, sie muss daher in die Energiebilanz der Flüssigkeit eingehen, und somit ist die Vermutung naheliegend, dass sie auch einen Einfluss auf die Bewegungsenergie der Strömung hat.“

Wie Bernhard Scheichl gemeinsam mit Prof. Tomas Bohr von der TU Dänemark nun zeigen konnte, fällt dieser angeblich nötige Zusatzterm allerdings weg – so lange die äußere Form der Flüssigkeit sich nicht verändert. „Wir konnten eine Art von Energieerhaltungssatz aufstellen: Wenn die Oberfläche gleichbleibt, dann hat die Oberflächenspannung keinen Einfluss auf die Bewegungsenergie der strömenden Flüssigkeit“, erklärt Scheichl. „Nur wenn man die äußere Form der Flüssigkeit dynamisch ändert, muss man die Oberflächenspannung berücksichtigen, aber eben nur in der Energiebilanz der Oberfläche.“ Veränderungen der äußeren Begrenzungsfläche der Flüssigkeit führen zu zusätzlichem Druck und zusätzlichen Kräften, haben aber keinen Einfluss auf die Bewegung der Flüssigkeit selbst.

„Eine einfache Erklärung dafür ist, dass nur ein winziger Bruchteil der Teilchen direkt an der Oberfläche sitzt“, sagt Bernhard Scheichl. „Wenn man sich die Oberfläche als infinitesimal dünn vorstellt, dann hat sie eine infinitesimal kleine Masse und spielt für die kinetische Energie keine Rolle.“ Die Energie der Oberflächenspannung entsteht durch die Kräfte, die zwischen diesen Teilchen wirken, und diese Kräfte haben nichts mit der Dynamik der Flüssigkeit zu tun – sie bleiben gleich, so lange die äußere Form der Flüssigkeit gleichbleibt.

Die neuen Erkenntnisse könnten zu interessanten Anwendungsmöglichkeiten führen – etwa, wenn es darum geht, die Verteilung oberflächenaktiver Substanzen vorherzusagen, oder das Benetzungsverhalten von festen Oberflächen mit spezieller Struktur zu erklären. An solchen Fragen wir derzeit geforscht.

Originalpublikation

T. Bohr und B. Scheichl; Surface tension and energy conservation in a moving fluid, Phys. Rev. Fluids 6, L052001., öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Kontakt

Dr. Bernhard Scheichl
Institut für Strömungsmechanik und Wärmeübertragung
Technische Universität Wien
+43 1 58801 32225
bernhard.scheichl@tuwien.ac.at

Text:
Florian Aigner
florian.aigner@tuwien.ac.at