News

Alles ist noch viel relativer

Als ob Relativitätstheorie und Quantenphysik nicht schon kompliziert genug wären: In der theoretischen Physik werden immer wieder neue Erklärungen und Zusammenhänge entdeckt. Die große, alles erklärende Weltformel ist dabei derzeit nicht in Sicht – aber das macht auch nichts, findet Daniel Grumiller von der TU Wien.

Die Weltformel fehlt uns noch. Aber eigentlich brauchen wir sie auch nicht wirklich.

Die Weltformel fehlt uns noch. Aber eigentlich brauchen wir sie auch nicht wirklich.

Die Weltformel fehlt uns noch. Aber eigentlich brauchen wir sie auch nicht wirklich.

Erfolgreich und mächtig sind die Theorien, die uns die Physik heute zu bieten hat: Die Quantentheorie erklärt die Welt der kleinen Teilchen, Einsteins Relativitätstheorie beschreibt die Welt des ganz Großen und erklärt viele Gravitationsphänomene in Astronomie und Kosmologie. Nahtlos vereinigen lassen sich diese beiden physikalischen Gebiete noch immer nicht, doch es zeigen sich faszinierende Querverbindungen, die immer wieder neue Erkenntnisse über unsere Welt ermöglichen. Die Welt scheint noch komplizierter zu sein, als sich Einstein und seine Zeitgenossen hätten träumen lassen.

Relativität und Quanten

Daniel Grumiller vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien ist gewissermaßen ein Grenzgänger zwischen verschiedenen physikalischen Forschungsbereichen: Er beschäftigt sich mit der Relativitätstheorie und Schwarzen Löchern, kommt aber ursprünglich aus der Quantenphysik. "Es gibt heute breite wissenschaftliche Gebiete, in denen man einfach von beiden Seiten etwas verstehen muss: Von Relativität und von Quantenfeldtheorie", betont Daniel Grumiller.

Auf zur „Großen Vereinheitlichten Theorie“?

Einer der großen Träume der Wissenschaft ist eine vereinheitlichte Quantentheorie, die alle Naturkräfte einschließlich der Gravitation gleichzeitig erklären kann. "Dass eine solche große vereinheitlichte Theorie noch zu unseren Lebzeiten fertiggestellt wird, kann ich mir aus heutiger Sicht kaum vorstellen", meint Daniel Grumiller. Trotzdem: Schritt für Schritt lernt man in der Physik immer mehr über Zusammenhänge zwischen Gravitation und anderen Naturkräften. Die Stringtheorie ist ein Versuch, eine solche vereinheitlichte Theorie aufzubauen – doch auch hier sind noch viele Fragen offen.

Eine ganz neue Forschungsrichtung ist in den letzten Jahren entstanden, nachdem man einen bemerkenswerten Zusammenhang entdeckte: Stringtheorien, die Gravitation und andere Kräfte beschreiben, lassen sich auf Quantenfeldtheorien abbilden, die ohne Gravitation auskommen. Ergebnisse aus dem einen Gebiet können – mit neuer physikalischer Interpretation – auf das andere Gebiet umgelegt werden. Das ist sehr überraschend – so ähnlich als würde man feststellen, dass sich Steuererklärungen anders gelesen auch als Kuchenbackrezepte nutzen lassen. Je nachdem, auf welche Art ein Problem einfacher zu lösen ist, kann man es entweder mit Gravitation oder als Quantenfeldtheorie durchrechnen, und das Ergebnis auf das jeweils andere Gebiet übertragen. "Dabei kommt die Quantenfeldtheorie immer mit einer Raumdimension weniger aus als die dazugehörige Stringtheorie", erklärt Daniel Grumiller. Eine zweidimensionale Quantenfeldtheorie korrespondiert zu einer dreidimensionalen Gravitationstheorie, wie ein Hologramm, das dreidimensional erscheint, obwohl es eigentlich nur aus einer zweidimensionalen Oberfläche besteht. Wie viele Raumdimensionen es in unserer Welt also tatsächlich gibt, lässt sich vielleicht gar nicht beantworten.

Alles nur Ansichtssache?

Sabine Ertl, Doktorandin in Grumillers Arbeitsgruppe, arbeitet mit Verallgemeinerungen der Einsteinschen Relativitätstheorie. "Dort tauchen Variablen auf, deren Wert keine echten physikalischen Konsequenzen hat, man kann sie in den Rechnungen frei wählen", erklärt sie. "Übertragen auf eine dazupassende Quantenfeldtheorie kann diese scheinbar freie Wahl aber plötzlich eine zusätzliche, neue Teilchensorte entstehen lassen."

Ist in unserem Universum also tatsächlich alles nur Ansichtssache? Sind selbst scheinbar so fundamentale Dinge wie die Anzahl der Raumdimensionen rund um uns oder die Arten von Teilchen, die es gibt, bloß eine Frage der mathematischen Formulierung? Nicht unbedingt: "Ich glaube schon, dass man irgendwann klare Antworten auf solche Fragen finden kann", meint Daniel Grumiller. "Aber bis dahin sollten wir solche Theorien einfach als Werkzeuge sehen: Sie helfen uns, Teilaspekte der Physik besser zu verstehen, die können manche physikalischen Phänomene immer besser erklären." Ganz besonders in Experimenten, bei denen starke Wechselwirkungen auftreten, wie in den Schwerionenkollisionen am LHC, die hier an der TU intensiv von Anton Rebhan und seiner Gruppe mit holographischen Methoden theoretisch untersucht werden.

Es geht also nicht nur um die große, alleserklärende Weltformel, die alle Naturkräfte einheitlich darstellt – auch die vielen steilen Stufen dorthin bringen schon wertvolle Erfolge. Aber wer kann schon sagen, welche neuen Geistesblitze die Theoretische Physik in den nächsten Jahren durchzucken werden – möglicherweise ist die nächste große Umwälzung ja näher als heute noch irgendjemand denkt.

Am Original-Paper haben gleich vier TU-ForscherInnen mitgewirkt: Hamid Afshar, Sabine Ertl, Niklas Johansson und Daniel Grumiller. Es kann gratis auf arxiv.org nachgelesen werden: <link http: arxiv.org abs _blank link_extern>

arxiv.org/abs/1106.6299, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster