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Die Grenzen der Quantenphysik verschieben

Wie macht man Quantenexperimente mit Dingen, die dafür eigentlich viel zu groß sind? Uroš Delić definiert die Grenzen der Quantenforschung neu und erhält dafür einen ERC Starting Grant.

Forscher im Labor

© Luiza Puiu

Uroš Delić

Uroš Delić

Die Quantenphysik liefert Aussagen, die unserer Alltagserfahrung zu widersprechen scheinen: Quantenteilchen können sich in einer Kombination verschiedener Zustände gleichzeitig befinden. Sie können sich etwa in unterschiedliche Richtungen gleichzeitig bewegen, sich an unterschiedlichen Orten gleichzeitig aufhalten, in unterschiedliche Richtungen gleichzeitig rotieren. Wir bemerken davon normalerweise nichts, weil die Dinge, mit denen wir im Alltag zu tun haben, viel zu groß sind, um solche quantenphysikalischen Effekte zu zeigen.

Aber wo ist die Grenze zwischen winzigen Quantenteilchen, die den Gesetzen der Quantenphysik gehorchen, und großen Objekten, die den Gesetzen der klassischen Physik gehorchen? Der Physiker Uroš Delić, Assistenzprofessor an der TU Wien, geht dieser Frage nach und überschreitet dabei die Grenzen dessen, was bisher möglich war. Er bringt feste Partikel, die für Quanten-Verhältnisse gigantisch groß sind und aus Milliarden Atomen bestehen dazu, Quanteneigenschaften zu zeigen. Damit lassen sich nicht nur wichtige Erkenntnisse über grundlegende Naturgesetze gewinnen, man kann dadurch auch neue Quantentechnologien und Messgeräte entwickeln. Delić wird dafür mit einem ERC Starting Grant augezeichnet, einer der höchstdotierten und prestigeträchtigsten Förderungen der europäischen Forschungslandschaft.

Klein und groß zugleich

„Die Techniken, die wir verwenden, kommen eigentlich aus der Atomphysik“, erklärt Uroš Delić. „Mit sogenannten optischen Pinzetten kann man einzelne Atome an einem bestimmten Ort festhalten und untersuchen. Wir machen das allerdings mit viel größeren Objekten: Mit Partikeln aus Siliziumoxid, die einen Durchmesser in der Größenordnung von hundert Nanometern haben.“

Diese Partikel sind noch immer zu klein, um sie mit freiem Auge zu sehen – aber in den Maßstäben der Quantenforschung sind sie riesig groß. Normalerweise zeigen Objekte dieser Größenordnung keinerlei Quanten-Eigenschaften mehr. Uroš Delić konnte aber in den letzten Jahren wichtige Erfolge erzielen, die klar zeigen: Auch solche Partikel lassen sich in Zustände versetzen, die nur mit Hilfe der Quantenphysik erklärbar sind.

„Wir wollen nun einen Siliziumoxid-Partikel und ein einzelnes Atom direkt nebeneinander positionieren“, erklärt Uroš Delić. „Dann werden wir die beiden über Photonen miteinander interagieren lassen. So kann man untersuchen, wie die Quanteneigenschaften des Atoms mit den Quanteneigenschaften des großen Partikels zusammenhängen, wie sie quantenphysikalisch miteinander verschränkt werden können.“

Möglich ist das nur durch extrem vorsichtiges Experimentieren: Die Teilchen müssen in einem Ultrahochvakuum platziert werden, sie müssen fast perfekt von der Umwelt abgeschirmt werden. Nur dann besteht Hoffnung, Quanteneffekte nachweisen zu können.

Heiß und kalt zugleich

„Unser Siliziumoxid-Partikel wird festgehalten und in einen Zustand extrem niedriger Bewegungsenergie versetzt, sodass er zuverlässig am selben Ort bleibt“, sagt Uroš Delić. „Diese niedrige Bewegungsenergie entspricht einer extrem tiefen Temperatur, knapp am absoluten Nullpunkt. Gleichzeitig bewegen sich aber die Teilchen im Inneren des Partikels relativ zueinander – und zwar ziemlich heftig. Die innere Temperatur des Teilchens beträgt mehrere hundert Grad.“

In gewissem Sinn hat das Teilchen also zwei völlig verschiedene Temperaturen gleichzeitig – je nachdem, über welche Freiheitsgrade man die Temperatur definiert.

Dadurch kann man mit solchen Systemen bisher ungelöste Fragen aus dem Grenzgebiet zwischen Quantentheorie und Thermodynamik beantworten. Man hat damit ein hochsensibles Messkonzept zur Verfügung, mit dem man nicht nur die Grenzen der Quantenphysik ausloten kann, sondern auch fundamentale Fragen über die Naturgesetze oder die Natur der dunklen Materie untersuchen kann.

Außerdem sind die quantenphysikalischen Siliziumoxid-Partikel ein hervorragendes System für ultrapräzise Messungen: Ihre Quanteneigenschaften reagieren extrem empfindlich auf die Umgebung, etwa auf die Anwesenheit zusätzlicher Atome, sodass ein solches System bestens geeignet ist, Präzisionsmessungen durchzuführen und heuartige Hochleistungs-Sensoren zu entwickeln.

Uroš Delić

Uroš Delić studierte Physik an der Universität Belgrad und der Universität Wien. Schon als Student absolvierte er Forschungspraktika am Institut für Quantenoptik der ÖAW (IQOQI) und am MIT in den USA. Im Team von Prof. Markus Aspelmeyer an der Universität Wien begann er, an Nanopartikeln zu arbeiten und sie auf extrem tiefe Temperaturen zu kühlen. 2019 schloss er dort seine Dissertation ab und forschte danach als Postdoctoral Assistant weiter.

Uroš Delić wurde bereits mehrfach mit wichtigen Preisen ausgezeichnet, darunter ein Austrian Marshall Plan Scholarship für seinen Besuch am MIT, ein Award of Excellence des österreichischen Bildungsministeriums für seine Dissertation und ein START-Preis des Wissenschaftsfonds FWF. Mit seinem ERC Starting Grant wird Uroš Delić nun seine Foschungsgruppe vergrößern und seine Forschungstätigkeit am Atominstitut der TU Wien ausbauen.

Rückfragehinweis

Prof. Uroš Delić
Atominstitut
Technische Universität Wien
uros.delic@tuwien.ac.at

Text: Florian Aigner