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Immobilienbewertung mit System

Am Institut für Stadt- und Regionalforschung der TU Wien wurde ein weitgehend automatisiertes, in dieser Form weltweit einzigartiges Modell zur Immobilienbewertung entwickelt.

Karte der Grundstückspreise in Wien (Vergrößerung)

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Dieter Bökemann

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Wolfgang Feilmayr

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Wolfgang Feilmayr

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Methode: Bewertung von Immobilieneigenschaften mit hedonischen Preisen

Die Immobilienpreise werden zunächst nach der Theorie der "Hedonischen Preise" erklärt. Hedonische Preise gelten als Wert, den Käufer einzelnen Eigenschaften eines Gutes beimessen, hier als Wert für die Eigenschaften von Immobilien. Wenn die hedonischen Preise der Gutseigenschaften als Durchschnittspreise auf dem Markt betrachtet (und entsprechend ermittelt) werden, dann erklärt sich der Marktpreis einer Immobilie aus der Summe der hedonischen Preise ihrer Eigenschaften. Als Eigenschaften gelten hier zum einen die Objektattribute der einzelnen Immobilie (z.B. Zustand und Größe einer Wohnung), zum anderen die Lageeigenschaften des Standortes der Immobilie.

Analyseziel der Forschungen war es, mit komplexen statistischen Verfahren, für die Ausprägungen der verschiedenen Immobilieneigenschaften (hedonische) Preisfunktionen zu ermitteln.

Für die Schätzung von unbekannten Marktpreisen bestimmter Immobilien ist das sogenannte GP-Sim entwickelt worden; ein Simulationsmodell, in welchem die empirisch getesteten (hedonischen) Preisfunktionen der Immobilieneigenschaften fallspezifisch verknüpft werden können.

Zugrundeliegende Daten

In das Modell GP-Sim gehen einerseits beobachtete Immobilienpreise und andererseits erhobene und errechnete Eigenschaftsausprägungen der Immobilien als Variable ein.

Die Immobilienpreise werden laufend u.a. von der "Wiener Immobilienbörse (WIB)" beobachtet und zur Verfügung gestellt. (Die WIB ist ein Zusammenschluss von etwa 20 unabhängigen Maklerbüros, die ein gemeinsames Informationssystem für ihre Transaktionen betreiben). In das GP-Sim eingeflossen sind bisher (seit 1986) 16.000 Preisbeobachtungen. Die Datenbasis wird zweimal im Jahr (Januar und Juli) auf den letzten Stand gebracht. Beobachtet werden effektive Transaktionen (etwa ein Drittel) und Angebotspreise (etwa zwei Drittel).

In die Preissimulation für die Immobilien gehen nach Adresse, Baublockcode und Zeitpunkt der Transaktion folgende Eigenschaftsausprägungen ein:

  • Grundstücke: Größe und Nutzbarkeit, Verfügbarkeit von Strom, Gas, Wasser und Kanal
  • Gebäude, Wohnungen und Büros: Größe, Zustand, Baujahr, Zahl der Räume (Badezimmer, Balkone, Terrassen, Garagen/Autoabstellplätze), Heizungsart, Stockwerk

Die Lagevariablen der Immobilien stammen von dem GIS-unterstützten Informationssystem "IRIS-Wien", das am Institut für Stadt- und Regionalforschung der TU Wien entwickelt wurde. Dieses "Interaktive Räumliche Informations-System (IRIS-Wien)" enthält als kleinste räumliche Einheit und Träger von demographischen, baulichen, wirtschaftlichen und ökologischen Daten (Volks-, Arbeitsstätten- und Haus-/Wohnungszählung, Umwelterhebung u.a.) die etwa 10.600 Wiener Baublöcke. Diese sind durch Flussgraphen (mit denen das aktuelle Wiener Verkehrsnetz für Fußgänger, Individual- und Öffentlichen Verkehr abgebildet wird) topologisch verknüpft. IRIS-Wien erlaubt es, mit Kürzeste-Wege-Algorithmen und diversen regionalanalytischen Modellen jedem Baublock naturräumliche, infrastrukturelle, soziale, ökologische und gestalterische Indikatoren zuzurechnen. Die Signifikanz der einzelnen Lageeigenschaften der Immobilien wurde mit großem Aufwand in einem geplanten Versuch-Irrtum-Prozess ermittelt. Als Beispiele für die genannten Kategorien seien hier angeführt:

  • Naturraum: Höhenlage, Hangneigung, Nähe zu Parkanlagen, Weingärten, Wiesen oder Wäldern
  • Infrastruktur: Erreichbarkeit des Stadtzentrums im öffentlichen und im Individualverkehr, Nähe zu Haltestellen des öffentlichen Verkehrs, Nahversorgungsqualität
  • Soziales Milieu: Anteil der Akademiker, der Pensionisten oder von Gastarbeitern in der Nachbarschaft
  • Ökologie: Belastungen durch Lärm oder Staub, Parkplatzsituation, Verbauungsdichte
  • Stadtgestalt: Lage in Schutzzonen, Nähe zu Denkmälern und Monumenten

Folgende Arten von Immobilien wurden bisher mit dem GP-Sim-Modell analysiert:

  • Eigentumswohnungen (etwa 5.000 Fälle)
  • Mietwohnungen (vermietete Eigentumswohnungen, etwa 6.800 Fälle)
  • Mietbüros (etwa 1.500 Fälle)
  • Geschäfte und Lokale (etwa 1.200 Fälle)
  • Ein- und Zweifamilienhäuser (etwa 1.000 Fälle)
  • Baugründe (etwa 500 Fälle)

Anwendungen

Mit GP-Sim-Modell können virtuelle Marktpreise für jede Immobilie an einer bestimmten Wiener Adresse ermittelt werden, indem die hedonischen Preise der jeweiligen Objekt- und Lageattribute aufsummiert werden. Die simulierten Preise beziehen sich auf tatsächliche Verkaufspreise und können für jeden beliebigen Zeitpunkt zwischen 1986 und der Gegenwart geschätzt werden. Darauf aufbauend können Preiskarten für die verschiedenen Immobilienkategorien für das gesamte Stadtgebiet von Wien erstellt werden. Zusätzlich sind auch Karten für einzelne hedonische Preise verfügbar. Die individuellen Bewertungen können aber nicht die weiter ins Detail gehende Schätzung durch einen Sachverständigen ersetzen.

Mit dem Modell können Indizes errechnet werden, die die zeitliche Entwicklung einzelner Immobilienkategorien widerspiegeln. Die Indizes beziehen sich dabei ebenso auf tatsächliche Verkaufspreise.

Die Wiener Immobilienbewertung ist nützlich ...

  • ... für jeden Eigentümer und Nutzer von Immobilien zur Abschätzung der Nutzungsrentabilität und der Erlöserwartungen;
  • ... für Teilnehmer am Immobilienmarkt wie Fonds, Emittenten, Banken zur Erwerbs- und Verkaufsempfehlung;
  • ... für Immobilienmakler, -verwalter und -treuhänder sowie für Bauträger zur Vermögensberatung;
  • ... für Beleiher (Hypothekenbanken, Versicherungen) zur Pfandbewertung;
  • ... für Gebietskörperschaften (Stadtentwicklungs-, Wohnbau- und Wirtschaftsförderungspolitik) zur Abschätzung von Preiswirkungen von Infrastrukturinvestitionen, Flächenwidmungen und Regulierungen auf dem Immobilienmarkt;
  • ... für gerichtlich beeidete Immobilien-Schätzgutachter, denen die gröbere Immobilienpreiseinschätzung der TU Wien als Grundlage für die detailliertere Objektfeineinschätzung dienen kann.

Das hier vorgestellte Modell unterscheidet sich hinsichtlich der Komplexität und Differenziertheit der verwendeten statistischen Methoden und der Qualität und Quantität der zugrunde gelegten Daten wesentlich von anderen Verfahren der Indexberechnung (Annoncenauswertung, Durchschnittsbildung) bzw. der Immobilienbewertung (Vergleichswert- und Ertragswertermittlung). Es hat bei mehreren Präsentationen internationale Beachtung und Anerkennung erfahren. Zunächst ist GP-Sim für Objekte des Wiener Immobilienmarktes verwendet worden, seit drei Jahren kann der Marktwert von Grundstücken, Gebäuden, Büros und Wohnungen in ganz Österreich geschätzt werden.