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Der Wiener Wohnungsmarkt: schwer zugänglich für Flüchtlinge

Wien gilt als Vorzeigestadt des sozialen Wohnens. Man könnte glauben, dass das auch die Situation von Geflüchteten erleichtert – doch das stimmt nicht, wie eine Studie der TU Wien zeigt.

Frontfassade von einem Haus

Mietwohnungen sind für Geflüchtete oft schwer zu bekommen.

Soziales Wohnen spielt in Wien eine besonders große Rolle. Der Anteil von Gemeindebauwohnungen und geförderten Mietwohnungen ist im europäischen Vergleich hoch, die Miete eines großen Teils der privaten Mietwohnungen (vor 1945 errichtet) ist reglementiert. Das Leben in Sozialwohnungen gilt nicht als soziales Stigma, sondern als Normalität.

Die Vermutung liegt nahe, dass in einer derart sozialen Stadt auch asylberechtigte Personen leichter eine Wohnung finden als anderswo – aber das ist ein Trugschluss. Anita Aigner, Professorin an der Fakultät für Architektur und Raumplanung der TU Wien, ging dieser Frage gemeinsam mit Studierenden nach und stellte fest, dass der Zugang zu leistbarem und angemessenem Wohnraum für Geflüchtete auch in Wien – der Stadt des sozialen Wohnbaus – äußerst schwierig ist.

Vom öffentlichen Wohnraum weitgehend ausgeschlossen
„Der Fokus der Forschung lag bislang auf der Unterbringung in der Grundversorgung. Uns hat interessiert, wie der Einstieg in den Wohnungsmarkt funktioniert. Ziel war, herauszufinden, wie Menschen nach der Grundversorgung zu einer Wohnung kommen, von wem sie dabei unterstützt werden und welche Wohnsektoren sie dabei erschließen“, sagt Anita Aigner. Dafür wurden zahlreiche Interviews mit Personen geführt, die in Wien seit ein bis fünf Jahren als anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte leben.

Dabei zeigte sich, wie hoch die Hürden auch in einer Stadt mit großer sozialer Wohnbautradition sind: „Ob der Zugang zu öffentlichem Wohnraum formal gegeben ist, ist eine Sache. Eine andere, ob der Zugang in der Praxis gewährleistet ist. Anerkannte Flüchtlinge haben zwar – anders als subsidiär Schutzberechtigte – eine Zugangsberechtigung, sind aber in der Praxis weitgehend ausgeschlossen“, sagt Anita Aigner.

So muss man, um sich für ein Wiener Wohnticket (vormals Vormerkschein) anmelden zu können, zwei Jahre durchgehend an einer Adresse in Wien gemeldet sein – eine Anforderung, die für viele schon Jahre in Wien lebende Asylberechtigte wegen häufiger, oft erzwungener Umzüge nicht zu erfüllen ist. Auch das im Jahr 2015 eingeführte Bonussystem für Langzeitwiener_innen sorgt für strukturelle Benachteiligung: Es erlaubt ein Vorrücken in der Warteliste für Gemeindewohnungen um drei Monate pro fünf Jahre Meldezeit (maximal 9 Monate), was neu Zugewanderte in der Warteschlange nach hinten reiht.
„Wenn es öffentliche Unterstützung gibt, dann am ehesten für Familien oder Frauen mit Kindern“, sagt Anita Aigner. Allerdings wird im Rahmen der sozialen Wohnungsvergabe, wo Sozialarbeiter_innen in den Prozess der Vergabe eingebunden sind, nur eine sehr geringe Anzahl von Gemeindewohnungen vergeben – meist schlechtere, die von anderen abgelehnt worden sind.

Diskriminierung und Ausbeutung auf dem privaten Mietwohnungsmarkt
Auch der private Wohnungsmarkt ist für Flüchtlinge schwer zugänglich. „Wohnungssuchende mit schlechtem Deutsch und ohne Arbeit ziehen im Konkurrenzkampf um die knappe Ressource leistbaren Wohnraums regelmäßig den Kürzeren. Sie sind auch Diskriminierung ausgesetzt. Nicht nur, dass Makler_innen oft gar nicht mehr zurückrufen, es gibt auch Vermieter_innen, die in Privatanzeigen unverhohlen ihre Ausländerfeindlichkeit zeigen. Auf einer Anzeige war etwa zu lesen: ‚keine Haustiere, keine Asylanten‘“, erzählt Aigner. Zudem gibt es finanzielle Barrieren. Für Mietwohnungen wird eine Kaution von bis zu sechs Monatsmieten sowie eine Maklergebühr fällig – selbst bei kleinen Wohnungen kommt so eine Summe zustande, die für Geflüchtete kaum aufzubringen ist.

Es gibt aber auch Vermieter_innen, die die Notlage dieser Menschen ausbeuten und von der mangelnden Wohnversorgung profitieren. „Es hat sich ein problematischer informeller Subwohnungsmarkt herausgebildet, auf dem Wohnraum zu überhöhten Preisen angeboten wird“, sagt Anita Aigner. „Für Schlafplätze – nicht für Zimmer – werden hier zwischen 200 und 350 Euro pro Monat verlangt. Besonders alleinstehende Männer sind auf dieses Angebot angewiesen. Überfüllte Wohngemeinschaften findet man aber auch häufig außerhalb dieses Business-Modells, in regulär vermieteten Wohnungen.“

Solidarität und soziale Verantwortung
Positiv sieht Aigner die Rolle von NGOs und der Zivilgesellschaft: Die Wohnbiografien der Flüchtlinge zeigen auch, dass es in Wien viel Hilfsbereitschaft gibt, die zu unbürokratischer und fairer Vermittlung von Wohnraum führt. Ob dieser gute solidarische Subwohnungsmarkt ausreicht, um den Wohnbedarf der Zugewanderten zu decken? „Nein“, sagt Aigner, „das ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Deshalb wird es für die Stadt Wien in den nächsten Jahren und Jahrzehnten eine der zentralen Herausforderungen sein, den Benachteiligten unserer Gesellschaft – und damit sind nicht nur mittellose Geflüchtete gemeint – leistbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Das Wiener Modell des sozialen Wohnbaus ist zweifellos gut, doch fokussiert es gegenwärtig zu sehr auf die Mittelschicht. Auf die immer größer werdende Gruppe von Menschen in prekären Verhältnissen darf nicht vergessen werden.“

Originalpublikation:
Anita Aigner, Housing entry pathways of refugees in Vienna, a city of social housing, Housing Studies (2018). DOI: 10.1080/02673037.2018.1485882, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster
Open-Access-Zugang durch Unterstützung der TU Wien Bibliothek.

Kontakt:
Ass. Prof. Anita Aigner
Institut für Kunst und Gestaltung
Technische Universität Wien
T: +43-1-58801-26426
anita.aigner@tuwien.ac.at

Aussender:
Dr. Florian Aigner
Technische Universität Wien
PR und Marketing
Resselgasse 3, 1040 Wien
T: +43-1-58801-41027
florian.aigner@tuwien.ac.at