Forscher entdeckten erstmals Opfer von Santorin-Vulkanausbruch

Ein detailliertes Bild der Verwüstung in Folge des verheerenden Vulkanausbruchs auf der griechischen Insel Santorin um 1600 vor Christus zeichnen Forscher in einer neuen Arbeit im Fachblatt "PNAS". Erstmals fanden sich Überreste von Opfern, die die Katastrophe forderte - allerdings im 227 Kilometer von Santorin entfernten Çeşme-Bağlararası in der heutigen Türkei. Einem jungen Mann und einem Hund wurden die Verheerungen zum Verhängnis, die mehrere Tsunamiwellen brachten.

Vulkanausbruch

© Atominstitut

Die Wiener Forscher verfügen über eine große Datenbank zu chemischen Fingerabdrücken von vulkanischem Material aus der Ägäis

Ungeheure Mengen an vulkanischem Material hat die "Minoische-", "Santorin-" oder "Thera-Eruption" auf der heute beliebten griechischen Ferieninsel Santorin ausgeworfen. Die Auswirkungen eines der verheerendsten Vulkanausbrüche der vergangenen Jahrtausende weltweit haben die gesamte östliche Mittelmeerregion in der späten Bronzezeit schwer in Mitleidenschaft gezogen. Es gibt allerdings bisher wenige gesicherte Nachweise über die Tsunamiwellen, die viele Küstenregionen im Zuge der Katastrophe heimgesucht haben, schreibt das vom türkischen Kulturministerium unterstützte Team unter der Leitung von Vasıf Şahoğlu von der Universität Ankara (Türkei) und Beverly Goodman-Tchernov von der University of Haifa (Israel), dem auch Johannes Sterba und Max Bichler von der Technischen Universität (TU) Wien angehörten, in der Arbeit.

 

 

Ereignisse exakt nachvollziehen

Die Wissenschafter analysierten gut erhaltene Ascheschichten und chaotisch angeordnete Geröllablagerungen an der Ausgrabungsstätte im Küstenort Çeşme, der sich gegenüber der griechischen Insel Chios befindet. Ein Teil der aufwendigen Analysen wurde am radiochemischen Labor des "Center for Labelling and Isotope Production" (CLIP) des am Atominstitut angesiedelten TRIGA Center der TU Wien durchgeführt. Die Kombination aus archäologischen und geowissenschaftlichen Methoden erlaubte es den Forschern, ein erstaunliches Bild der damaligen Vorkommnisse zu zeichnen.

Die Wiener Forscher wurden von Şahoğlu schon vor mehreren Jahren kontaktiert, da sie über eine große Datenbank zu chemischen Fingerabdrücken von vulkanischem Material aus der Ägäis verfügen. Er war bei Ausgrabungen in Çeşme auf Vulkanascheschichten gestoßen. Das Wiener Team konnte sie der Santorin-Eruption zuordnen, erklärte Sterba im Gespräch mit der APA. Diese fand den neuen Analysen zufolge nicht früher als 1612 vor Christus statt.

 

Opfer eines Tsunamis

Später im Verlauf der Ausgrabungen wurde klar, "dass man es hier mit einer relativ komplexen Abfolge von Aschelagen und Mischhorizonten zu tun hat", so Sterba. Goodman-Tchernov konnte nachweisen, dass letztere chaotischen Ablagerungen auf Tsunamis zurückzuführen sind. Nochmals greifbarer wurde die einstige Katastrophe durch den Fund der Überreste eines jungen Mannes und eines Hundes. Dabei handle es sich um die ersten Opfer, die dem Ausbruch zugeordnet werden können.

Zwar wurde die bronzezeitliche Siedlung Akrotiri direkt auf der Insel Santorin damals - ähnlich wie Pompeji - unter einer dicken Ascheschicht begraben. "Dort finden wir aber keine Opfer", so der TU Wien-Forscher. Das dürfte daran liegen, dass es offenbar mehrere Eruptionsphasen gegeben hat. Das ermöglichte den Bewohnern auf Santorin vermutlich die Flucht.

Diese Annahme stützen nun auch die neuen Analysen: "Das Opfer, das wir jetzt gefunden haben, dürfte wirklich der primäre Tsunami erwischt haben", sagte Sterba. Diese Flutwelle zerstörte teils Steinmauern und ließ Gebäude zusammenbrechen, so auch jenes, in dem sich der "Çeşme-Mann" befand. Danach setzte sich etwas vulkanisches Material ab, aber schon wenige Stunden darauf traf eine zweite riesige Welle den damals direkt an der Küstenlinie gelegenen Ort. Dann setzte sich Vulkanasche ab. Mittlerweile brannten auch zahlreiche Feuer in der Ägäis und brennendes Material schwamm im Meer.

Teile davon brachte in der Folge ein dritter, etwas kleinerer Tsunami zusammen mit Meeressedimenten mit an Land. "Dann dürfte ein paar Tage Ruhe gewesen sein, und die Leute haben angefangen nach Vermissten zu suchen", sagte Sterba. Die Archäologen konnten sogar Versuche nachweisen, den jungen Mann in den Trümmern zu finden. "Da gibt es wirklich Gruben, wo man sieht, dass relativ wild hinunter gegraben wurde. Das Opfer war aber einen Meter tiefer verschüttet." Die beginnenden Wiederaufbauarbeiten wurden in der Folge sogar noch von einer vierten Welle mit ähnlicher Größe wie der ersten zunichtegemacht. Das passe also stimmig ins Bild, dass die gewaltige Eruption tatsächlich in Etappen erfolgte und auch mehrere Riesenwellen durch die Region gejagt sind.

 

Genaue Aussagen dankt moderner Methoden

Dass sich die Abläufe derart exakt ablesen lassen, sei nur durch die Kombination vieler verschiedener Fachrichtungen und neuesten Analysemethoden möglich geworden. "Es ist extrem spannend, was da schon geht. Wenn man das zusammenführt, können ganz interessante und große Aussagen getroffen werden", betonte der Physiker.

Die Arbeit zeige auch, dass sich künftig in der Gegend noch viel mehr Hinweise auf die Flutwellen finden könnten. Aktuell suche man nämlich nur dort nach Tsunami-Hinweisen, wo sich auch Vulkanasche findet. Das erkläre, warum es noch so wenige Flutwellen-Nachweise in der Region gibt. "Sie werden in der Regel einfach nicht erkannt, wenn nicht eine Aschelage darauf liegt", erklärte Sterba. Während Ascheschichten oft abgetragen wurden, wenn ein Ort wieder aufgebaut wurde, bleibt der massive Schutt, den ein Tsunami zurücklässt, meist am Ort des Geschehens und wird einfach überbaut.

Auch wenn viele Menschen die Katastrophe überlebt haben, dürfe man deren längerfristigere Auswirkungen auf die Region nicht unterschätzen, schreiben die Forscher in der Arbeit. "Der 'Çeşme-Mann' ist ein Vertreter jener vielen Menschen, die diesen tragischen Tag nicht überlebt haben oder vermisst wurden, und damit nicht mitansehen konnten, wie sich später vielleicht eine der größten Wiedergeburten der Menschheitsgeschichte ereignet hat", wie die Autoren mit Blick auf die folgenden Blütezeiten der Antike festhalten.

 

Kontakt

DI Dr. Johannes H. Sterba, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster
Center for Labelling and Isotope Production,
TRIGA Center Atominstitut,
TU-Wien
Stadionallee 2
1020 Wien
+43 1 58801 141 357
www.tuwien.ac.at/clip, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster
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