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Dieberger-Skalicky-Wissenschaftspreis an Teresa Liberto

Über 4 Mrd.Tonnen Zement werden weltweit verbaut. Unser Baustoff Nr. 1 ist jedoch genauso flexibel wie umstritten. Teresa Liberto forscht daran, CO2-arme Bindemittel weiterzuentwickeln. Am 18.09.2023 wurde ihr dafür der Dieberger-Skalicky-Wissenschaftspreis verliehen.

4 Personen, links: Herbert Hochegger mit Anzug, Mitte links Vizerektor Fröhlich im Ornat, Mitte rechts Teresa Liberto im hellgrauen Ensemble, Oberteil V-Ausschnitt, rechts Vizerektor Eberhardsteiner im Ornat.

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Teresa Liberto beim Unterschreiben der Urkunde. Lächelt in die Kamera, trägt einen grau-beigen Pollunder über weißem Shirt.

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Teresa Liberto wurde am 18.09. der mit 10.000 Euro dotierte Andreas Dieberger – Peter Skalicky - Wissenschaftspreis 2023 im Boecklsaal der TU Wien verliehen. Der von Margret Dieberger gestiftete Preis unterstützt TUW- Wissenschaftler_innen in ihrer Habilitationsphase.
Beim Festakt begrüßte Rektorin Sabine Seidler die Anwesenden, unter denen sich TUW-Altrektor Peter Skalicky und Mitglieder der Andreas Dieberger – Peter Skalicky-Stipendienstiftung befanden: Vizerektor Josef Eberhardsteiner, Herbert Hochegger und Vizerektor Johannes Fröhlich. Letzterer hielt die Laudatio für Preisträgerin Teresa Liberto, die mit ihrer Forschung den weltweit verbreitetsten Baustoff – Zement – in Richtung CO2-Freundlichkeit weiterentwickelt.

Rheologie – oder die Untersuchung des Frischverhaltens komplexer Pasten

„Panta rhei“, alles fließt, dieser Ausspruch des Philosophen Heraklit besagt, dass sich die Welt in einem unaufhörlichen Fluss aus Entstehen und Vergehen befindet. Teresa Liberto schafft den Sprung von der Philosophie in die harte Realität des Betons mithilfe der Rheologie, der Wissenschaft, die sich mit der Verformung und dem Fluss von Materie beschäftigt. Liberto untersucht damit CO2-arme Bindemittel, die Vielversprechendsten wählt sie für weitere mechanische Festkörperanalysen aus.

Im Interview erzählt die 1989 in der Toskana geborene ausgebildete Verfahrenstechnikerin, dass sie durch ihren Vater, einen Handwerker, zum Studium der Materialwissenschaften angeregt wurde. Er wählte mit Sorgfalt und Know-how das jeweils beste Produkt für jedes Problem aus. Sie sei immer schon neugierig gewesen herauszufinden, aus welchen Materialien Produkte bestehen, wie sie funktionierten und wie sie sich im Laufe der Zeit entwickelten. Baumaterialien und Zement im Allgemeinen eigneten sich perfekt für ein solches Interesse, so Liberto. Denn aufgrund ihrer Komplexität würden sie ihr niemals langweilig werden.

Persönlich ist es ihr wichtig, zum Aufbau einer nachhaltigen Gesellschaft und damit zum Wohle der gesamten Menschheit beizutragen. „Ich stelle mir eine bessere Zukunft vor, in der meine Familie ohne die ständigen Herausforderungen durch die Klimakrise gedeihen kann.“ Wir haben Teresa Liberto einige Fragen über den Baustoff Beton und ihre Forschung gestellt:

Wie kann Beton CO2-neutral werden, und wie schwierig ist es, dieses Ziel zu erreichen?

Teresa Liberto: Heutzutage werden weltweit jedes Jahr etwa 4 Milliarden Tonnen Zement hergestellt. Wenn wir CO2-Neutralität im Bauwesen erreichen möchten, sollten wir uns bewusst sein, dass es kein Wundermittel oder bahnbrechendes emissionsfreies Material gibt, das in dieser riesigen Menge verfügbar ist. Wenn wir in die Vergangenheit zurückblicken, waren die Baumaterialien nicht standardisiert, sondern eher lokal, was den Bau von außergewöhnlichen Gebäuden ermöglichte, die bis heute existieren. Mit der heutigen Technologie und dank Beton können wir hohe Leistung erzielen, die jedoch nicht für jede einzelne Anwendung erforderlich sind. Für die Zukunft, denke ich, dass wir mit dem Wissen der Gegenwart auf die Vergangenheit blicken sollten, indem wir die verwendeten Baumaterialien nach ihrer Anwendung unterscheiden. Zum Beispiel die Wiederentdeckung alternativer Bindemittel, die vor Ort hergestellt werden oder Abfallstoffe sind (z. B. industrielle Nebenprodukte) für Anwendungen mit geringer Belastung (z.B. Einfamilienhäuser) und Hochleistungsmaterialien (z.B. Zement) für Anwendungen mit hoher Belastung (z.B. Brücken). Mit anderen Worten: Wir sollten vermeiden, Rohstoffe von einem Ende der Welt zum anderen zu transportieren. Das wird aber nur funktionieren, wenn parallel dazu Normen und Vorschriften für alternative Bindemittel festgelegt werden, die die verschiedenen Anwendungen und die CO2-Auswirkungen berücksichtigen. Darüber hinaus sollten künftige Bauingenieur_innen und Bauarbeiter_innen in den unterschiedlichen Eigenschaften und Anwendungen klassischer und alternativer zementhaltiger Materialien geschult werden, damit sie nachhaltiger arbeiten können.

Wie weit ist die Forschung auf dem Gebiet des CO2-neutralen Betons und wie sieht Ihr Beitrag dazu aus?

Teresa Liberto: Die Forschung auf dem Gebiet des CO2-neutralen Betons hat sich in den letzten Jahrzehnten ausgeweitet. Es gibt viele Forschungsbereiche, die synergetisch zusammenarbeiten sollten, um nachhaltigere und umweltfreundlichere Betonherstellungsmethoden zu entwickeln. Beispiele dafür sind:

  • der Versuch, CO2 aus industriellen Prozessen abzuscheiden und es als Bindemittel/Füllstoff in Beton zu verwenden,
  • die Verringerung des Energieverbrauchs bei der Zementherstellung,
  • die Verwendung von recycelten Zuschlagstoffen aus Bau- und Abbruchabfällen,
  • die teilweise oder vollständige Substitution von Zement durch alternative lokale Materialien/Abfallstoffe.

Letzteres ist mein spezielles Forschungsgebiet. Ich konzentriere mich insbesondere darauf, die frühe Reaktivität von alternativen Frischrezepturen (das dauert einige Stunden) zu ermitteln, um die vielversprechendsten für weitere mechanische Analysen (die mindestens 28 Tage dauern) auszuwählen.

In diesem Zusammenhang spielt die Industrie eine wichtige Rolle, indem sie die Forschung finanziert, Beiträge zu den aktuellen Herausforderungen leistet und gemeinsam mit Regierungen neue Vorschriften und Normen erarbeitet, die die Verwendung von CO2-armem Beton fördern oder vorschreiben.

Glauben Sie, dass die Menschheit es schaffen wird, bis zum Jahr 2040 bzw. 2050 klimaneutral zu werden und wie sieht Ihrer Meinung nach der Weg dorthin aus – bezogen auf den Baubereich?

Teresa Liberto: Ich halte das Jahr 2040/50 für das Erreichen der Klimaneutralität für sehr ehrgeizig, wenn man bedenkt, wie wenig Fortschritte in den letzten Jahrzehnten gemacht wurden. Aber die Menschheit ist in schwierigen Zeiten manchmal zu großen Fortschritten fähig. Hoffen wir, dass wir nicht zu spät handeln.

Wie der Europäische Zementverband CEMBUREU, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster berichtet, gibt es bereits einen Fahrplan zur Reduzierung der Emissionen im Bausektor auf null (bis 2050), der aus gleichzeitigen Maßnahmen besteht, von alternativen Brennstoffen für die Zementherstellung bis zum Ersatz von Zement selbst. Wie erwähnt, gibt es nicht nur eine einzige Lösung, sondern eine Reihe von Maßnahmen, die je nach Standort und verfügbaren Materialien ausgewählt werden sollten. Mein Professor an der Universität pflegte auf Fragen zu antworten: „Es kommt darauf an!" Vor allem in dicht besiedelten Gebieten, in denen bereits eine Infrastruktur aus Brücken, Gebäuden usw. besteht, ist eine ordnungsgemäße Instandhaltung und eine Wiederverwendung am Ende des Lebenszyklus unerlässlich. Die Wiederverwendung von Abbruchmaterial für den Bau neuer Strukturen vor Ort ist beispielsweise wichtig, um die ökologischen Kosten von Rohstoffen zu senken. Ob eine Wiederverwendung möglich ist, hängt natürlich davon ab, wie die Gebäude gebaut wurden und wie sie im Laufe der Jahre renoviert wurden (Stichworte: Kompatibilität der Materialien, Trennbarkeit usw.). Daher ist es wichtig, bei der Planung neuer Gebäude und Baustellen auf Wiederverwendbarkeit zu achten und, wenn möglich, lokal verfügbare und der geforderten Anforderung entsprechende Materialien zu verwenden.

Teresa Liberto CV

Teresa Liberto wurde 1989 in einem Dorf zwischen Pisa und Florenz, im Herzen der Toskana, geboren. Zwischen 2011 und 2014 hat sie ihren Bachelor- und Master-Abschluss der Universität Pisa in Verfahrenstechnik gemacht. 2014 folgte ein dreimonatiger Studienaufenthalt am City College of New York für ihre Masterarbeit. 2015–2018 promovierte sie in Physik an der Université Claude Bernard Lyon 1, ihre Dissertation war Teil des europäischen Projekts „NanoHeal“ zu CO2-armem Beton; sie arbeitete dabei an der physikalisch-chemischen Untersuchung von dichten Kalksteinsuspensionen. 2019 trat sie ihre Postdoc-Stelle an der TU Wien, im Forschungsbereich Baustofflehre und Werkstofftechnologie an der Fakultät für Bau- und Umweltingenieurwesen, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster an, wo sie mit der Forschung an der komplexen  Welt der „echten“ zementartigen Pasten (Zement, Schlacke, kalzinierter Ton, recycelter Zement...) begann. Seit September 2019 hält Liberto eine Tenure-Track-Stelle an der Fakultät für Bau- und Umweltingenieurwesen im Bereich Materialwissenschaft und -technologie (E207-1). Im März 2023 startete sie das Verfahren zur Erlangung ihrer Habilitation (d.h. die venia docendi) im Bereich Baustoffe und Materialwissenschaften.

Link: Dieberger-Skalicky Wissenschaftspreis

Beitrag und Interview: Edith Wildmann