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Die Evolution im Reagenzglas

An der TU Wien werden kostengünstige Erkennungsmoleküle zum Aufspüren gefährlicher Bakterien entwickelt – mit einer Methode, die von der natürlichen Evolution inspiriert ist.

Das Aptamer-Team an der TU Wien

Das Aptamer-Team

Isabella Cervenka, Claudia Kolm, Ulrich Aschl, Georg Reischer, Niklas Bauman (v.l.n.r.)

Ist die Wasserprobe trinkbar, oder ist sie mit gefährlichen Bakterien verseucht? Um solche Fragen schnell und zuverlässig beantworten zu können, ist ein Blick durchs Mikroskop nicht ausreichend. Es gibt zwar Verfahren, relativ rasch die Zahl von Bakterien in einer Probe zu messen, doch das sagt noch nichts darüber aus, ob es sich um gefährliche oder ungefährliche Bakterien handelt. Dafür braucht man spezielle Methoden – gewissermaßen einen „künstlichen Spürhund“, der sich auf Bakteriensuche begeben kann.

Spezielle Moleküle, die genau dafür eingesetzt werden können, wurden nun an der TU Wien im Rahmen des Interuniversitären Kooperationszentrums Wasser und Gesundheit (ICC Water & Health) entwickelt: Es handelt sich dabei um sogenannte Aptamere, das sind maßgeschneiderte Erkennungsmoleküle auf DNA-Basis, die genau an einen bestimmten Zelltyp ankoppeln. Erstmals ist es nun gelungen, DNA Aptamere für Fäkalbakterien in Wasser herzustellen. Die neue Aptamer-Entwicklungstechnologie wurde nun im Fachjournal „Scientific Reports“ publiziert.

Maßgeschneiderte Erkennungsmoleküle aus DNA-Bausteinen

„Aptamere sind kurze, synthetisch erzeugte DNA- oder RNA-Moleküle, die aufgrund ihrer dreidimensionalen Struktur ganz bestimmte Zielmoleküle erkennen und spezifisch binden“, erklärt Claudia Kolm (ICC Water & Health/TU Wien), die Erstautorin der Studie. „Ähnlich wie bei Antikörpern erfolgt die Bindung auch hier nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip. So binden Aptamere an ganz bestimmte Proteine und komplexe Oberflächenstrukturen von Zellen. Aber auch für kleine Moleküle, wie etwa Antibiotika oder unterschiedliche Gifte lassen sich spezifische Aptamere generieren.“

Sowohl in der Forschung als auch in der Industrie gewinnen Aptamere in letzter Zeit an Bedeutung: Man kann sie rein synthetisch herstellen, man ist daher nicht abhängig davon, bestimmte Tiere oder Zelllinien zu züchten, um am Ende die gewünschten Moleküle zu erhalten. „Die Aptamere werden in vitro generiert und lassen sich für verschiedene diagnostische Endanwendungen anpassen“, sagt Georg Reischer (ICC/TU Wien). „Ein solches Molekül direkt herzustellen ist in mehrfacher Hinsicht einfacher als eine Zelllinie zu produzieren, die dann im Bioreaktor bestimmte Antikörper erzeugt: Unsere Aptamere sind robuster und ihre Herstellung ist viel besser reproduzierbar.“

Die Nadel im Heuhaufen

Die entscheidende Herausforderung bei der Herstellung von Aptameren ist es, aus der unüberblickbaren Vielzahl möglicher DNA-Strukturen genau diejenige herauszufinden, die an eine ganz bestimmte Zelle bindet. „Wir gehen von einer großen DNA-Bibliothek aus, mit ungefähr einer Billiarde unterschiedlicher DNA-Moleküle“, sagt Claudia Kolm. „Um diesen riesigen DNA-Pool nach passenden Kandidaten zu durchforsten und die Nadel im Heuhaufen zu finden, bedient man sich eines Prozesses, der der natürlichen Evolution ähnelt.“ Dabei werden DNA-Moleküle, die an das Zielbakterium binden, selektiert und gezielt vermehrt.

„Über mehrere Runden mit zunehmenden Selektionsdruck trennt man die Spreu vom Weizen. In Kombination mit modernen Sequenziermethoden und eigens dafür entwickelten bioinformatischen Datenanalyse-Tools konnten wir ein Aptamer anreichern und identifizieren, das an Enterococcus faecalis bindet – ein Bakterium, das in Gewässern mit fäkaler Verunreinigung zu finden ist“, erklärt Claudia Kolm. Diese Bindung ist sehr spezifisch: Man führte auch Tests mit anderen, eng verwandten Bakterienspezies durch – bei ihnen zeigte das Aptamer keine Auswirkung.

„Welche Struktur an der Zelloberfläche es ist, an die das Aptamere so spezifisch bindet, ist nicht bekannt – aber das ist auch gar nicht entscheidend“, sagt Georg Reischer. „Unsere von der Evolution inspirierte Methode, in der wir Generation für Generation passgenauere Aptamere erhalten, funktioniert auch ohne die genauen Strukturen zu kennen.“ Die Aptamere kann man zusätzlich mit fluoreszierenden Farbstoffen versehen, um sie nach dem Binden an die gesuchte Zelle zuverlässig nachweisen zu können.

Die Technik zur Aptamer-Entwicklung bietet ein großes Potenzial für weitere Forschung und Entwicklung. So wird etwa bereits an DNA Aptameren für Vibrio cholerae gearbeitet – den Erreger der Cholera.

Originalpublikation

Kolm C., Cervenka I., Aschl U.J. et al. DNA aptamers against bacterial cells can be efficiently selected by a SELEX process using state-of-the art qPCR and ultra-deep sequencing. Sci Rep 10, 20917 (2020)., öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

Kontakt

Dr. Georg Reischer
ICC Water&Health
Institut für Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und technische Biowissenschaften
Technische Universität Wien
Gumpendorfer Straße 1a, 1060 Wien
+43 1 58801 166556
georg.reischer@tuwien.ac.at
 

Dr. Claudia Kolm
ICC Water&Health
Institut für Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und technische Biowissenschaften
Technische Universität Wien
Gumpendorfer Straße 1a, 1060 Wien
+43-1-58801-166547
claudia.kolm@tuwien.ac.at

Aussender:
Dr. Florian Aigner
PR und Marketing
Technische Universität Wien
Resselgasse 3, 1040 Wien
+43 1 58801 41027
florian.aigner@tuwien.ac.at