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Beim absoluten Nullpunkt geht’s erst richtig los

Eine hochdotierte Förderung von DFG und FWF ermöglicht die Untersuchung von Materialien bei Extrembedingungen. Die TU Wien ist mit vier Forschungsgruppen daran beteiligt.

Atome mit Pfeilen, die Spin symbolisieren

Phasenübergänge sind etwas ganz Alltägliches. Das Schmelzen, Gefrieren oder Verdampfen von Wasser ist uns vertraut. Aber das ist nur die Spitze eines Eisbergs: Viele Materialien entwickeln beim Abkühlen unter eine bestimmte Temperatur ganz neue Eigenschaften, sie können beispielsweise magnetisch oder supraleitend werden. Solche Materialeffekte sind oft extrem kompliziert und schwer zu erklären – dabei sollen sie für zukünftige Technologien eine wichtige Rolle spielen. Daher wird an der TU Wien intensiv an solchen Phasenübergängen geforscht.

Diese Forschung wird nun durch eine hochdotierte Förderung noch intensiviert: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG fördert in Kooperation mit dem österreichischen Wissenschaftsfonds FWF das Projekt „Quantitative räumlich-zeitliche Modellierung von Materie mit elektronischen Korrelationen“. Beteiligt sind, neben Partneruniversitäten aus Deutschland und der Schweiz, gleich vier Forschungsgruppen der TU Wien: Die Teams von Prof. Silke Bühler-Paschen, Prof. Karsten Held, Prof. Jan Kuneš und Prof. Alessandro Toschi (alle am Institut für Festkörperphysik). Das Projekt ist mit 4.6 Millionen Euro dotiert, davon gehen 700.000 Euro an die TU Wien.

Von einzelnen Teilchen zur kollektiven Ordnung

„Das grundlegende Prinzip der Phasenübergänge ist, dass die zufällige und unabhängige Bewegung von Atomen oder Elektronen über weite Distanzen korreliert wird – aus einer chaotischen Menge wird ein gut orchestriertes Ballett mit vielen Tänzern“, erklärt Prof. Jan Kuneš. Während in flüssigem Wasser alle Moleküle unterschiedlich angeordnet sind, richten sie sich in einem Eiskristall in einer geordneten Struktur aus. So entstehen plötzlich Korrelationen zwischen räumlich weit von einander entfernten Molekülen. Auf ähnliche Weise kann es bei Phasenübergängen in Festkörpern plötzlich zu Quanten-Korrelationen zwischen Elektronen kommen: Aus Chaos entsteht Ordnung. Diesen Übergang mathematisch zu erfassen stellt eine enorme Herausforderung dar.

Nach den Vorstellungen der klassischen Physik müsste eigentlich nahe am absoluten Temperatur-Nullpunkt jede Bewegung einfrieren. In Wirklichkeit ist das aber anders: Die Quantenphysik beschreibt, wie bestimmte zufällige Bewegungen, sogenannte Quantenfluktuationen, auch beim absoluten Nullpunkt noch eine wichtige Rolle spielen. Sie ermöglichen Phasenübergänge auch direkt am absoluten Nullpunkt. Solche Quantenphasenübergänge können etwa durch Druckänderungen oder durch das Anlegen eines Magnetfeldes ausgelöst werden. Sie sind das zentrale Thema des nun genehmigten Forschungsprojekts.

Theorie und Experiment

„Das Projekt umfasst einen theoretischen und einen experimentellen Teil“, sagt Jan Kuneš. „Für ersteren werden wir fortgeschrittene theoretische Methoden anwenden und weiterentwickeln, die Supercomputer mit Tausenden von Prozessoren nutzen, um die facettenreichen Aspekte von Quantenphasenübergängen zu untersuchen.“ Auf diese Weise lassen sich Veränderungen physikalischer Eigenschaften von Materialien vorhersagen – etwa Veränderungen der magnetischen Suszeptibilität oder der elektrischen Leitfähigkeit. Vereinfachte theoretische Modelle werden dabei helfen, das Verständnis der zugrundeliegenden Prozesse zu vertiefen.

Im experimentellen Teil des Projekts werden Materialien, die derartige Quanteneffekte besonders deutlich zeigen (bestimmte intermetallische Cer-basierte Verbindungen), hergestellt und mit Methoden, die auch theoretisch gut zugänglich sind (diverse Spektroskopien), vermessen. Dies geschieht in weiten Temperaturbereichen, bis knapp an den absoluten Nullpunkt, und als Funktion von Druck und Magnetfeld. Ein detaillierter Vergleich zwischen Theorie und Experiment soll der Materialforschung entscheidende Schritte nach vorne ermöglichen.